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Unterbrochen werden wir auch ungern, wenn wir gerade mitten in einer Aufgabe sind. Wir wollen z.B. ein Schachrätsel lösen oder ein Tischgedeck herrichten, oder es köcheln die Bestandteile unserer Mahlzeit in einigen Töpfen und Pfannen. Wenn da das Telefon läutet oder jemand kommt und unbedingt etwas von uns will, fühlen wir uns gestört. Wir wollen den Zyklus der Aufgabe abschließen und sind erst dann wieder bereit für Neues.
Da mischen sich auch noch Kindheitserfahrungen ein. Wir hatten unseren Spielrhythmus und konnten nicht verstehen, warum genau jetzt spazieren gegangen werden muss (auch wenn vielleicht schon vorher angekündigt wurde, dass es in einer halben Stunde so weit sein werde).
Unterbrechungen reißen uns heraus aus einer Erfahrung des Fließens wie ein Wecker aus dem Traumschlaf. Unterbrechungen lösen die Alarmreaktion aus, wir schrecken hoch und stehen sofort unter Stress. Deshalb geraten wir dabei sofort in Gefühle, vor allem Angst und Aggression.
Verinnerlicht, wirken solche Alarmreaktionen mit der Zeit von selber, indem sie automatisiert werden. Wir reißen uns selber aus dem Fließen heraus, meist ohne es zu merken. Wir genießen den Sonnenuntergang, und plötzlich fällt uns ein, dass wir noch X anrufen müssen, die Geburtstag hat. Wir entspannen uns, und plötzlich taucht ein unangenehmer Gedanke oder ein unwillkommenes Gefühl auf. Schon sind wir aus dem Fließen heraußen und in einem Unruhezustand. Die Beziehung zu uns selbst ist dabei gekappt, wir sind von einem Teil von uns aufgesogen (z.B. von unserem Denken oder einem bestimmten Gefühl) und zugleich mehr nach außen als nach innen orientiert. Im Tieferen hat eine Angst von uns Besitz ergriffen und lässt uns nach Gefahrenquellen oder Handlungsoptionen im Außen Ausschau halten. Dieses Festgehaltenwerden schränkt unsere Lebendigkeit und unsere Freiheit ein.
Die Polyvagaltheorie benennt diesen Vorgang als Versagen der vagalen Bremse. Unser entspannter Zustand, der uns im Einklang mit der Wirklichkeit fließen lässt, wird durch alarmierende Reize unterbrochen. Das Nervensystem schaltet auf die darunterliegende Ebene, den Sympathikus, der normalerweise durch die vagale Bremse in Schach gehalten wird. So kommt es zur Stressreaktion mit ihren Automatismen.
Wir können uns nur rund und frei fühlen, wenn wir mit uns selbst verbunden sind. Deshalb ist es wichtig, einen Weg zu finden, um solche Unterbrechungen wieder aufzuheben. Der erste Schritt dabei ist, dass wir überhaupt merken, wenn wir uns selbst blockieren. Es fällt uns daran auf, dass unsere Aufmerksamkeit auf etwas fixiert ist, das sie wie ein Objekt festhält, ein Gedanke, ein Gefühl. In dieser Fixierung werden wir selber zum Objekt, weil wir uns nicht mehr frei bewegen können.
Machen wir uns diese Fesselung bewusst, so fällt es uns leichter, sie zu durchbrechen. Wir unterbrechen damit die Unterbrechung. Wir steigen aus dem Muster aus, indem wir einen Unterschied setzen. Dazu können wir z.B. aufstehen, wenn wir gerade sitzen, oder gehen, wenn wir gerade stehen, oder einen tiefen Atemzug nehmen, wenn wir gerade flach atmen. Wir verändern unsere Körperlichkeit, und damit verändert sich auch unsere Fixierung. Indem wir bewusst diesen Unterschied einführen, lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf uns selber zurück und nehmen die Beziehung zu uns selbst wieder auf. Wir kommen in Verbindung mit uns selbst und dabei docken wir wieder an das Fließen an.
Das passiert, wenn wir innehalten. Wir machen nicht weiter wie bisher, sondern legen eine Pause ein. Wir unterbrechen das Verhaltens-, Gefühls- oder Denkmuster, das das Fließen unterbrochen hat, und kommen damit wieder in die innere Freiheit. Mit jedem Schritt zu mehr Bewusstheit und mit jeder Unterbrechung von unnützen Stressmustern stärken wir die vagale Bremse, sodass wir es zunehmend schaffen, trotz Unterbrechungen bei uns bleiben zu können. Das Leben ist auch eine Schule für Gelassenheit,und jedes Lernen auf diesem Weg bringt einen Zuwachs an Lebensqualität.
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