Samstag, 29. August 2015

Die zuträgliche Leichtigkeit und die Schwere

"Das Leben ist schwer" hören wir vermutlich wesentlich öfter als: "Das Leben ist leicht".
Wer leichtlebig ist, erfreut sich keinen guten Rufs. Wer es schwer hat, verdient Mitleid. Alles, was leicht geht, ist verdächtig. Wir müssen uns unser Leben erst verdienen, möglichst durch hartes und konsequentes Arbeiten, damit der biblische Fluch, dass wir unser tägliches Brot nur im Schweiß unseres Angesichts erwerben können, auch Recht behält.

Wie können wir uns von dem Fluch erlösen? Es kann doch nicht sein, dass am Anfang der Bibel den Menschen eine anthropologische Konstante, noch dazu in Form eines Fluches, von höchster Stelle aufgebrummt wurde, die wir niemals mehr loswerden können? Was, wenn es sich um eine Beschreibung der Menschen handelt, die unter erschwerenden Bedingungen entstanden ist und einer Notsituation Ausdruck gibt, aber nicht das Wesen des Menschen für alle Zeiten festlegt, unabhängig von historischen und sozialen Umständen?

Was schwer ist, drückt uns nieder, engt uns ein und macht uns klein. Es raubt uns den Atem und die Freiheit. Alles wird mühsamer und anstrengender. Freude und Genuss sind verpönt, Anspannung muss sein, jedes Nachlassen bedeutet Gefahr. Die Schwere ist eine Folge der Angst, die Angst ist eine Folge der Verängstigung. Ängste entstehen, wo etwas bedroht und das Ausmaß an Sicherheit zu gering ist. Die Rede ist vor allem von den frühesten Zeiten unserer Existenz, von der Empfängnis angefangen bis in unsere Kindheit und Jugend. Mit dem Älterwerden können wir mehr und mehr für unsere Sicherheit selber sorgen, doch plagen uns immer wieder Ängste, die sich aus den frühen Zeiten melden, weil wir uns mit ihren Wurzeln nicht beschäftigt und bewusst auseinandergesetzt haben.

Der biblische Fluch verheißt uns also, dass wir immer von Ängsten belastet sein werden. Die Botschaft der Erlösung dagegen sagt, dass wir uns befreien können von allen Verfluchungen. Wir sind nicht an die Schwere angekettet. Befreiung heißt, leicht werden, weit und offen. Das, worum wir die Vögel beneiden: die Flügel ausbreiten, kurz flattern und schon sind wir leichter als die Luft. Wir entkommen der Schwerkraft, mit der uns die Erde an sich klammern will.

Die innerliche Leichtigkeit braucht nicht einmal Flügel. Sie will die innere Schwere überwinden, die durch unsere Ängste und Sorgen entstanden ist. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir den Raum der Liebe betreten können. Solange wir uns schwer fühlen, sind wir auf uns selber fixiert. Wir schleppen uns dahin und unser Blick geht nach unten, sodass wir die anderen gar nicht wirklich wahrnehmen können. Unsere alten Belastungen halten uns gefangen, und wir haben keine Kapazität, uns über uns selbst hinaus zu weiten. Zu sehr sind wir gefangen von unseren Problemen. So denken wir uns den Kopf wund, um einen Ausweg aus der Schwere zu finden, und belasten uns nur noch mehr.

Das Sein ist leicht, und diese Leichtigkeit muss nicht unerträglich sein, im Gegenteil, sie ist uns höchst bekömmlich, und wir sollen sie, sobald sie uns geschenkt ist, in vollen Zügen genießen. Denn erst dann sind wir Menschen im vollen Sinn, weil wir erst dann liebesfähig sind. Die Liebe kommt nur auf leichten Sohlen. Sie verschenkt sich aus dieser Leichtigkeit heraus, indem sie das leicht macht, was sich so schwer anmutet.

Die Liebe, die wir einander entgegenbringen, ist also die Medizin, die uns zur Leichtigkeit im Leben verhilft. Und die Leichtigkeit im Leben verhilft uns dazu, dass wir gewährende und gebende Menschen werden können, die aus der Fülle füreinander da sind. So können wir uns gegenseitig von der Schwere befreien.

"Wir alle halten es für undenkbar, dass die Liebe unseres Lebens etwas Leichtes, etwas Gewichtsloses sein könnte." (Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins)

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