Freitag, 20. Dezember 2019

Der Zynismus der zukunftsignoranten Politiker

Ein heißes Streitthema bei der Klimakonferenz in Madrid war die Frage, ob die Staaten angesichts tausender besorgniserregender wissenschaftlichen Studien und zunehmenden Klimakatastrophen „dringend“ etwas unternehmen sollten oder nur dazu „eingeladen“ werden, klimaschützende Maßnahmen zu setzen. Es wurde also zäh verhandelt, ob eine gewisse Problemlage vorliegt, die dringend nach Lösungen verlangt, oder ob die Weltgemeinschaft die Staaten, die die Problemlage verantworten, nett dazu ein, sich vielleicht zu überlegen, freundlicherweise etwas zu tun, mit vollstem Verständnis, wenn es doch gerade nicht konveniert, und so lauten die Antwort mancher Politiker: “Vielleicht tun wir was bis 2030, 2040 oder 2050, aber das entscheiden wir selber, da lassen wir uns nicht dreinreden.”

Angesichts der zunehmenden Emissionen und angesichts allseits steigender Temperaturen, die mittlerweile jeder aus persönlicher Erfahrung bestätigen kann, erscheint die Diskussion und die dafür aufgewendete Zeit über solche Fragen erbärmlich und zynisch. Die Notlagen von Millionen Menschen, deren Existenz durch die Klimaentwicklung bedroht ist, und die Sorgen von Milliarden um eine lebenswerte Zukunft werden einfach spöttisch ignoriert und dringend notwendige Maßnahmen werden zu Tode verfeilscht. Zynisch ist eine Haltung, die andere Menschen, deren Anliegen, Werte und Normen hämisch und verspottend entwertet und der Lächerlichkeit preisgibt.

Zyniker sind Rechthaber und Besserwisser, sie wissen schnell an allem etwas auszusetzen, ohne Alternativen anzubieten. Kritik wird mit beißendem Spott vorgetragen, der die Objekte herabwürdigt und lächerlich macht. Zyniker verhalten sich immer distanziert zu dem, was sie kritisieren, denn jede Form von emotionalem Betroffensein durch die Ereignisse oder Zustände in der Umgebung wäre ein Zeichen von Schwäche. Sie möchten um keinen Preis an die eigene Verletzlichkeit erinnert werden. Schwäche zu zeigen ist schambesetzt; die Schwächen der anderen und der Welt spöttisch und treffsicher aufs Korn zu nehmen, schützt vor dieser Scham.  

Die Taktik des Zynismus besteht darin, Teile aus der Wirklichkeit herauszupicken und gegen das Ganze zu kehren. Ein Makel an einem Gebäude, an dem sonst alles passt, dient als Zielscheibe des Spottes, der sich gegen den ganzen Bau und den Architekten richtet. Eine unüberlegte Äußerung, schon wird die ganze Person lächerlich gemacht; eine unpassende Handlung, und der ganze Mensch ist der Abwertung preisgegeben. 

Zyniker beeindrucken durch ihre scheinbare Selbstsicherheit und Coolness gegenüber den Herausforderungen der Wirklichkeit. Das macht sie attraktiv als Führungspersönlichkeiten und Politiker. Diese abgebrühte Überlegenheit und ignorante Nonchalance möchte jeder gerne haben.

Die Kehrseite des Zynismus ist die emotionale Kälte und Mitleidlosigkeit gegenüber jeder Form von Schwäche und Verletzbarkeit. Solange ein Zyniker in der Machtposition ist, setzt er sich über alle Rücksichtnahmen hinweg, zieht seine Linie durch und nimmt alle Gegenmeinungen als Anlass zur Verspottung. Selber von engstirnigen Interessen geleitet und gut Freund mit allen möglichen Lobbyisten und Schmeichlern, sieht der zynische Politiker in seinen Gegnern nur Marionetten und Dilettanten (siehe auch die beliebte Etikettierung von Greta Thunberg als Handlangerin von irgendwelchen gierigen Geschäftsinteressen).

Aus all dem geht hervor, dass Zyniker denkbar ungeeignet sind, komplexe Sachverhalte ausgewogen zu beurteilen und auf dieser Basis durchdachte Entscheidungen zu treffen. Sie sind also für den Job eines Politikers im 21. Jahrhundert katastrophale Fehlbesetzungen und wirken wie Relikte aus vergangenen Zeiten, in denen noch nicht klar war, ob es in der Politik um Menschenverachtung oder um das Gemeinwohl und das Überlebensinteresse der Weltgesellschaft gehen solle. Doch diese Tradition der Verehrung von zynischen Haxlbeißern und Menschenverächtern ist in den Köpfen vieler Wähler fest mit Politik assoziiert und entspricht inneren hassgeladenen Wunschbildern. Offene emotionale Rechnungen aus frühen Kindheitserfahrungen speisen die Erwartungen an zynische Politiker, die die Katastrophen der persönlichen Geschichte wichtiger nehmen sollen als die Obsorge für das Überleben der Menschheit und andere „abstrakte“ Probleme.

Zu hoffen ist, dass die junge Generation, in der sich jetzt viele für die Belange des Klimas und die damit verbundenen politischen Entscheidungen engagieren, die Mehrheit der Wählerschaft bilden und damit den zynischen Demagogen die Macht nehmen und eine Demokratieform begründen, in der die Natur eine stärkere Stimme hat als die Wirtschaftsbosse.

Bleibt angesichts der mächtigen nationalen Egoismen und bornierten Schutzhaltungen in der Klimafrage nach zwei Wochen ergebnislosen Feilschens auf der Weltklimakonferenz auch nur mehr der Zynismus einer Weltuntergangshaltung übrig? Dem Nichtergebnis einer Versammlung, bei der die Zyniker mit ihrer Verweigerungshaltung dominierten, weil sie gemeinsame Beschlüsse mutwillig blockieren können, mit Zynismus zu begegnen, wäre selber nur ein Zeichen von Resignation und Selbstaufgabe. Statt dessen gilt es, die Fackel des Widerstandes gegen alle Egoismen (der narzisstischen Politiker und der Staaten, die sich selbst an erste Stelle setzen) hochzuhalten und alle Initiativen mit den verfügbaren Kräften zu unterstützen. Wir können alle einen Unterschied machen, indem wir unsere Handlungen und unsere Einstellungen verändern - von der Selbstbezogenheit auf die Bedürfnisse und Anliegen der Gemeinschaft, auf den Schutz der Natur und der Menschenrechte. 

Zum Weiterlesen:
Das Pathos der Beschämung in der Klimadebatte

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen