Spirituelle Lehren verwenden häufig an zentralen Stellen sprachliche Gemeinplätze in der Form von Kreissätzen. Das Alltagsdenken mit seiner am Praktischen orientierten Logik kann damit nicht viel anfangen. Deshalb eignen sich solche Sätze für Kabarettnummern und bieten flapsigen intellektuellen Skeptikern Anlass für Pointen.
Ein Beispiel für einen spirituellen Sprachkreis: „Es geschieht alles so, wie es bestimmt ist = Es ist so bestimmt, wie es geschehen soll.“ Geschehen und Bestimmung ist eins, und beide bedingen sich wechselseitig. Was geschieht, ist bestimmt, was bestimmt ist, geschieht.
Damit ist kein Informationsgewinn verbunden, sondern es wird bestätigt, was schon bestätigt ist. Also ist die Nachricht redundant, es kommt nichts Neues damit rein. Wozu also das Brimborium, wozu der Heiligenschein um einen solchen Satz herum?
Der Sinn eines spirituellen Satzes liegt nicht im Übermitteln einer neuen Information, sondern im Vermitteln einer Haltung zum Leben. Der Satz zielt auf einen Meta-Sinn: Worum geht es im Leben? Wie verhalte ich mich zu dem, was geschieht?
Wenn alles, was geschieht, bestimmt ist, heißt das, es soll genauso sein, wie es geschieht. Es heißt, dass es gut so ist, wie es geschieht. Das ist also keine Aussage über die Fakten, es ist aber auch keine Aussage im Sinn einer ethischen Wertung. Denn auf der Ebene der Ethik können und müssen wir vieles nicht gutheißen, was geschieht. Im Gegenteil, wir sind aufgefordert, gegen Unrecht, Unmenschlichkeit, Misshandlungen und Gewalt zu protestieren und all das, soweit es in unserer Macht liegt, zu verhindern.
Allerdings gibt es eine Ebene, die jenseits der ethischen Einschätzung liegt, eben die spirituelle. Sie umfasst zwar die ethische Dimension ebenso wie die des pragmatischen Wirklichkeitsbezugs, geht aber darüber hinaus. Sie bringt den Menschen in seine innere Mitte, in seine Balance, indem sie die Möglichkeit anbietet, dass wir das, was passiert, nicht in Frage stellen müssen, sondern so akzeptieren können, wie es eben kommt. Mit dieser Einstellung wird auch das Umgehen mit den anderen Ebenen gefördert.
Die bewertungsfreie Ebene ermöglicht, in Frieden zu kommen mit allem, was auf den anderen Ebenen nicht im Frieden ist. Ein häufiges Missverständnis besteht darin, dass dieses In-Frieden-Kommen mit dem Unfrieden als ein Sich-Abfinden, als eine resignative oder zynische Abkehr von der Welt aufgefasst wird. Dem Missverständnis unterliegen im Übrigen nicht nur Beobachter von außen, sondern manchmal auch die Akteure selbst. Denn die spirituellen Lehrsätze werden dann zu Leersätzen, wenn sie genau dafür verwendet werden, die eigene Überforderung oder Bequemlichkeit angesichts der friedlosen Umstände des Lebens zu rechtfertigen: Es ist ja alles gut so wie es ist, also brauche ich nichts tun und kann mich zurücklehnen.
Den Frieden finden mit dem, was nicht im Frieden ist, bedeutet, nicht gegen das anzukämpfen, was geschieht, sondern mit ihm mitzugehen und mitzuleben. Dann ist es am besten möglich, das Notwendige und Passende zu tun, wo etwas zu tun ist, und das Unnotwendige zu lassen. Es geht um die Haltung der Gelassenheit, aus der heraus das Handeln im richtigen Maß und in der optimalen Orientierung stattfinden kann. Gelassenheit hat nichts mit Gleichgültigkeit oder Passivität zu tun, sondern bildet den Hintergrund für Aktivitäten, die aus der entspannten Wachheit und Achtsamkeit für die Erfordernisse des Moments kommen.
Spirituelle Kreissätze machen also nur dann einen Sinn, wenn Sprecher und Empfänger in diesem Modus der Gelassenheit sind. Sie können auch als Verlockung dienen, in diesen Zustand zu kommen, wenn ihm jemand schon sehr nahe ist. Dann lassen solche Sätze ein Gefühl der Weite und Offenheit erahnen, das zum Verweilen und tieferen Erkunden einlädt. Sie dienen als Türöffner für eine Welt der inneren Freiheit, nach der wir immer wieder auf der Suche sind.
Die Sätze können auch als Hypothese ausprobiert werden: Wie fühlt sich das an, wenn ich annehme, dass alles, was geschieht, auch so bestimmt ist? Kann ich mich dabei tiefer entspannen oder regen sich Widerstände? Wenn letzteres der Fall ist, „ist es auch bestimmt, dass es so geschieht“, sprich ist es nicht weiter tragisch, und es heißt, dass ich mich auf einer anderen Bewusstseinsebene befinde. Merke ich, dass mich der Satz tiefer mit mir und der Wirklichkeit verbindet, hat er seine Wirkung getan.
Deshalb ist es wichtig, mit solchen Sätzen, auch wenn sie schon als hilfreich für sich selber erfahren wurden, nicht wahllos oder unbedacht um sich zu werfen. Wenn die Adressaten nicht auf der entsprechenden Wellenlänge sind, kann die spirituelle Lehre mehr Schaden als Nutzen anrichten. Aus der Lehre wird eine Belehrung, und Belehrungen haben üblicherweise nur eine Richtung: von oben nach unten. Niemand ist gerne unten.
Immer sollten wir uns auch daran erinnern, dass es in sprachlicher Form keine absoluten Wahrheiten geben kann. Alles, was wir haben, sind vorläufige Formulierungen, und diese machen nur Sinn, wenn sie an den jeweiligen Kontext, also an die Bewusstseinsebene der Empfänger, angepasst sind. Spirituelle Kreissätze sind trotz ihrer erhabenen Gravität, die sie für Eingeweihte ausstrahlen, auch nur relative, sprich scheiteranfällige Versuche, das Absolute zum Vorschein zu bringen. Diese Sätze brauchen also nicht den Anspruch auf Wahrheit zu erheben, sondern bieten sich als Dienstleister an, die wir wahlweise nutzen können.
Auch die Poesie nutzt diese Form der Redundanz: „Es ist, was es ist, sagt die Liebe“, lautet der Refrain in Erich Frieds bekanntem Gedicht. Der Dichter verweist mit der scheinbar nichtssagenden Formulierung auf das Unaussagbare, also auf das Spirituelle. Er macht uns darauf aufmerksam, dass wir mittels Informationen die Mysterien nicht verstehen können, z.B. das Geheimnis, was die Liebe ist.
Vgl. Im Unfrieden in Frieden sein
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