Dienstag, 10. September 2024

Petromaskulinität: Toxische Männlichkeit und Klimazerstörung

Immer wieder fällt auf, dass sich beim Thema Klimaschutz aggressive Abwehrlinien zeigen, sobald es um Autos mit Verbrennermotor geht und dass es vor allem Männer sind, die sich persönlich bedroht fühlen, wenn das Aus für diese Antriebsart gefordert wird und die sich deshalb für die oft unseriös geführte Kritik an der E-Mobilität engagieren. Es handelt sich dabei um Personen, die eher konservativen oder rechten Parteien zugeneigt sind und autoritären Führern folgen oder ihnen zumindest teilweise Glauben schenken. Mit diesen Einstellungen ist zusätzlich noch häufig eine offene oder verdeckte Frauenfeindlichkeit verbunden.

Cara New Daggett ist in ihrem Buch „Petromaskulinität“ diesen Zusammenhängen nachgegangen. Bei dieser Thematik wirken verschiedene Faktoren zusammen: Toxische, also in der patriarchalen Ideologie wurzelnde Männlichkeit, Autoritarismus, Ausplünderung der fossilen Brennstoffe. Es sind mächtige Faktoren, die vor allem mit den Mitteln der Desinformation den Kampf gegen die Erderwärmung und ihre Auswirkungen untergraben wollen. Daggett nennt dieses Konglomerat eine „desaströse Konvergenz“. Alle diese Faktoren sind in den Programmen und Reden der rechtsorientierten Parteien versammelt und bilden dort zusammen mit dem Migrationsthema das Zentrum der Propaganda und die Zielrichtung der angestrebten Gesellschaftsveränderung. 

Die Unterdrückung des Begehrens

Die psychologische Dynamik bei dieser Konstellation wird in der Analyse von Daggett durch den Begriff des „Begehrens” bestimmt, den sie von Klaus Theweleit („Männerphantasien“, erschienen 1977 – „der Klassiker über die seelischen Grundlagen des Faschismus“) übernommen hat. Theweleit argumentiert in seiner Analyse der faschistischen Freikorpskämpfer in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, dass die Industrialisierung zur Entgrenzung der Produktionsmöglichkeiten geführt hat (auf Kosten vor allem der  fossilen Ressourcen, wie wir heute wissen), dass dieser Prozess aber nur deshalb erfolgreich war, weil parallel dazu die „Entfaltung der menschlichen Lüste“ begrenzt und eingedämmt wurde. Das Ausleben des lustbetonten Begehrens ist für den Kapitalismus nur interessant, wenn daraus neue Arbeitskräfte hervorgehen. Die männlichen Körper und ihre Triebenergien müssen nach dieser Logik durch einen autoritären Staat eingedämmt werden, damit diese Kräfte zur Gänze der Güter- und Profitproduktion dienen können. Männlichkeit ist mit Härte verbunden, mit Rigidität und Starrheit. Theweleit spricht vom „soldatischen Damm-Mann“, der als Schutzwall gegen alles Stand hält, was fließt und überfließen könnte. Mit dem Fließen ist das Weibliche assoziiert, das dem Damm-Mann Angst macht. Fließen darf nur die Produktion (oder die Förderung von fossilen Brennstoffen); begehrt wird statt der Frau, die eine ungezügelte Lust und das Eintauchen in ein hemmungslosen Vergnügen verspricht, der autoritäre Staat, der das Fließen im Außen garantiert und die innere Triebunterdrückung belohnt. Das Fließen und Strömen, das in der Hingabe an das Weibliche erfahren werden könnte, würde die Härte aufweichen und zu Verletzlichkeit und Schwäche führen. Es herrscht die Angst, dass die Stärke, die in der Starrheit aufbewahrt ist, dadurch aufgezehrt wird, gewissermaßen aufgeweicht und dann weggeschwemmt von der weiblichen Flut begehrlicher Gefühle.

Der Frauenhass, der in diesen seelischen Konstrukten Wirkung entfaltet, ist nichts als der Ausdruck der männlichen Angst vor dem verbotenen Begehren. Die Ersatzbefriedigung wird in der Destruktivität gefunden. Die erstarrte Stärke des Damm-Mannes kann sich nur aggressiv ausdrücken. Sie zeigt sich in der Gewalt gegen Frauen, im schlimmsten Fall als Femizid. Stellvertretend für die Aggressionen auf reale Frauen wirkt die Zerstörungswut gegen die Natur, gegen das Symbol des Weiblichen. Je unsicherer das Verhältnis zur eigenen Männlichkeit ist, desto stärker ist die Neigung zu Dominanz und Aggressivität. Die Verfügung über PS-starke und laute Motoren in Autos, Flugzeugen, Motorrädern und Jachten drückt diese beiden destruktiven Energien aus.

Die Faszination des schwarzen Goldes

Im englischen Wort für Benzin, „petrol“ steckt das lateinische Wort für Stein (petra), also für das Harte; aber im Zusammenklang mit „oleum“ (Öl) zeigt sich das Fließende, das schwarze Gold. Das Erdöl, das Flüssige, das aus dem Harten und Festen kommt, entfaltet seine Kraft im Verbrennen. Diese Kraft verheißt dem modernen Menschen (Mann) Macht bis hin zur Weltherrschaft. Deshalb kämpfen vor allem Männer um den Zugang zu diesem Rohstoff. 

In dieser Machtverheißung liegt die Anziehungskraft der Verbrennungsmotoren für die verängstigte und verunsicherte Männlichkeit, die im Leistungs- und (Selbst-)Ausbeutungswahn gefangen ist. Die Identifizierung mit der scheinbar unendlichen Kraft und Macht, die aus dem Verbrennen kommt, wird zum Rettungsanker, der die Sicherheit vor den unheimlichen Mächten des Fließens verspricht und die patriarchale Dominanz aufrechterhalten soll. 

Im Prozess des Verbrennens wird durch die Destruktion von Natur Platz für Neues geschaffen. Diese Form der Weiterentwicklung, in der immer ein Moment der Zerstörung und der Gewalt enthalten ist, gilt als das einzige Form, mit der das Schlechte erfolgreich beseitigt werden kann. Die Form einer langsamen, evolutionären Veränderung wird ebenfalls mehr dem Weiblichen zugeordnet und genießt deshalb wenig Vertrauen beim abgehärteten Mann. Das Feuer steht dagegen für eine schnelle und nachhaltige Vernichtung von allem, was der männlichen Macht im Wege steht.

In dieses Spektrum passt der Befund aus Befragungen, dass Männer klimawandelskeptischer sind als Frauen und dass sie eher zu rechtsgerichteten Parteien tendieren, die lieber von „Klimahysterikern“ reden als sich um die Folgen und die Opfer der Klimaveränderungen zu kümmern. Der FPÖ z.B. ist das Thema nicht einmal ein Absatz in ihrem Wahlprogramm wert. Viele Männer sind blind für den Zusammenhang zwischen den Profitinteressen der Fossilindustrie und deren zerstörerischen Auswirkungen auf das Weltklima. Sie identifizieren sich mit der Macht, die durch das Verbrennen von Öl entsteht, ohne zu merken, dass die Profite, die sie mit ihrem Engagement fördern, nur wenigen Privatpersonen zugutekommen, während sie selber an den Auswirkungen der Zerstörung der Erdatmosphäre leiden müssen. Sie ignorieren die Einsicht, dass diejenigen, die am wenigsten zur Klimazerstörung beitragen, am meisten davon betroffen sind, sowohl innerhalb der Staaten als auch weltweit. Und sie verstehen nicht, dass, wie im Kapitalismus üblich, Private die Profiteure der Zerstörung sind und die Allgemeinheit, also vor allem die „kleinen Leute“ die Kosten für die angerichteten Schäden tragen müssen. Die zerstörerischen Folgen für die Lebensqualität und Gesundheit von Milliarden Menschen sind den Leuten, die Tag für Tage Milliarden an der Verbrennung fossiler Brennstoffe verdienen, völlig egal und sie haben auch keine Skrupel, durch systematische Desinformation Anhänger zu finden, die sich als nützliche Idioten an die Propagandamaschinerie der Klimaleugner anhängen.

Fossile Rohstoffe und autoritäre Regierungsformen: Begehren, was beherrscht und ausbeutet

Privilegien und Profite, die durch die Ausbeutung fossiler Rohstoffe entstehen, können am besten dadurch abgesichert werden, dass ihre Nutznießer autoritäre Regierungsformen anstreben und faschistische oder andere demokratiefeindliche Parteien fördern, die sich diesem Ziel widmen. Die Verbrennerideologie dient mit dem Einsatz von riesigen Summen dem Zweck, Personen und Personengruppen zu mobilisieren, sich für die Interessen der fossilen Industrie einzusetzen. 

Dazu passt das Zitat von Michel Foucault über den Faschismus, „der uns die Macht lieben und genau das begehren lässt, was uns beherrscht und uns ausbeutet.“ Mit dieser Täuschung gelingt es, Menschen mit geringem Einkommen dazu zu bringen, Politiker zu wählen, die ihnen noch mehr wegnehmen, indem sie die Steuern der Reichen senken und die Armen belasten. Viele Menschen unterstützen die Propaganda der Ölfirmen gegen Windkraft, Wärmepumpen, Solarstrom oder E-Autos, obwohl kein Cent der 5 Milliarden $, die die Förderung fossiler Brennstoffe pro Tag abwirft, in ihre Taschen fließt und obwohl sie unter den Folgen des schleppenden Einsatzes gegen die Erderwärmung zu leiden haben. Oder sie unterstützen politische Richtungen, die mit ihrer verbrennerfreundlichen Politik aktiv das Untergraben der Lebensbedingungen auf dem Planeten fördern. Es gibt genügend Frauen, die frauenfeindliche und von toxischer Männlichkeit infizierte Propaganda oder Witze verbreiten und meinen, sie tun damit Gutes. Selbst die besessene Verherrlichung von hypermännlichen Idealen wird von manchen Frauen geteilt oder bewundert. 

Psychologisch betrachtet steckt hinter den männlichen Machtansprüchen die „tief liegende Angst angesichts der sozialen Fragilität von Maskulinität sowie das allen gemeinsame Gefühl, diesem Ideal persönlich nicht gerecht geworden zu sein.“ (Daggett S. 31) Auf das Gaspedal zu drücken und das Aufheulen des Verbrennermotors zu hören, der dem eigenen Willen gehorcht, verleiht ein Gefühl von Macht, das eine momentane Überlegenheit und Unantastbarkeit verspricht. Es sind ein überhöhtes* Selbstbild und eine Scheinsicherheit, die auf einer Weise der Zerstörung natürlicher Ressourcen beruhen, mit der zugleich die Erdatmosphäre in Mitleidenschaft gezogen wird, mit der also doppelter Schaden angerichtet wird.

* Nicht zufällig steigen die Verkaufszahlen der umweltschädlichen SUVs, in denen der Fahrer höher thront als die Konkurrenten auf der Straße.

Literatur:

Cara New Daggett: Petromaskulinität. Fossile Energieträger und autoritäres Begehren. Berlin: Matthes & Seitz 2023
Christian Stöcker: Männer, die die Welt verbrennen. Der entscheidende Kampf um die Zukunft der Menschheit. Berlin: Ullstein 2024