Dienstag, 17. Juni 2014

Besitzdenken macht ökonomisch unvernünftig

Was wir besitzen, werten wir auf. Das gilt auch für ganz banale Dinge. Dahinter steckt ein psychologischer Mechanismus, der sogenannte Besitztumseffekt (englisch: Endowment-Effect), der von den US-Wirtschaftswissenschaftern Richard Thaler Daniel Kahneman erforscht und experimentell bestätigt wurde.

Kahneman und Kollegen ließen Versuchspersonen eine Tasse für einen Preis zwischen 0,25 und 9,25 US-Dollar kaufen. Die Käufer waren bereit, dafür im Schnitt drei Dollar zu bezahlen. Die anderen Teilnehmer bekamen die gleiche Tasse geschenkt und verlangten beim Weiterverkauf sieben Dollar - viel mehr, als die anderen zahlen wollten.

Bei dem ursprünglichen Experiment wurden zwei Gruppen gebildet. Die erste Gruppe (die Verkäufer) bekamen Tassen und wurden gefragt, welchen Preis zwischen $ 9,25 und $ 0,25 sie fordern würden, um die Tasse zu verkaufen. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe wurden gefragt, welchen Preis sie zahlen würden, um die Tasse zu erhalten. Der Preis der „Verkaufsgruppe“ lag im Mittel bei $ 7,12, während der Preis der „Kaufgruppe“ gerade mal bei $ 2,87 lag.


Besitz macht Gegenstände wertvoller


Die Erklärung der Ökonomen: Selbst der kurzzeitige Besitz eines Gegenstands lässt ihn subjektiv wertvoller erscheinen. Der Grund dürfte darin liegen, dass Verluste höher gewichtet werden als Gewinne. Doch handelt es sich beim Besitztumseffekt um eine anthropologische Konstante? Ist er allen Menschen angeboren und damit ein universelles Phänomen?

Forscher um Nicholas Christakis (Harvard University) sind diesen Fragen nachgegangen. Dazu reisten sie zu einem der letzten Jäger-und-Sammler-Völker dieser Erde, den Hadza im Norden Tansanias, die in kleinen Gruppen von 30 Personen völlig abgeschieden von der Umgebung leben.

Hazda-Gruppe (Quelle: http://nathanward.com)

Bei den Hadza ist Teilen und Gemeinbesitz eine soziale Norm. Die Männer jagen wilde Tiere, die Frauen sammeln Früchte, das Essen wird geteilt. Und das schlägt auch auf den Besitztumseffekt durch, wie die Ökonomen in einer Studie zeigen konnten.


Die Forscher schenkten den Hadza einmal Kekse, ein anderes Mal ein Feuerzeug. Nachdem sie das Geschenk erhalten hatten, konnten sie es gegen Kekse mit anderem Geschmack oder ein anderes Feuerzeug eintauschen. In westlichen Kulturkreisen wurde dieses Experiment schon mehrmals durchgeführt. Das Ergebnis hier: Die Probanden hielten das, was sie bekommen hatten, für wertvoller - und tauschten kaum.

Ganz anders bei den Hadza: Gut die Hälfte der Versuchsteilnehmer war bereit, ihr Geschenk zu tauschen. Das ist auch der Anteil, den man bei rational handelnden Individuen bei gleichwertigen Gütern erwarten würde. Das besitzlose Volk ohne marktwirtschaftliche Erfahrungen agierte ökonomisch "klüger" als die Menschen in der westlichen Konsumgesellschaft.

Die Wissenschaftler schließen daraus, dass der Besitztumseffekt kein universelles Phänomen ist, sondern von der Kultur geprägt wird, in der man lebt. In einer Gesellschaft, die keinen Besitz kennt, gibt es logischerweise auch keinen Besitztumseffekt. 


Kommentar


Soweit der Zeitungsbericht, und dazu mein Kommentar: Die Konsequenz des Besitzens ist die emotionale Aufladung der Dinge, die wir haben, und damit die Bindung an sie, sowie die Selbstdefinition, die auf ihnen gründet. Das Verdinglichungsdenken nimmt seinen Lauf. Kulturen mit starker Verdinglichungstendenz sind zwar offenbar wirtschaftlich erfolgreicher, aber nicht ökonomisch rationaler. Die weiterreichende Schlussfolgerung aus den Untersuchungen könnte deshalb lauten, dass ökonomischer Fortschritt nicht auf  Rationalität, sondern auf Irrationalität gegründet ist. 


Der große Etikettenschwindel des Kapitalismus liegt dann nicht nur darin, dass alle als Nutznießer ausgegeben werden, während nur wenige die eigentlichen Gewinner sind, sondern auch darin, dass der homo oeconomicus, das rational handelnde Individuum die freie Marktwirtschaft und Güterproduktion garantiert, sondern der homo inoeconomicus, der irrational handelnde Mensch. Er meint, seinem besten Nutzen zu folgen, ist aber in Wirklichkeit von emotionalen Motiven gelenkt, die ihm nicht bewusst sind: Macht, Gier, Besitz. Die Ängste, die hinter diesen Motiven stecken, sind die Triebkräfte der wirtschaftlichen Entscheidungen, und nicht eine kalkulierende und kalkulierbare Vernunft.


Und diese Schlussfolgerung haben die Marketingstrategen schon lange gezogen: Nicht an die Vernunft, sondern an die Gefühle der Kunden anzudocken, um in deren Innenwelt die Andockstellen zu implantieren, in die die Produkte eingepasst werden, für deren Besitz (für deren Erwerb sie die Erträge ihrer Arbeitskraft eintauschen) sich die Individuen dann glücklich fühlen müssen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen