Sonntag, 17. Mai 2015

Die Weisheit in der Wellenform

Herzschlag bei Wertschätzung (oben)
und bei Frustration/Ärger (unten)
Ich habe mich immer wieder gefragt, warum wir einfache Wellenformen angenehm und gezackte unangenehm finden. Theoretisch könnte es ja auch umgekehrt sein. Und warum ergeben physikalische Messungen bei angenehmen Gefühlszuständen einfache und bei unangenehmen unregelmäßig gezackte Kurven?

Wellenformen sind aus Messungen abgeleitet, die die Verläufe von Schwingungen aufzeichnen. Die Daten werden digitalisiert und dann in einer grafischen Form dargestellt. Dabei ergeben sich die Abbildungen, die wir gerne sehen, in Bezug auf  harmonische Verläufe in der Natur. Was sagt das über die Wirklichkeit und die Beziehung, die wir zu ihr herstellen, aus?

Wenn wir die Beziehungsstruktur, die in unserer Wahrnehmung enthalten ist, tiefer betrachten, wird  uns deutlich: Es ist unsere Wahrnehmungsform, also die Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit erkennen, die sich in uns als Menschen entwickelt hat, gemäß den Anforderungen, die die Umwelt an uns richtet, bzw. wie wir am besten mit ihr kommunizieren können.

Wir nehmen bekanntlich die Wirklichkeit so auf, wie es unsere Wahrnehmungsorgane erlauben. Dabei steht uns nur ein begrenztes Spektrum an elektromagnetischen Schwingungen zur Verfügung, um unser visuelles Bild der Außenwelt zu formen, in der Art, wie wir es brauchen, sodass wir uns in dieser Welt orientieren können. Andere Bereiche des Spektrums können wir visuell nicht wahrnehmen, etwa im Infrarot- oder Ultraviolettbereich. Die Bezeichnungen geben genau das wieder: Unterhalb oder oberhalb unserer optischen Wahrnehmungsschwellen. Wirklichkeit ist also immer das, was durch diese Organe geliefert wird, was unser Körper an unser Vorstellungsvermögen liefert. Und daraus konstruieren wir die Wirklichkeit. Was hat das nun mit den Wellenformen zu tun?

In der Wirklichkeit gibt es dieses Wellenmuster, es ist die Art und Weise, wie die Wirklichkeit selber Information verarbeitet und wie sie kommuniziert - schon auf der physikalischen Ebene, und darum lässt sie sich auch physikalisch so darstellen. Und darum entspricht diese Darstellung einem emotionalen Wert, der wiederum dem entspricht, was da abgebildet wird.

Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit geben einen anderen Wirklichkeitstonus wieder als chaotische Muster und unterbrochene Formen, und das liegt nicht an den Formen selbst, sondern daran, dass die Formen tief in unserer Wirklichkeitswahrnehmung verankert sind.

Die Sinuskurve, ein Abbild des in sich harmonischen Fließens, einer Wellenbewegung, wie sie in vielen organischen Abläufen aufscheint, ist Abbild und Sinnbild zugleich von dem, wie Natur grundsätzlich beschaffen ist und sich entwickelt: Rhythmisch, variabel, kreativ, analog, narrativ, vom Einfacheren zum Komplexeren, neue Organisationsformen emergierend.

Die Verwobenheit von Wirklichkeit und Wirklichkeitskonstruktion, wie sie die Natur hervorgebracht hat, wird an dem Beispiel der Sinusform "augenfällig" deutlich. Wir bauen in uns eine Wirklichkeit auf, aus den Elementen, die uns unsere Wahrnehmung liefert, die selber ein Produkt dieser Wirklichkeit ist. Ein Prinzip dieser Verwandtschaft stellt die Analogie der Formen dar: Die sich leicht variierende Regelmäßigkeit eines Auf und Ab, die wir von der Erforschung einer optimalen Atmung und einer optimalen Herzschlagtätigkeit kennen, stellen den Grundrhythmus des Lebens dar. Dieser zeigt sich in den verschiedensten Manifestationen, z.B. im Wechsel von Licht und Dunkelheit und zugleich in den Aktivierungsniveaus der Lebewesen im Lauf des Tages, und als Bild dafür nehmen wir ebenfalls ein Naturphänomen mit variierender Regelmäßigkeit, die Welle auf einer Wasserfläche. Es ist also die Wirklichkeit selber, die Sinuskurven oder sinuskurvenähnliche Formen und Abläufe hervorbringt, in wesensähnlichen Erscheinungen, also in Analogiebildungen.

Noch ein Aspekt ist wichtig: die Unschärfe. Sie bedeutet, dass die Regelmäßigkeiten in der Natur keine Exaktheit kennen, also keine mathematische Vollkommenheit. Die Natur kennt das Konzept der Perfektion nicht. Aber sie kennt Zustände des optimalen Fließens und der Blockierung dieses Fließens. Die Unregelmäßigkeiten innerhalb der Regelmäßigkeiten haben mit der Flexibilität zu tun, welche die Natur braucht, um das Fließgleichgewicht der mannigfaltigen Ausprägungen immer wieder herzustellen. Die Natur entwickelt sich zu immer mehr Komplexität, und dieses Wachstum funktioniert nur, wenn ein Ausgleich zwischen Struktur und Variabilität gegeben ist. Starrheit ist das Gegenteil von Anpassungsfähigkeit.

Nebenbei: Deshalb mögen wir einen Life-Trommler, der seinen Rhythmus nie mit mathematischer Präzision hält, sondern in leichten Variationen, "grooves", lieber als einen von einer Drum-Machine erzeugten auf die Tausendstelsekunde exakt auf die Zählzeiten ratterndes Trommelstakkato. Wir "spüren", wo und wie das Optimum zu finden ist, d.h. wo und wie die Natur gesund sein oder werden kann.

Nebenbei 2: Wir werden Mozart, Bach und viele andere Komponisten für immer als schön hören (unabhängig davon, ob uns die Musik "gefällt"),  und Arnold Schönbergs Streichquartette als "schwierig" wahrnehmen, auch wenn manchen diese Musik gefallen wird. Dort, wo Kunst dekonstruktiv auftritt, was sie in vielfacher Weise seit dem 20. Jahrhundert tun muss, geht der an der Natur des Erlebens orientierte Schönheitsbegriff verloren, die Ästhetik wird mentaler und digitaler, auch deshalb, weil die Kunst nicht mehr die Harmonie und das Heile und Gesunde wiedergeben will, sondern das Gestörte und Verwirrte. Das Unverständnis und die Abwertung des Kunstausdrucks z.B. für die abstrakte Kunst, die mancherorts sogar aggressiv geäußert wird, zeugt nicht von intimer Naturverbundenheit, sondern von der Abwehr des vielfach zerbrochenen Verhältnisses zur Natur, wie sie im materialistischen Bewusstsein zur alles durchdringenden Realität geworden ist.

Doch kann die Distanzierung der Natur nie zur Gänze gelingen. Sie zeigt sich immer noch in den rudimentären Strukturen unseres Wahrnehmungsapparates und in die Vorgängen der inneren Wahrnehmungsverarbeitung.

In der Wirklichkeit liegt dieses Wellenmuster, es ist die Art und Weise, wie die Wirklichkeit Information verarbeitet und wie sie kommuniziert wird - schon auf der physikalischen Ebene, und darum lässt sie sich auch physikalisch so darstellen. Und darum entspricht diese Darstellung einem emotionalen Wert, der wiederum dem entspricht, was da abgebildet wird.

Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit geben einen anderen Wirklichkeitstonus wieder als chaotische Muster und unterbrochene Formen. Es ist der Tonus des gelingenden Lebens, das chaotische Muster ist das der Reduktion, Verstörung und Vernichtung des Lebens.

Noch anders ausgedrückt: Wir finden uns im Abgebildeten in einem bestimmten emotional gefärbten inneren Zustand wieder, ein Zustand, der seine objektiven Entsprechungen in den verschiedensten Gestalten im Universum hat, von einfachen elektromagnetischen Wellen bis zu hochkomplexen Lebewesen, darstellbar in abstrakter Form und dennoch in Analogie wiederfindbar.

So finden wir uns im Betrachter der einfachen Wellenform in einer innigen Weise mit der Wirklichkeit verbunden, so weit, dass wir uns eins mit ihr erleben können. Das ist dann der Fall, wenn wir uns nicht als Subjekt von einem Objekt distanzieren, sondern erleben, wie wir selber Natur sind, die Natur erfährt.

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