Freitag, 10. Januar 2014

Evolution und Zufall


Im 19. Jahrhundert galt die Entdeckung von Charles Darwin, dass die Menschen "von den Affen" abstammen, als Affront und Kränkung für die menschliche Selbstbespiegelung. Nun haben wir, die westlich-.aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts diese "Beleidigung" schon längst akzeptiert, und die meisten Zeitgenossen haben kein Problem mit der Theorie der evolutionären Entwicklung der Arten.

Allerdings haben wir die Evolutionstheorie noch nicht zur Gänze verdaut. Schließlich nehmen wir gerne an, dass sie ein zielgerichtetes Geschehen beschreibt, in dem sich eine Entwicklung von niedrigen Lebensformen zu höheren vollzieht und schließlich im Menschen als dem komplexesten und höchsten Lebewesen, als "Krone der Schöpfung" kulminiert. Soweit könnte sie der Vorstellung von einer Welt der fortschreitenden Entwicklung zu einem von einer höheren Intelligenz von Anfang an so gewollten Zweck entsprechen. Wir können uns in einer dergestalt intelligent designeten Welt zuhause fühlen, weil sie unseren Platz als am weitesten entwickelter Lebensform die Berechtigung gibt, die Welt im Ganzen mehr und mehr zu dominieren, indem wir sie unseren Zwecksetzungen unterordnen. Wenn nämlich der Mensch der Endzweck der Schöpfung ist mit seiner vom freien Willen gelenkten und seiner Intelligenz  entworfenen Lebenskunst, dann ist jede Form der Beherrschung der vormenschlichen Natur letztlich Teil des vorgesehenen Planes der Schöpfung. 

Weniger sicher und selbstbewusst stehen wir da, wenn wir, wie es der Stand der Wissenschaften ist, davon ausgehen, dass die Evolution ein von Zufällen gesteuerter Vorgang ist, in dem vorher nicht genau absehbar ist, was nachher rauskommt. Wir sind dann nämlich selber nicht in dieser Großartigkeit gewollte und geplante Geschöpfe, sondern Naturprodukte, die Beachtliches zustande bringen können, aber das nur im Rahmen der Möglichkeiten, die uns diese unsere Natur einschließlich unseres Gehirns zugesteht. Was darüber hinaus wünschenswert wäre, ist unerreichbar, und in Anbetracht der großen Zeiträume, die die Evolution benötigt, um ihre Veränderungen zu implementieren, ist es auch unabsehbar, wann es überhaupt zu einer grundlegenden Veränderung kommen könnte, wie z.B. jener zwischen den Prähominiden und den Hominiden oder jener zwischen Neandertalern und Homo sapiens. Auch ist prinzipiell nicht einmal abschätzbar, ob eine solche Veränderung in der genetischen Substanz im Sinne unserer gegenwärtigen Bewertungen und Idealvorstellungen positiv oder negativ ausfallen würde.

Wir sind also "in dieses Dasein geworfen" mit diesem unserem intellektuellen und emotionalen Potenzial, auf diesem Planeten in diesem Sonnensystem. Ohne einen Schöpfergott im Rücken stehen wir erst recht vor der Herausforderung, aus dem, was wir mitbekommen haben, zu machen, was uns möglich ist, um das Überleben des Lebens auf diesem Planeten zu gewährleisten, viel mehr, als wenn wir überheblich und großspurig davon ausgehen, dass wir genau so geplant und gewollt sind wie wir als Menschen sind. Sind wir Zufallsprodukte einer blind agierenden Evolution, so haben wir gerade deshalb die volle Verantwortung zu tragen für das, was wir machen, ohne Ausrede auf eine höhere Intelligenz, die uns eben dazu eingesetzt hat, "uns die Erde Untertan zu machen". Denn die Evolution hat uns mit dieser Gabe zur Reflexion und diesem Sinn für Verantwortung für das, was wir tun, ausgestattet.

Die Evolution können wir also nur verstehen, wenn wir das Konzept der zielorientierten Folgerichtigkeit (der Teleologie) durch das des Zufalls ersetzen. Denn die Art A, aus der sich dann irgendwann und irgendwie die Art B entwickelt hat, hat in sich keinen Plan oder keine Vorform von B, sondern die Natur bringt eine Unmenge von genetisch leicht unterschiedlichen Exemplaren von A hervor, von denen einige unter geänderten äußeren Umständen besser zurechtkommen als andere, die dann wiederum sich stärker fortpflanzen konnten als jene, bis schließlich irgendwann eine bunte Fischleinart aus silbrigen entstanden ist. Es gibt keinerlei Notwendigkeit in der Natur, die fordert, dass es bunte Fische gibt. Die Natur bringt Formen in Hülle und Fülle hervor, von denen die einen erfolgreich sind und die anderen nicht. 

Und das stellt eine weitere Kränkung unseres menschlichen Narzissmus dar: Wir sind nur das Produkt von zufälligen Veränderungen, von denen sich diejenigen durchgesetzt haben, die zu den jeweiligen Umweltbedingungen am besten gepasst haben. Um zu verstehen, wer und wie wir sind, braucht es nicht mehr als diese Einsicht. Die Annahme einer vorausschauenden planenden Intelligenz, die die gesamte Natur nach einem Bauplan entworfen und dann schrittweise verwirklicht hat, mag uns als nette Idee gefallen, sie dient aber nicht weiter, um erklären zu können, was sich im Zug der Evolution der Arten abgespielt hat und weiter abspielen wird. Wir können uns an unserer Fähigkeit, die Schönheit und Vielfalt der Natur zu bewundern und zu bestaunen, erfreuen und dafür dankbar sein. Es hindert uns auch nicht daran, an einen Gott zu glauben. 

Die Natur selber allerdings, wenn wir sie vorurteilsfrei betrachten, liefert uns keinen Beweis für oder gegen die Existenz einer planenden Vernunft hinter all dem, was ist. Nicht einmal einen Hinweis darauf können wir an ihr ablesen. Alles weitere, was wir zu sehen vermeinen, ist das, was wir aus unseren inneren Erwartungen, Hoffnungen und Sehnsüchten in das, was ist, hineinlegen. Daran ist auch nichts unrecht, falsch oder sinnlos. Wir sollten uns nur klarmachen, dass wir selber es sind, die in der Natur den großen Plan sehen wollen, und dass der Kosmos und die Natur selber diesen nicht brauchen. Unser Verständnis vom Universum benötigt keine Annahme eines Schöpfergottes, der irgendwann aus seiner unermesslichen Weisheit eine kosmische Explosion in Gang gesetzt hat und alles Weitere an jedem Entwicklungsschritt begleitet, evaluiert und korrigiert.

Die verbreitete Ansicht "Es gibt keinen Zufall" verwandelt sich dann in: "Es gibt nichts ohne Zufall" (Nicht einmal die Ansicht, dass es keinen Zufall gibt). Es gibt allerdings unser Bedürfnis nach Notwendigkeiten, Zwangsläufigkeiten, Bestimmtheiten, weil wir dadurch kognitive Sicherheiten bekommen. Dieses Bedürfnis entspringt aus der Unsicherheit, die Zukunft, also das, was auf uns zukommt, überblicken und kontrollieren zu können. Wenn wir geplante und gewollte Abläufe im Geschehen erkennen, macht uns das sicherer, indem wir einen Überblick gewinnen, mögliche Gefahrenquellen einschätzen und mögliche Ressourcen lokalisieren können. Wir wollen also mehr sein als Zufallsprodukte, und wir erleben uns und unser Leben auch als mehr als ein regelloses chaotisches Geschehen.

So sagte der vorige Papst Benedikt XIV. in seiner Antrittspredigt: "Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedanken Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht." Dieses Zitat kann so verstanden werden, dass wir als Menschen weder zufällig noch sinnlos sein wollen und dass wir uns viel wohler damit fühlen, dass wir gewollt, geliebt und gebraucht sind. Das braucht jedes Kind, um wachsen und gedeihen zu können, das braucht jeder Erwachsene, um sich entfalten zu können. Das Bedürfnis nach Sinn und ordnendem Zusammenhang hat deshalb einen ganz wichtigen Platz in unserem menschlichen Selbstveständnis.

Aus diesem Grund bleibt das Reich des Zufalls auf die Evolutionsforschung als Domäne der Naturwissenschaften beschränkt. Sobald mit dem Auftreten des Menschen die kulturelle Evolution beginnt, wirken neue und andere Gesetzmäßigkeiten, die die Frage nach Ordnungsprinzipien in dieser Entwicklung neu aufwerfen. Deshalb werden hier zur Erforschung andere Typen der Wissenschaften gebraucht und eingesetzt. Die Menschen als Geschöpfe des evolutionären Zufalls nehmen ihr Schicksal selber in die Hand und werden damit zu Mitschöpfern einer kulturellen Entwicklungsdynamik, die ihre eigene Logik in sich trägt, wie ich sie in meinem Buch "Vom Mut zu wachsen" nachzuzeichnen versucht habe. 

Einige Grundgedanken zu dieser Entwicklungslogik versuche ich in einem weiteren Blogbeitrag zu verdeutlichen.

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