Die interchromosomale Rekombination
Wenn wir Abläufe in der Natur beobachten, wie z.B. die sogenannte „interchromosomale Rekombination“, erkennen wir ein wichtiges und interessantes Funktionsprinzip der Natur. Bei der Rekombination geht es um die Verbindung der Chromosomen nach der Empfängnis, sprich um die Wurzel unserer Individualität. Die Biologen haben ausgerechnet, dass die zwei Keimzellen, also die Eizelle und die Samenzelle, jeweils aus 8,9 Millionen Möglichkeiten ihres genetischen Setup „auswählen“ konnten. Wenn nun die zwei Chromosomensätze zusammenkommen, um ein neues Menschenwesen zu bilden, gibt es ca. 35 Billionen Kombinationsmöglichkeiten. Außer bei eineiigen Zwillingen ist es damit praktisch ausgeschlossen, dass ein Menschenpaar zwei genetisch gleich ausgestattete Kinder bekommt. Die Natur sorgt also dafür, dass bei der Neubildung des Lebens eine riesige Auswahl und eine praktisch unbegrenzte Variabilität zur Verfügung steht.
Zwei Erklärungsmodelle
Wir können uns für dieses Vorgehen der Natur zwei Erklärungen vorstellen:
In der ersten Erklärung wird der Zufall in die zentrale Position gesetzt. "Von Natur aus" gibt es an dem Entscheidungspunkt, zu dem die Entwicklung führt, eine riesige Anzahl von Möglichkeiten, die es höchst unwahrscheinlich macht, dass zweimal das Gleiche gewählt wird. Zufall heißt dabei, dass es von außen keine Möglichkeit gibt, vorauszusehen, wie die Entscheidung in der Rekombination ausfallen wird. Wir akzeptieren damit, dass es in den biologischen Entwicklungsreihen des Lebens Prozesse gibt, deren Ergebnis nicht logisch aus den Ausgangsbedingungen abgeleitet werden kann, wie z.B. der Vorgang einer Zellteilung an sich. Vielmehr zeigt sich, dass das Neue durch das Alte, das Aktuelle durch das Vorige nicht vorbestimmt ist, sondern dass etwas Überraschendes geschieht und geschehen muss, dass also etwas zufällig geschieht. Diese Erklärung setzt also notwendig den Zufall voraus.
Die zweite Erklärungsmöglichkeit besagt, dass es "hinter" dem Ablauf, der von außen betrachtet als zufällig erscheint, eine planende und kontrollierende Intelligenz gibt, die den Entscheidungsprozess so lenkt, dass sich nichts Gleiches wiederholen kann. Gewissermaßen, bildlich vorgestellt, sitzt jemand vor einer Liste mit 25 Billionen Posten und teilt jedem einzelnen biologischen Prozess, der an den Entscheidungspunkt gelangt, eine Möglichkeit zu, die dann abgehakt wird. Um allerdings sicherzustellen, dass diese Instanz nicht einfach irgendwie blind entscheidet, also zufällig, wird noch behauptet, dass sie sich in jedem Fall überlegt, was sie da entscheidet. Hinter jeder Entscheidung soll also eine Idee oder ein Zweck stecken.
Was ist der Erkenntnisgewinn dieses Modells? Es wird eine nicht-natürliche, also metaphysische Instanz eingeführt, die in der Wirklichkeit nicht vorkommt, die also fiktiv ist, und die garantieren soll, dass die Vorgänge der Natur so ablaufen, wie sie sowieso ablaufen. Die Abläufe in der Natur werden gewissermaßen verdoppelt durch eine Intelligenz, die das alles, was abläuft, absegnet.
Ähnliches haben die Forscher in unserem Gehirn beobachten können: Unbewusste Areale treffen aus einer Auswahl von Möglichkeiten eine Entscheidung, und anschließend stellt die bewusste Instanz fest, dass die unbewusste Wahl eine bewusste, willentliche war. Die unbewusst schon gefällte Entscheidung wird nachträglich mit dem Siegel der Bewusstheit versehen.
Diese Instanz befriedigt also nicht mehr und nicht weniger als ein Sicherheitsbedürfnis, das wir brauchen, und das irritiert wird, wenn etwas Wichtiges, in dem Fall unsere eigene Individualität,"einem blinden Zufall überlassen" bleibt.
Dafür ist es auch gut und nützlich. Wann immer wir mit der Wirklichkeit auseinander fallen, in der wir uns befinden, öffnen wir uns für eine duale Sichtweise, die uns Sicherheit verspricht. Wann immer uns etwas in der Wirklichkeit überfordert, suchen wir etwas außerhalb dieser Wirklichkeit, das uns unterstützt. Wir brauchen eine äußere Instanz, die uns sagt, dass es gut ist, dass wir uns sicher fühlen dürfen. Es geht uns wie Kindern, die vor etwas Angst empfinden, das sie nicht kontrollieren können, und die dann jemanden brauchen, der ihnen sagt, dass sie sich nicht fürchten müssen.
Bescheidenheit
Im Fall der ersten Erklärung bescheiden wir uns damit, dass es inhaltlich nicht erklärbare Übergänge in der Natur gibt, die den Spielraum für Überraschungen lassen. Wir geben uns damit zufrieden, dass die Natur selber dafür sorgt, dass sie sich in einer unbeschränkten Vielfalt weiter entwickelt, ohne dass wir wissen können, in welche Richtung diese Entwicklung geht, weil eben an zentralen Schaltstellen Zufallssituationen vorkommen.
Im Grund ermutigt uns die erste Erklärung also, uns mit dem Zufall zu begnügen und der natürlichen Entwicklung die Spielräume zu belassen, während die zweite Erklärung meint, dass es keinen Zufall, sondern nur Notwendigkeiten geben soll und muss. Dazu wird eine Position eingeführt, die für diese Notwendigkeit sorgt, aber sonst weiter nichts zur Wirklichkeit beisteuert. Beide Positionen befriedigen also ganz einfach unterschiedliche Bedürfnisse - menschliche Bedürfnisse, und sagen nichts darüber aus, was in Wirklichkeit geschieht. Denn dort laufen die Prozesse einfach ab, und an vielen Punkten so, dass es praktisch zu keinen Wiederholungen kommt. Mit einer bescheidenen Erklärung bleiben wir nahe an der Natur dran, ohne ihr etwas Nichtnatürliches hinzufügen zu müssen.
Wir sind frei, es beim Zufall zu belassen oder eine weitere Ebene einzuführen, die den Zufall in eine Notwendigkeit umwandelt. Doch sind wir gut beraten, uns klarzumachen, dass wir selber es sind, die ein solches Erklärungsprinzip erfinden.
Wir gewinnen die Sicherheit, dass Zufälle einem Prinzip unterworfen sind, und müssen uns dafür auf die Unsicherheit einlassen, die darin liegt, dass das Prinzip selber nicht unserer Kontrolle unterliegt. Die Konsequenz liegt darin, dass jede Form der Kreativität, also auch die menschliche, nicht einem Zufall entspringt, also einem nichtkontrollierbaren Anfang, sondern einem Plan folgt, einem Plan, der an einem übergeordneten Ort ausgegeben wird.
Einfache und komplexe Konzepte
Die Zufallserklärung ebenso wie die Kreationserklärung sind beide Konzepte oder Modelle über die Wirklichkeit. Wir bilden sie im Grund für pragmatische Zwecke, auch wenn wir manchmal wegen Konzepten streiten als ginge es um das eigene Überleben. Es geht also nicht um richtig oder falsch, sondern um brauchbar oder unbrauchbar, nützlich oder nutzlos. In diesem Sinn sind wir frei, uns jenes Konzept auszusuchen, das uns hilfreicher erscheint, um mit den Widrigkeiten des Lebens zurechtzukommen.
Es kann jedoch sein, dass sich kulturelle Gepflogenheiten, soziale Prägungen, Gruppenumgebungen usw. über diese Pragmatik legen und uns deshalb gar keine Wahlmöglichkeit gegeben scheint, sondern klar ist, wie es nur sein kann, weil die anderen meiner Gruppe oder Herkunftskultur so denken.
Wenn wir uns solche Abhängigkeiten klar machen und uns von ihnen distanzieren, kann als weiterer Gesichtspunkt die Frage von Einfachheit und Komplexität dienen. Üblicherweise sind die einfachen Konzepte praktischer als die komplexen. Außerdem, je größer der Aufwand für ein Konzept ist, der mit der Komplexität steigt, desto höher scheint das emotionale Engagement auszufallen. Wir hängen mehr an solchen komplexen Ideen und Erklärungsmodellen als an einfachen. Deshalb neigen wir mehr dazu, sie zu verteidigen und zu propagieren.
Wenn es jedoch darum geht, Konzepte beiseite zu stellen, um den Blick auf das Wesentliche des Erlebens im Moment richten zu können, haben wir es mit einfachen Konzepten leichter als mit komplexen. Der Abbau der unnötigen Denkbelastungen wird dadurch leichter, dass wir überprüfen, worin der wirkliche Gewinn liegt, wenn wir die komplexere Lösung wählen, in unserem Fall die kreationistische. Was verlieren wir, wenn wir darauf verzichten, dass es eine höhere Intelligenz gibt, die bestimmt hat, wer und wie und was wir sind?
Vgl. Wurzeln unserer Individualität
Evolution und Zufall
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