Aufklärung besteht nach Immanuel Kant in der Befreiung der Menschen aus der Unmündigkeit. Unmündigkeit bedeutet, die Verantwortung für das eigene Leben nicht tragen zu können oder zu dürfen. Die Botschaft der Aufklärung besagt, dass die erwachsenen Menschen ein Recht auf ihre Mündigkeit haben und dass dieses Recht gegen alle Bedrohungen geschützt werden muss. Kant hat auch auf die Unmündigkeit im Denken hingewiesen – die obrigkeitliche Vorschreibung dessen, was die Menschen denken und für wahr halten sollten. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, so lautet die Losung der Aufklärung nach Kant. Er hat den Mangel an Mündigkeit vor allem auf fehlende Entschlossenheit und Feigheit zurückgeführt. Sich aus der „beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten“, hat er als schwieriges Unterfangen beschrieben.
Kant ist aber auch auf die politischen Bedingungen eingegangen: „Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks vorteilhaft und setzt ihr doch unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem Raum, sich nach allem seinen Vermögen auszubreiten. Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.“
Er vertritt die Auffassung, dass es einen Ausgleich zwischen den bürgerlichen Freiheiten und der staatlichen Kontrolle braucht, damit die Aufklärung gedeihen und in gemäßigten Bahnen verlaufen kann. Mehr Freiheit ermöglicht jedenfalls mehr freies Denken, und die Befreiung des Denkens führt zur würdigen Behandlung der Menschen. Ungeregeltes Denken läuft Gefahr, in die Irrationalität abzugleiten, sodass Gefühle statt dem Denken die Äußerungen dominieren. Die Folgen der schrankenlosen Meinungsfreiheit können wir an der ausufernden, von Hassbotschaften verschmutzen Landschaft auf diversen Plattformen der sogenannten sozialen Medien beobachten. Hier könnten nur staatliche Maßnahmen regulierend eingreifen. Zu viel an obrigkeitlicher Kontrolle wiederum unterdrückt die Freiheit und beschneidet die Menschenwürde.
Entmachtung von Ideologien
Die Aufklärung hat sich der Aufgabe verschrieben, Aberglaube, Irrationalität und Ideologien zu entlarven und zu entmachten. Es soll der menschlichen Vernunft die maßgebliche Rolle für die Gestaltung der Gesellschaft und des Staates eingeräumt werden. Rechtsgerichtete sind Gegner der Aufklärung, weil sie ihre Ideologie für sakrosankt erklärt haben – manchmal sogar im wörtlichen Sinn, also verbunden mit einem religiösen Anspruch. Deshalb interpretieren sie jeden Angriff auf ihre Ideologie als Angriff nicht nur auf die eigene Partei oder politische Ausrichtung, sondern gleich auf den Staat und das Volk insgesamt. Ihr politischer Kampf bemäntelt sich dann mit dem scheinbaren Einsatz für das Ganze, das sie allerdings mit ihrer Ideologie besetzt haben.
Der kritische Ansatz der Aufklärung ist also ihr natürlicher Feind. Sie droht, ihnen Die Grundlage ihres Weltbildes ist eine Ideologie, und die Aufklärung bedroht diese Ideologie und damit die Rechtfertigung ihres Weltbildes. Deshalb haben alle Rechten liberales Gedankengut, liberale Werte und die Ideen der Menschenrechte, die aus der Aufklärung entstanden sind, zu ihrem Feindbild auserkoren. Diese Feindschaft kann so weit reichen, dass die Bildungsinstitutionen unter Druck gesetzt werden, ideologische Inhalte zu vermitteln, statt kritisches Denken zu fördern.
Natürlich haben sich auch auf der linken Seite des politischen Spektrums Ideologien ausgebildet, die zum Beispiel für den Aufbau von repressiven kommunistischen Herrschaftsmodellen herhalten mussten. Andererseits ist auf der Seite der linken Intellektuellen schon früh die Ideologiekritik entstanden, mit Karl Marx, Theodor W. Adorno, Jean Paul Sartre und Louis Althusser als wichtigen Vertretern. Die Ideologiekritik steht in der Tradition der Aufklärung, die vor allem von liberalen und linken Denkern und Wissenschaftlern aufrechterhalten wird und eine Form der Selbstkritik und Selbstreinigung beinhaltet. Sie bildet eine Instanz zumindest zur Reflexion oder zur Korrektur von allen ideologischen Auswüchsen, ob von linker oder von rechter Seite.
Starrheit als Folge fehlender Selbstkontrolle
Ein Merkmal der Rechten besteht hingegen darin, in ihren Reihen über keine Korrekturmechanismen für ihre Ideologien zu verfügen. Vielmehr werden Kritiker schnell aus den eigenen Reihen ausgesondert. Allerfalls gibt es intern Auseinandersetzungen zwischen radikaleren und gemäßigten Strömungen. So sind aktuell die einzigen, die dem absolutistischen Machtkurs des gegenwärtigen US-Präsidenten Einhalt gebieten, noch radikalere Republikaner.
Das Fehlen einer ideologischen Selbstkontrolle bei den Rechten bewirkt, dass die Ideengebäude starr und monolithisch bleiben, was Anhänger anzieht, denen gesellschaftliche Änderungen und Weiterentwicklungen generell nicht geheuer sind. Da sich die Wirklichkeit beständig verändert, koppeln sich die rechten Ideologien immer weiter von ihr ab; sie kompensieren diesen Mangel damit, dass sie die Wirklichkeit solange zurechtzimmern, bis sie zur Ideologie passt. Es werden also die äußeren Bedingungen der Ideologie angepasst, indem sie so interpretiert werden, dass sie die Ideologie bestätigen; alles Widersprechende wird ausgeblendet. Für diese Umdeutung der Realität benötigen die rechten Machthaber und Interessensgruppen umfangreiche Propagandaapparate, die fortlaufend mit großem Aufwand die Unterschiede zwischen der Ideologie und den realen Gegebenheiten einebnen müssen. Wenn beispielsweise die Ideologie maßgeblich ist, dass Ausländer den eigenen Wohlstand bedrohen, müssen alle Befunde, die das Gegenteil belegen, umgedeutet oder abgewertet werden. Einzelfälle, die die Ideologie unterstützen, werden aufgebauscht, während Statistiken oder wissenschaftliche Studien unterdrückt werden, die gegen die Ideologie sprechen. Gleichermaßen wird vorgegangen, wenn es um die Kriminalität von Inländern und Ausländern geht.
Für alles Schlimme suchen die rechten Ideologien Sündenböcke, an deren Gefährlichkeit ohne jede Evidenz und gegen alle widersprechenden Fakten festgehalten werden muss, weil sonst die ganze ideologische Erzählung zusammenbrechen würde. Wenn z.B. alle gewusst hätten, dass es keine jüdische Rasse gibt und dass die Juden in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nur einen kleinen Teil des Bankengeschäftes in Deutschland kontrolliert haben, wären sie der nationalsozialistischen Propaganda nicht auf den Leim gegangen.
Verblendung und Wiedergewinnung der Klarsicht
Ideologien dienen der Verblendung, also der Einschränkung der Klarsicht auf die Wirklichkeit, so wie sie ist. Sie suggerieren Erwartungen, wie die Realität sein soll, damit sie so wahrgenommen wird, wie es die Ideologie vorgibt. Die Aufklärung geht den umgekehrten Weg: Sie prüft die Realität und an der Realität die Ideologien. Taugt eine Ideologie dafür, die Wirklichkeit besser verständlich zu machen, sodass die praktische Orientierung erleichtert wird, oder erschwert sie dieses Verstehen und die daraus folgende Handlungsanleitung? Wenn wir der Aufklärung und ihren Maximen folgen, bleiben wir mit der Realität in Verbindung und verfügen damit über die größtmögliche Freiheit und Flexibilität für unsere Wertsetzungen und Handlungen. Außerdem orientiert sich unsere Ethik mit dieser Zugangsweise an der Menschlichkeit und am Gemeinwohl und nicht am Eigennutz, an Gruppenegoismen oder an den Interessen von Ideologien und Ideologen.
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Taktiken zur Machtergreifung
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff von rechts
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