Donnerstag, 22. Dezember 2011

Der Kapitalismus als kollektive Sucht und wie wir damit umgehen könnten

Der Kapitalismus verhält sich als Ganzer wie ein Süchtiger als Individuum. Er kann von der von ihm eingeschlagenen Richtung nicht mehr abgehen. Er kann keine Einflüsse, die seiner Logik widersprechen, berücksichtigen. Er ist nur im Kontext seiner Fixierungen lern- und veränderungsfähig.

Deshalb muss der Kapitalismus von außenstehenden, selber nicht süchtigen Instanzen in die Pflicht genommen werden. Seine Eindämmung erfordert politische Kräfte, die ihm übergeordnet sind und die anderen, nicht-materialistischen  Werten und Richtlinien verpflichtet sind.

Und das ist die Ordnung, die für die Weiterentwicklung der Menschheit wichtig ist: Die Wirtschaft muss der Politik untergeordnet sein, und die Politik darf nicht nach den Prinzipien der Wirtschaft vorgehen, sondern muss sich auf personalistische (z.B. die Rechte der Menschen auf ein menschliches Leben) und systemische (z.B. die Berücksichtigung aller Interessen, die der Starken und die der Schwachen) Grundorientierungen stützen.
Das politische System muss auch in der Lage sein, die Beweglichkeit des Kapitals zu kontrollieren. Kaum fühlt sich das Kapital irgendwo durch äußere Regulationen in seiner Gier beschnitten, weicht es aus und sucht sich ein Territorium, in dem es niemand kennt oder niemand da ist, der etwas gegen seine Auswüchse unternimmt. Das politische System braucht also eine übernationale Macht, die über die Grenzen von Staaten und Staatenverbindungen hinaus wirken kann.

Letztlich wird der Kapitalismus nur dann voll im Dienst der gesamten Menschheit arbeiten können, d.h. seine Suchtmechanismen als Dienstleistungen zur Verfügung stellen, wenn es ein Welt-Wirtschaftsministerium gibt, das die Regeln festsetzt, durchführt und überwacht, nach denen sich die Wirtschaft in ihrem Funktionieren richten muss. Krisen, die in der Wirtschaft zyklisch auftreten, würden dann nicht mehr die treffen, die beständig ihre Arbeitskraft in die Wirtschaft einbringen, sondern die, die durch günstige Voraussetzungen und nicht durch ihre Arbeit mehr an den Aufschwüngen verdienen, als die, die ihn erarbeiten; "Blasen“, die das Finanzsystem immer wieder aus sich heraus gebiert, würden schon im Ansatz erkannt und therapiert. Fantasiegehälter, die aus solchen Blasen hervorsprudeln, gäbe es dann nicht mehr. (Niemand wäre so wichtig, dass er einen privaten Hubschrauber und eine eigene Insel als Wohnsitz benötigt.)

Es kann uns schwindlig werden, wenn wir auf die die Geschwindigkeit schauen, mit der der Kapitalismus operiert, verglichen wird mit der Langsamkeit, in der sich die politischen Institutionen entwickeln. Freilich hinkt das politische System meistens hinterdrein (auch, weil es vergessen hat, dass es Visionen braucht) und sieht gerade noch die roten Lichter, wenn die nächste Firma mit Sack und Pack in die nächste Steueroase losfährt. Die sorgsame Beachtung aller unterschiedlichen Interessen, wie sie das politische System braucht, um zu guten Lösungen zu kommen, braucht Zeit. Wenn jedoch solche Lösungen geschaffen werden, die die Menschen als ihnen selber gerecht erkennen, nimmt das den Suchtstrukturen die Kraft. Süchtig wird nur der, der die Aussicht auf das, was ihm im Inneren guttut und was ihn wirklich nährt, verloren hat.  Die Hoffnung, aus den Fängen der Sucht zu entkommen, lebt, solange der Süchtige lebt.

Statt dessen könnte auf den Ausgleich der verschiedenen Regionen hingearbeitet werden, bis ein ausbalanciertes Niveau des Wohlstandes auf der Welt entstanden ist. Irgendwann dann sollte jede Arbeitsleistung, die ein Mensch erbringt, durch einen annähernd gleicher Ausgleich kompensiert werden. Es sind das keine revolutionären Ideen, sondern das, was wir alle wissen, wenn wir ein wenig nachdenken, und was uns allen wichtig ist, wenn wir ein wenig nachspüren.

Mancher mag solche Perspektiven als sozialromantisch abtun. Aber sie sind eigentlich ganz offensichtlich – wohin sonst sollte sich die Welt entwickeln? Jeder will im Grunde, dass es allen gut geht, dass nicht einzelne sich maßlos bereichern und die anderen dafür die Zeche bezahlen. Naiv ist nur die Annahme, dass alles einfach und schnell gehen müsste oder dass irgendein Patentrezept alles schlagartig zum Besseren wendet. Auch die Hoffnung auf Polsprünge oder Sonnenproturberanzen, auf wohlmeinende Aliens halte ich nicht für ausreichend.

Vielmehr macht es Sinn für unser Wohlbefinden, wenn wir über die Tellerränder der aktuellen Medienberichte hinausblicken. Wir brauchen nicht wegen trister Nachrichten und angstmachender Prophezeiungen in Depressionen zu verfallen, sondern können darauf vertrauen, dass die Kraft der Evolution langsam, aber beständig daran arbeitet, die Lebensbedingungen auf diesem Planeten zu verbessern. Machen wir uns frei von der Ungeduld, mit der uns unser Verstand drängt, dass alles schneller gehen müsste. Wie lange das Universum, um einen Stern zu erschaffen? Wie lang braucht die Natur, um eine neue Tierart hervorzubringen?

Im Vergleich dazu hat sich die Menschheit in ihrem Bewusstsein in den letzten Jahrhunderten geradezu rasant entwickelt: Die Menschenrechte wurden zu einem allgemein anerkannten Standard auf der ganzen Welt, die Sklaverei wird geächtet, ebenso wie jede andere Form von Gewalt gegen Menschen, nicht nur und Taten, sondern auch in Worten.

Dass das, was für gut, richtig und menschlich angesehen wird, deshalb noch lange nicht in alle Schichten des Verhaltens und in alle Strukturen des Zusammenlebens eingedrungen ist, liegt in der fehlbaren Natur des Menschen. Andererseits führt der Weg der Veränderung über die Veränderung der Einstellungen zur Veränderung der Verhaltensweisen. Das soziale Gewissen hat sich verfeinert und ausgeweitet, und diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Sie wird immer mehr Menschen dazu bringen, nicht mehr mitzuspielen, wenn es um Menschenverachtung geht, aber sich dort einzubringen, wo die Würde der Menschen gestärkt und gefestigt wird.

Damit stärken und festigen sich die Kräfte, die neuen Ordnungen des Wirtschaftens, der Güterproduktion und –verteilung sowie der Dienstleistungen zum Durchbruch verhelfen. So kann das Vertrauen der Menschen wieder wachsen, und wachsendes Vertrauen setzt Kräfte und Ideen frei. Wo Vertrauen herrscht, weitet sich das Innere und schafft Platz für Mut und Kreativität.

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