Montag, 4. November 2013

Das Prinzip Hoffnung und das Jetzt

Die Hoffnung ist verwandt mit der Einstellung des Optimismus. Sie hält sich nicht an Berechnungen und Wahrscheinlichkeiten, und wir brauchen sie nicht, wenn wir keine Zweifel an der Zukunft haben. Erst wenn sich der Horizont des Kommenden einengt, wenn wir keine Gewissheiten und Sicherheiten haben, wie es weitergehen wird, ist die Hoffnung gefragt. Dann stehen wir vor der Wahl, resigniert den Kopf in den Sand zu stecken, oder noch Apfelbäumchen zu pflanzen angesichts eines drohenden Weltuntergangs. Das Hoffen entscheidet darüber, ob wir, von einer schweren Krankheit geplagt, aufgeben und in Pessimismus versinken oder ob wir der Zuversicht Raum geben und uns aktiv am Leben und seiner Kraft orientieren.

Der Logotherapeut und Existenzanalytiker Alfred Längle hat in einem Vortrag vor Psycho-Onkologen mehrere Dimensionen des Prinzips Hoffnung anschaulich verdeutlicht. Er weist darauf hin, dass es wichtige Situationen im Leben gibt, in denen wir auch den unwahrscheinlichen Möglichkeiten eine Chance geben sollten, indem wir uns mit einem sinngebenden Wert verbinden, dem wir wider alle Vernunft die Treue halten. In der Haltung der Hoffnung bleiben wir aktiv, auch wenn sich uns keine Perspektive des Handelns zeigt, und offen für den Raum der Möglichkeiten, der in der gegenwärtigen Wirklichkeit unsichtbar angelegt ist. Hoffnung beinhaltet auch, ein unabwendbares Schicksal zu akzeptieren und auf ein neues Morgen zu vertrauen. Sie beinhaltet das Vertrauen auf ein größeres Ganzes.


Als Teil der Lebenspraxis im Relativen ist die Hoffnung als Haltung unverzichtbar. Wir hoffen, dass wir gesund werden, wenn wir erkrankt sind, und das hilft uns nachweislich, schneller gesund zu werden. Wir hoffen, dass eine Krise, aus der kein Ausweg möglich scheint, vorübergeht und neue Kräfte freisetzt. Wir hoffen beim Einschlafen, dass wir morgen wieder aufstehen werden und unseren Tag nach unseren Plänen durchleben können. Wir schöpfen Kräfte aus diesen vielfältigen Hoffnungen, die uns zuversichtlich im Leben weitergehen lassen. Diese Ressourcen helfen uns im Umgang mit Schicksalsschlägen, den Knackpunkten für das Sein im Absoluten.

Das Prinzip Hoffnung und das Jetzt


Tiefer, aber schwieriger als das Einlassen auf die Hoffnung ist das Einlassen auf das Jetzt. Mit der Sicht auf die Zukunft, die aus der Hoffnung kommt, verstecken wir uns vor einem Teil des Jetzt. An der Hoffnung können wir erkennen, dass wir einen Aspekt dessen, was jetzt gerade ist, anders haben wollen, als er gerade ist. Wenn wir ganz mit dem, was wir gerade erleben, im Einklang und im Frieden sind, ist kein Platz für Hoffnung.


Das Einlassen auf das Jetzt ohne Aussicht auf die Zukunft erfordert paradoxerweise die Freiheit von der Vergangenheit, in ihr liegt der Schlüssel für das Sein im Moment. Denn es sind Ängste aus der Vergangenheit,  die die Aufmerksamkeit aus dem Erleben des Jetzt abziehen.


Damit wird deutlich: Die Hoffnung nimmt ihre Anleihen aus der Vergangenheit, nicht aus dem Jetzt. Das ist ihre Schwäche. Dennoch, es ist keine Lehre für Anfänger in der Lebenskunst, gleich alle Hoffnung fahren zu lassen. Denn die Hoffnung muss erst wider die Resignation, in der „die Liebe zum Leben erstorben“ ist (Längle) zur Wirkung gebracht werden. Wir brauchen sie als Gegengift gegen die Faulheit, Laschheit, Bequemlichkeit und Angepasstheit an Widrigkeiten. Deshalb muss die Hoffnung zunächst erlernt und erfahren, geübt und gepflegt werden. Werden uns die Ängste bewusst, von denen sie gesteuert ist, dann können wir sie immer wieder im Erleben des Moments einfach zum Verschwinden bringen.

Verweis: 

Alfred Längle: Hoffnung – die Beziehung zum Leben halten. In: Jatros Hämatologie & Onkologie 4/13, S. 119 - 122

1 Kommentar:

  1. Obwohl ich distanziert dem institutionalisierten Christentum gegenüber stehe, erkenne ich, dass die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung Grundbedingungen sind für die menschliche Existenz. Ohne Liebe kann das Kind nicht gedeihen. Und sie ist in allen ihren möglichen Formen weltweit bestimmend für unser Leben, obwohl sie weder messbar, wägbar, noch mathematisch berechenbar ist.
    Auch ohne Glauben (Vertrauen) – in übergeordnetem Sinne – kann der Mensch nicht existieren. Selbst wenn er behauptet, er glaube an nichts, so glaubt er doch, eben nämlich dass „er nicht glaubt“. Und er glaubt an die materielle Welt, die ihn umgibt, sonst könnte er überhaupt nichts in ihr bewerkstelligen. Er wäre sonst einzig von Furcht beherrscht.
    Der Mensch ist zunächst einmal ein der Welt gegenüber zutiefst verunsichertes Lebewesen, auch wenn er das in seinem Tagesbewusstsein so nicht (ein)sehen mag.
    Sicherheit gibt es nie. Zukunft ist nie sicher. Deshalb können wir auch zu keinem Zeitpunkt ohne Hoffnung leben. Selbst an den Stellen, an denen wir meinen, keine Zweifel zu haben, hoffen wir dennoch - unbewusst:
    Wir hoffen und folglich glauben (vertrauen) wir auch, dass unseren bisherigen, wiederholt erfolgreichen Erfahrungswerten gemäß auch dieses Mal das erwünschte Ergebnis eintreten wird, obwohl es auch irgendwann einmal anders sein könnte (aus von uns unerkennbaren Gründen).
    Dieses Phänomen des „Sprungs“ zu etwas anderem hin gibt es bekanntlich innerhalb der Natur und erst recht bei menschengemachten Errungenschaften.

    Am Ursprung seines Auftretens war der Mensch eingebettet in die Natur und vorrangig Instinkt geleitet. Für ihn waren Vergangenheit und Zukunft relativ unwichtig. Er konnte ähnlich den Tieren ganz im Jetzt leben.
    Mit seiner Bewusstseinsentwicklung und der zunehmenden Manipulation und Gestaltung seiner Umwelt wurde er zunehmend zielorientiert. Die Sesshaftigkeit als Bauer verlangte die den Jahreszeiten angepasste Vorausplanung von Saat und Ernte, usw., usw. Wie weit wir heute diesbezüglich gekommen sind mit unserer ent-natürlichten Welt wissen wir.
    Wir kommen ohne Ziele nicht mehr aus, sind überwertig ziel- und zukunftsorientiert.
    Dadurch verliert die Menschheit in rasantem Tempo das Gefühl der Einbettung in die natürlichen Prozesse, den Zugang zu den Instinkten und auch zu Tradition und Religion, die für ihn zuvor Sicherheit vermittelnd waren.
    (Die Konsumorientierung ist der momentan favorisierte, haltgebende Rahmen. Wie sicher ist er? … Woran orientiert sich der Mensch dann wieder, wenn dieser Rahmen zusammenbricht?)

    Die Fokussierung des Jetzt muss wieder erinnert und eingeübt werden, damit der Mensch zu einem klareren Selbst-Gefühl kommt, um sich in der Welt bewusst wieder neu positionieren zu können, allerdings nun auf einer anderen Ebene als die der Instinkte.
    Da die Zielorientiertheit in der heutigen Komplexität unserer Zivilisation nicht mehr abgeschafft werden kann, brauchen wir auch dringend die Hoffnung bzgl der Erreichung von Zielen trotz aller tatsächlichen Unsicherheit.
    Ziele ziehen zudem nach vorne und geben dem Menschen Motivation und ein Sinnempfinden, dass ihm dabei hilft, sein in ihm tief vergrabenes Unsicherheitsgefühl (Angst) der Welt gegenüber abzuwehren oder auszuhalten.

    Die Fokussierung auf das Jetzt ist eine Gratwanderung zwischen Bequemlichkeit und mangelndem Verantwortungsbewusstsein auf der einen Seite und von Lethargie, Motivationslosigkeit, Depression auf der anderen Seite, falls Ziele völlig ausgeblendet werden. Die Mitte zu finden und zu halten, dass kann die Hoffnung bewerkstelligen.

    Sowohl das Sein im Jetzt als auch die Hoffnung stabilisieren auf fundamentale Weise, Sie gehören zusammen in einer guten Balance.

    Im Bewusstsein des Jetzt ist es zudem möglich, aus der Distanz die Vergangenheit zu betrachten und sich von ihr zu lösen und dementsprechend andere, neue Entscheidungen zu treffen, die dann prägende Wirkung auf die Zukunft haben. Somit wird in der Gegenwart eine neue Zukunft (die dann wieder Gegenwart wird) geschaffen.

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