Freitag, 10. April 2015

Innehalten

Um im Fluss zu bleiben, müssen wir immer wieder aus ihm heraussteigen. Unterbrechungen setzen, um zu uns selbst zu kommen. In diesen Pausen können wir uns auf uns selbst besinnen: Wie fühle ich mich gerade, was braucht mein Körper, was brauchen meine Gefühle, was braucht mein Kopf? Während sich diese verschiedenen Stimmen melden, entsteht im Hintergrund eine friedliche Stimmung.

Damit schaffen wir eine Distanz zwischen uns und dem Geschehen um uns herum. Wir gehen nicht mehr auf in der Umtriebigkeit, sondern kommen zurück zu uns selbst. Von dort aus können wir eine neue Beziehung zu uns selbst aufbauen.  Wir nehmen wahr, wie wir uns jetzt gerade fühlen, was wir brauchen und was wir wollen. 


Gerade wenn wir uns irritiert oder verwirrt fühlen, ist es wichtig, dass wir die Beziehung für die Außenwelt kurz unterbrechen, denn dort findet sich nur ein unübersichtliches Angebot an Reizen und Ablenkungen, die uns noch mehr durcheinander bringen. 


Das Innehalten kann eine regelrechte Pause sein, die wir z.B. bei einer Autoreise machen. Wir nehmen uns dabei die Zeit, aus der rasenden Geschwindigkeit auszusteigen und unser Inneres wieder ein wenig zu verlangsamen. Damit kommen wir wieder auf unseren eigenen Rhythmus zurück. 


Es kann auch ein Ändern der Haltung sein. Wenn wir zu lange sitzen, ist es gut aufzustehen und herumzugehen. Damit unterbrechen wir das, was sich beim Sitzen abgesetzt hat. Wenn wir viel Herumlaufen, tut das Sitzen wieder gut, weil wir das einsammeln können, was uns beim Laufen unterlaufen ist. 


Wir können auch eine Pause bei Gedanken oder Gefühlen einlegen. Wenn wir merken, dass wir in den selben Denkschleifen feststecken, brauchen wir nur die Aufmerksamkeit auf etwas anderes richten, am besten auf unseren Atem, und nehmen damit dem zwanghaften Denken seine Macht. Wir brauchen auch nicht an Gefühlen festhalten, die immer wiederkehren, wie z.B. der Ärger über etwas, was uns passiert ist. Auch da gibt es die Möglichkeit, innezuhalten, den Ärger zu verabschieden und durch andere Gefühle zu ersetzen.


Mit dem Innehalten unterbrechen wir nur scheinbar das Fließen des Lebens. Vielmehr geben wir ihm dadurch, dass wir in Distanz gehen, eine neue Richtung oder einen neuen Geschmack. Wir unterbrechen etwas, das starr und unlebendig geworden ist, und bringen wieder einen neuen Schwung in die innere Landschaft. Wir tun dort nicht mehr mit, wo wir gar nicht mehr voll dabei sind, sondern nur mitspielen, ohne wirklich zu wollen. Damit schaffen wir Raum für neue Impulse, die uns wieder mit dem Fließen verbinden.


Denn das Fließen des Lebens heißt unablässige Veränderung. Wir neigen dazu, aus diesem Prozess der dauernden Erneuerung auszusteigen, weil wir uns darin verlieren, wenn wir nicht zugleich mit uns selbst verbunden bleiben.  Zuviel drängt sich in unsere Aufmerksamkeit, will unsere Zuwendung. So gerade wir in ein Zwischenreich, in einen Dämmerzustand, indem wir weder voll mit dem Prozess des Lebens noch mit uns selbst verbunden sind. 


Dann wird es Zeit, auszusteigen und innezuhalten. Denn in unserem Inneren ist der Angelpunkt, der uns wieder zur Klarheit führen kann. Dort finden wir eine besondere Weisheit, nämlich unsere eigene. Sie weißt, was für uns das Richtige zu tun ist, was für uns stimmig ist. Sie hat eine Antwort auf alle unsere Fragen. Wir müssen sie nur ernstnehmen und ihr die Zeit und den Raum geben, den sie braucht: Einen Raum der Stille und Konzentration, eine Zeit der Zeitlosigkeit. Dann kann sie ihre Stimme erheben, und wir können sie hören.


Wir können also die Stimme unserer Weisheit nur vernehmen, wenn es im Inneren ruhig ist. Solange da noch Lärm ist von Gefühlen oder Gedanken, können wir uns leicht täuschen. Wir hören dann oft nicht unsere innere Stimme, sondern irgendeinen anderen Anteil von uns: Unser unsicheres oder ängstliches Ich, unsere Gier oder unsere Überheblichkeit.


Wenn wir wieder zurückkommen, haben wir ein neues Verhältnis zu unserer Umgebung. Wir sehen die Welt mit neuen Augen. Wir finden andere Worte, um mit ihr zu reden und hören andere Töne. Unsere Augen sehen klarer, unsere Ohren sind offen, unser Herz schwingt sich ein auf den Gleichklang mit dem Ganzen.


Halten wir also immer wieder inne und kehren wir ein - bei uns selber.

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