Sonntag, 16. Februar 2014

Friede ist nicht das Gegenteil des Krieges

Friede ist immer da, ob jetzt alles ruhig ist oder ob Kriege toben. Unfriede ist, wenn wir den Frieden nicht wahrnehmen können. Weil wir so wenig Zugang zu dem Frieden in uns haben, leben wir immer noch mit der Realität des Unfriedens. Das Leben ist nicht aus einem „Daseinskampf“ entstanden, sondern aus seiner inneren Kreativität, die es ihm ermöglicht hat, trotz Zerstörungen und Vernichtungen weiter zu wachsen.

Als Immanuel Kant seine Schrift vom Ewigen Frieden veröffentlichte, hatte er wohl eine Verfasstheit des Gemeinwesens und der Weltgesellschaft im Auge, in der Kriege ein für alle Mal unterbunden werden können, mit dem utopischen Ziel, Bedingungen für eine Ordnung zu entwerfen, innerhalb derer keine Kriege stattfinden können. In dieser Tradition habe ich auch in meinem Buch die Etablierung einer Weltregierung mit Gewaltmonopol als Bedingung der Möglichkeit für die Verunmöglichung von Kriegen vorgeschlagen und eingefordert.

Eine erweiterte Sichtweise auf dieses Thema, die uns vor allem auf der Ebene des holistischen Bewusstseins zugänglich wird, beruht darauf, dass der Friede primär eine innere Verfasstheit ist, die wir kultivieren können, gleich wie die äußeren Bedingungen gerade beschaffen sind.

Wir müssen den inneren Frieden einüben, weil er vielen Gewohnheiten widerspricht, die uns vertraut sind und unser Leben regieren, Verhaltens-, Gefühls- und Denkgewohnheiten. Die Übung gelingt leichter, wenn wir nicht mitten im Getümmel sind. Wir müssen erst die Zugänge öffnen, die uns zu dieser Erfahrung des inneren Friedens führen, sodass wir dann wahrnehmen können, dass Kriege immer nur an einer Oberfläche stattfinden.

Dennoch: Kriege sind uns vertraut: in Form von Beziehungsstreitigkeiten und als Kämpfe in uns selber – damit findet fortwährend das Einüben in die Gewaltbereitschaft statt. So lernen wir, das Gewaltsame für selbstverständlich zu nehmen, und so verlernen wir, den Frieden als die Grundlage des Lebens zu erkennen. Wir halten eine latente Kampfbereitschaft und Kriegserwartung in uns aufrecht, und schon zählen wir zu denen, die schnell bereit wären, hinzugehen, wenn Krieg ist. Deshalb finden sich immer wieder Menschen, die hingehen, wenn Krieg ist.

Natürlich haben die großen Kriege komplexe politische und soziale Hintergründe. Aber diese Bedingungen münden nur dann in Kriege, wenn zu wenig Menschen da sind (oder an der Macht sind), die um die Möglichkeiten des Friedens Bescheid wissen, und wenn genügend gewaltbereite Menschen bereitstehen, die Brandreden halten, Leute aufhetzen, Waffen produzieren und verteilen und schließlich die Armeen in Marsch setzen.

Natürlich trägt die Einsicht in die innere Kraft des Friedens unmittelbar nichts dazu bei, dass die Kriege, die an den Konfliktherden dieser Erde toben, endlich zu Ende kommen. Dazu braucht es die Auflösung der politischen und sozialen Spannungen und die Herstellung von mehr Gleichheit unter den Menschen in Bezug auf ihre Lebenschancen.

Weil wir so an die Existenz von Kriegen gewohnt sind, belächeln wir gerne die Friedensoptimisten und zeihen sie der Naivität. Nur, wer die Komplexität der Verhältnisse nicht durchschaut und die Menschen nicht kennt, käme auf solche Ideen. Doch denk ich, dass dieser Vorwurf aus der Perspektive einer deformierten anthropologischen Sichtweise stammt. Der Mensch wird reduziert auf eine Aggressionsmaschine. Die Notfallprogramme, über die wir als Menschen verfügen, werden mit unserem Wesen gleichgesetzt. „Eigentlich“ wären wir auf Aggression und Gewaltausübung eingestellt, doch haben uns Gesellschaft und Kultur mit aller Mühe (und Gewalt!) dazu gebracht, unsere zerstörerischen Impulse zu zähmen und uns brav den Regeln des Zusammenlebens unterzuordnen. Kaum würden diese Regeln aufgehoben, käme sogleich wieder die Bestie Mensch zum Vorschein, die mit aller Lust, alles niedermacht, was sich ihr entgegenstellt. So denken die Friedenspessimisten.

Für unser Überleben als Menschheit haben wir beides benötigt: Die Friedensbereitschaft und die Kriegsbereitschaft. Für diese Zwecke sind wir auf der Ebene des vegetativen Nervensystems mit vagalen und mit sympathischen Systemen ausgestattet, dafür haben wir ein präfrontales Großhirn mit seiner Empathiefähigkeit und die Muskelkraft fürs Kämpfen.

Doch haben wir inzwischen eine Welt erschaffen mit einem so großen Maß an Sicherheit des Überlebens, dass wir die individuelle Gewaltbereitschaft weit herunterfahren und in den Hintergrund verlegen können. Das bedarf der Übung und des Umlernens, der Reprogrammierung. Was wir in der Psychotherapie, in Selbsterfahrungsgruppen, Entspannungstrainings und Meditation üben, ist die Fähigkeit, unsere Angstprogramme, die uns in Gewaltbereitschaft versetzen, zu entwaffnen. Dabei führt kein Weg daran herum, dass wir auch unsere aggressiven Impulse kennenlernen, um sie in ihrer Destruktivität verstehen zu können.

Ohne dieses Üben, das Mut, Konsequenz und Disziplin verlangt, wird es auch nicht gehen, dass die großen und kleinen Kriege vom Antlitz dieser Erde getilgt werden. Und jeder Schritt des Trainings in Gewaltfreiheit lohnt sich, weil er uns selber und den Menschen um uns herum das Vertrauen in den Frieden und seine Kraft wiedergewinnen lässt.

Für diese Aufgabe kann uns bestärken, wenn wir immer wieder in die Bereiche in uns vorstoßen, in denen der ewige Friede herrscht, bis er uns so vertraut ist, dass es dazu keine Alternative mehr gibt.



Vgl. Im Unfrieden im Frieden sein
Vgl. Friede und Aktivität

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