Ein französisches Dorf am
Fuße der Pyrenäen wird laut angeblicher Maja-Prophezeiung den Weltuntergang am
21. Dezember überleben. Dieses Dorf heißt Bugarach, und die 180 Einwohner sind
überhaupt nicht erfreut. Nachdem Weltuntergangsflüchtlinge aus aller Welt das
Dorf stürmen, haben sie ihr Gebiet zum Sperrgebiet erklären lassen.
Der Dorfschmied Emile will
sie alle wegschicken: "Wer war bloß der Illuminierte, der gesagt hat, dass
dieses Dorf, und nicht ein anderes verschont wird? Warum schickt man nicht die
Geistesgestörten nach Lourdes?" (ORF-Morgenjournal, 4.12.2012)
Wie kommen Menschen aufIdeen von Weltuntergängen (und Überlebenden derselben)? Wir wissen alle, dass
wir kein sicheres Wissen über die Zukunft haben, dass die Wirklichkeit so
vielgestaltig ist und sich nie ganz in die Karten schauen lässt. Und doch
glauben wir an Prophezeiungen, und offenbar, je absurder sie den Gang der Dinge
kontrastieren, umso tiefer der Glaube.
Wir legen unsere
Erwachsenenvernunft, unseren common sense
beiseite, der uns durch den Alltag einer komplexen Welt begleitet und verhalten
uns wie Kleinkinder, die mit offenem Mund über das staunen, was ihnen die
Erwachsenen erzählen, ohne Unterscheidungskraft über das, was in die Welt der
Fantasien und was in die Welt der wahrnehmbaren Dinge und Sachverhalte gehört.
Wir knüpfen an das magische Denken an, das uns in diesen frühen Jahren vertraut
war und vielleicht immer wieder auch als eine tröstliche Zuflucht diente, wenn
uns die Welt der Menschen und Dinge rau und grob begegnete.
Wir sollten auch
bedenken, was sich im Inneren eines Kleinkindes abspielt, wie sich ein Gehirn
entwickelt und zugleich die Repräsentation der gesamten Außenwelt in ihm, im
schrittweisen wechselseitigen Kennenlernen. Was dabei langsam mitwächst, ist
die integrative Kraft, die das alles zusammenhält, und immer wieder neu
zusammen halten muss. Da kann es zu Engpässen und Überforderungen kommen, vor
allem dann, wenn die Einflüsse von außen in Widerspruch zur inneren Realität
kommen, z.B. wenn Bedürfnisse, die der Organismus anmeldet, überhaupt nicht
oder nicht adäquat erwidert werden. Solche Diskrepanzen überfordern die
integrative Kraft, und die innere Erfahrung ist die einer überwältigenden
Katastrophe.
Vielleicht wundern wir
uns weniger, wenn Menschen Katastrophenfilme anschauen, um sich zwei Stunden
lang zu fürchten und dann erleichtert rausgehen, um zu sehen, dass das alles
nicht wirklich war, sich aber möglicherweise innerlich (unbewusst) zu
bestätigen, dass die Welt ja ohnehin ein gefährlicher Ort ist und dass
niemandem zu trauen ist, nicht einmal der Natur, was z.B. eine Prägung aus
einer nicht aufgearbeiteten Geburtserfahrung sein kann. Wer sich nie auf solche
Erfahrungsebenen eingelassen hat, wird immer wieder unbewusst nach dem Kitzel
solcher Reinszenierungen in der Welt suchen, sei es im Kino oder verdeckter in
allen Bereichen des gestressten Alltagslebens.
Esoterik und Kindlichkeit
Warum allerdings gerade
Menschen, die sich als besonders bewusst bezeichnen, für Katastrophenfantasien
anfällig sind und diese Formen des esoterischen Glaubens oft noch vehement als
Zeichen ihrer besonderen inneren Entwicklung verteidigen, ist schwerer
nachvollziehbar und hat möglicherweise damit zu tun, dass sich in den
Untergangsszenarien unerlöste Themen aus der kindlichen Perspektive in die Erwachsenenwelt
einblenden.
Im Überlebensstil "Verbindung" nach dem NeuroAffectice Relational Model (Laurence Heller) gibt es einen "spiritualisierenden" Untertypen. Geprägt durch frühe Traumatisierung und Bedürfnisfrustration, entwickelt sich als Überlebensstrategie eine dissoziative Abspaltung, mit der alles, was im Leben fehlt, in der spirituellen Dimension gefunden werden kann. Da das Grundvertrauen ins Leben und in die Wirklichkeit nur schwach ausgeprägt ist, reflektiert die Angst vor Katastrophen eine dauernd wirksame innere Anspannung, und die Bemühung um spirituelle Absicherung verspricht die einzige Rettung - wenn die Welt zusammenbricht, werden die Aliens mit ihrem Raumschiff kommen und mich retten.
Jedenfalls können wir deutlich sehen, dass die Esoterik durch einen hohen Anteil an unbewusster Kindlichkeit geprägt und damit aufgeladen ist. Die Vermischung von kindlicher Denkweise und Erwachsenenvernunft ist geradezu ein grundlegendes Merkmal des esoterischen Denkens und Fühlens. Wohl hat die kindliche Lebens- und Erlebensart etwas Wunderbares und Bezauberndes an sich, das wir unser ganzes Leben nicht verlieren sollten. Aber wir sollten darob nicht vergessen, dass wir erwachsen sind (sobald wir es sind) und dass wir deshalb in der Welt und der Welt gegenüber Verantwortung tragen.
Im Überlebensstil "Verbindung" nach dem NeuroAffectice Relational Model (Laurence Heller) gibt es einen "spiritualisierenden" Untertypen. Geprägt durch frühe Traumatisierung und Bedürfnisfrustration, entwickelt sich als Überlebensstrategie eine dissoziative Abspaltung, mit der alles, was im Leben fehlt, in der spirituellen Dimension gefunden werden kann. Da das Grundvertrauen ins Leben und in die Wirklichkeit nur schwach ausgeprägt ist, reflektiert die Angst vor Katastrophen eine dauernd wirksame innere Anspannung, und die Bemühung um spirituelle Absicherung verspricht die einzige Rettung - wenn die Welt zusammenbricht, werden die Aliens mit ihrem Raumschiff kommen und mich retten.
Jedenfalls können wir deutlich sehen, dass die Esoterik durch einen hohen Anteil an unbewusster Kindlichkeit geprägt und damit aufgeladen ist. Die Vermischung von kindlicher Denkweise und Erwachsenenvernunft ist geradezu ein grundlegendes Merkmal des esoterischen Denkens und Fühlens. Wohl hat die kindliche Lebens- und Erlebensart etwas Wunderbares und Bezauberndes an sich, das wir unser ganzes Leben nicht verlieren sollten. Aber wir sollten darob nicht vergessen, dass wir erwachsen sind (sobald wir es sind) und dass wir deshalb in der Welt und der Welt gegenüber Verantwortung tragen.
Die Unterscheidung von
dem, was in die magische Welt des Kinderglaubens und was in die nüchterne Welt
der Erwachsenen gehört, wird uns nicht immer klar sein, und manchmal können wir
da auch durcheinander kommen. Doch gehört es zu den Herausforderungen des
Wachsens, diese Unterscheidung immer wieder neu zu erkennen und zu formulieren.
Dann können wir bewusst in die Kinderwelt ein- und wieder aussteigen, wie es uns
beliebt. Nur so bekommen wir ein klares Gefühl für die Grenzen von Spiel und
Ernst, von Fantasie und Wirklichkeit.
Verantwortung und Verantwortungslosigkeit
Ein Wissenschaftler muss
seine Ergebnisse vor der Forschergemeinschaft rechtfertigen. Er muss seine
Methoden und Berechnungen verbessern und verfeinern, wenn er als
Wissenschaftler gelten will. Wenn er falsche Prognosen liefert, muss angeben
können, wo der Fehler liegt. Sind die Prognosen immer wieder falsch, so
verliert er bald seinen Ruf als Wissenschaftler und muss sich einen neuen Beruf
suchen. Wenn ein Meteorologe Regen voraussagt und es scheint die Sonne, muss er
überlegen, was schief gelaufen ist und wie er die Prognose verbessern kann.
Passiert ihm das fortlaufend, heißt das, dass er ein schlechter Wissenschaftler
ist und dass er seinen Beruf wechseln sollte. So nimmt die Wissenschaft ihre
Vertreter in die Verantwortung, und die Gesellschaft kann sich im Großen und
Ganzen darauf verlassen.
Ein Illuminierter, der
seine Voraussagen in die Welt posaunt, übernimmt dagegen keine Verantwortung
für seine Aussagen und was sie auslösen. Er muss nicht einmal darüber Rechenschaft
ablegen, ob seine Eingebungen aus tiefer Meditation entsprungen sind oder
Ausfluss vom Genuss von Glühwein oder anderem Prozentigem.
Trifft nicht zu, was er
prophezeit hat, wurde er entweder missverstanden, oder er sieht sich darin
bestätigt, dass sich alle jetzt spirituell so angestrengt haben, dass statt der
Prophezeiung ein Bewusstseinssprung stattgefunden hat, den ja niemand
nachweisen kann. Jedenfalls hat seine Prophezeiung nur Gutes bewirkt und war
deshalb sinnvoll und notwendig. Er kann sich ausreden, wie ein kleines Kind,
das die Milch verschüttet hat. Es gibt keine Öffentlichkeit, vor der er Rede
und Antwort stehen muss, keine Gemeinschaft, vor der er Rechenschaft ablegen
muss. Es wird Menschen geben, die sich von ihm abwenden und andere, die ihn
weiter verehren. Die Bücher werden sich schlechter verkaufen, aber der
Hauptumsatz vor der angesagten Katastrophe ist schon eingefahren, und das
nächste Buch mit dem klingenden Namen findet wieder genügend naive Leser, die
schon vergessen haben, was im vorigen Buch stand.
Geschlossene und offene Systeme
Solche Menschen bauen
sich geschlossene Systeme auf: Für alles, was passiert, gibt es eine innere
Erklärung, und Einflüsse von außen dienen nur zur Bestätigung der Innenansicht.
Trifft die Prophezeiung ein, ist sie sichtbares Zeichen für übernatürliche
Fähigkeiten, trifft sie nicht ein, ist sie spürbares Zeichen noch höherer
übernatürlicher Fähigkeiten, nämlich die prophezeiten Katastrophen verhindern
zu können.
Zu solchen geschlossenen
Systemen fühlen sich alle hingezogen, die nach derartigen unwiderlegbaren Sicherheiten
suchen. Auf diese Art entstehen die manifesten Sekten, aber auch die
unsichtbaren, die in der virtuellen Welt aus ähnlichen Motivationen und
Visionen zu den gleichen Denkformen kommen, ob sie sich kennen oder nicht,
ähnlich wie die Fans von Tanz- oder Musikstilen oder Modetrends. Sie verhalten
sich wie die Kinder, die in die Fantasiewelten von Geschichten und Märchen flüchten,
wenn es in der Wirklichkeit zu stressig und unangenehm wird.
Offene Systeme bieten
keine derartigen Sicherheiten, weil sie sich dauernd an neue Umweltbedingungen
anpassen müssen, die nicht vorhersehbar sind. Wenn wir uns auf offene Systeme
(in unserer Innen- und Außenwelt) einlassen, müssen wir mit der Ungewissheit
leben, dass die Zukunft offen ist und dass auf längere Sicht keine
verlässlichen Prognosen möglich sind. Dafür sind offene Systeme zum Unterschied
von geschlossenen außerordentlich lernfähig und flexibel. Sie sind die Motoren
und Motivatoren für die Evolution des Bewusstseins, während in den
geschlossenen Systemen alte Ängste weiterschwelen, die die Entwicklung hemmen.
Doch sie können sich auf
den Schuster Knieriem berufen, der seinen Kometen sicher nur deshalb überleben
konnte, weil ihm trotz all der Ängste der Humor nicht abhanden gekommen ist. So
kann er uns heute noch sein Couplet anbieten:
Es is kein' Ordnung mehr
jetzt in die Stern',
D' Kometen müssten sonst
verboten wer'n;
Ein Komet reist ohne
Unterlass
Um am Firmament und hat
kein' Pass;
Und jetzt richt' a so a
Vagabund
Uns die Welt bei Butz und
Stingel z'grund.
Aber lass'n ma das, wie's
oben steht,
Auch unt' sieht man,
dass's auf n Ruin losgeht.
»Ja, a Kontroll' muss
halt sein, sonst gibt's kein' Kredit!«
So hab'n s' g'sagt, doch
sie wer'n mit uns anders noch quitt.
Was ein richtiges Schaf
is, gibt auch so seine Woll':
Jetzt krieg'n ma an'
Dreck und dazu a Kontroll'!
Da wird einem halt angst
und bang,
Die Welt steht auf kein'
Fall mehr lang lang lang lang lang lang,
Die Welt steht auf kein'
Fall mehr lang.
(Karl Kraus nach Johann
Nestroy)
(Vgl. den Blog vom 13.1.2012: Zum Jahresbeginn 2012 - eine Anprangerung)
Literatur: Laurence Heller: Healing Developmental Trauma. Berkeley, North Atlantic Books, 2012
(Vgl. den Blog vom 13.1.2012: Zum Jahresbeginn 2012 - eine Anprangerung)
Literatur: Laurence Heller: Healing Developmental Trauma. Berkeley, North Atlantic Books, 2012
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