Montag, 23. Dezember 2013

Österreich hat eine neue (?) Regierung

Die neue österreichische Bundesregierung wurde vor einer Woche angelobt. Sie hat wenig Begeisterung geerntet und musste unter verschiedenen Protesten ihre Arbeit aufnehmen.

Wenn Regierungen ein Ausdruck ihrer Bevölkerung sind, die sie in die Ämter gewählt hat, was sagt das dann über die Österreicher und Österreicherinnen? Manche halten der neuen Regierung zugute, dass sie nicht wesentlich anders ist als die alte. Kontinuität möge sich bewähren in krisengeschüttelten Zeiten. Andere kritisieren gerade dieses. Allem Anschein nach setzen nicht nur die Personen, sondern auch die Programme der neuen Regierung gemächlich und bieder fort, was bisher schon im Gange war. Alle Kommentatoren sind sich einig, dass große Reformschritte und neue bahnbrechende Ideen fehlen.

Das entspricht einer Schiene, die wir alle im Gehirn haben: Was sich bewährt hat, verfolgen wir weiter – bis wir Schiffbruch erleiden, und oft noch darüber hinaus. Es entspringt einem Bedürfnis nach Sicherheit, nach Kontrolle der Zukunft. Wenn die Schritte bescheiden und immer in die gleiche Richtung erfolgen, kann nicht viel passieren, nicht viel Gefährliches und nicht viel Neues.

Es gibt auch eine andere Schiene, die statt der kleinen Schritte Sprünge macht. Sprünge führen auf ein neues Territorium, sie bringen uns schneller an Orte, die wir noch nicht kennen. Das Risiko ist größer, und die Chancen auch. Diese Schiene ist offenbar bei uns schwächer ausgeprägt als die andere, bei den Staatsbürgern als auch bei den Regierungsverantwortlichen.

Viele meinen wohl, dass im Zuge der großen Zockerkrise der letzten Jahre keine Abenteuer eingegangen werden sollten – warum aber nicht? Viele meinen wohl, dass Österreich gut dasteht, mit dem zweithöchsten Prokopfeinkommen in der EU und einer der niedrigsten Arbeitslosenraten und dass deshalb so weiter gewirtschaftet und gewurstelt werden sollte wie bisher – warum nicht anders? Freilich, woher sollte dieser Mut kommen, wenn bei jedem Wort, das ein Politiker spricht, bei jeder Entscheidung, die dann getroffen wird, starr auf die Wähler bei der nächsten Wahl und auf die Interessensgruppen der eigenen Partei gestarrt wird? Wird eine unkonventionelle oder sogar unpopuläre Entscheidung getroffen, sind Verluste zu befürchten: Verluste an Sympathien und Wählerstimmen. Wer will das schon, vor allem hierzulande?

So bleibt alles beim Alten, niemand ist glücklich (bei einer aktuellen Befragung wollen 78% neue Schwerpunkte) und niemand muss sich allzu sehr fürchten. Für jede Angst gibt es ein Beruhigungspflaster – die einen schützen die Pensionisten, die anderen die Millionäre und Milliardäre. Die einen verteidigen die Positionen der Lehrer und der Bauern, die anderen jene des Sozialsystems. So soll die Republik im gleichen Gleichgewicht gehalten werden, das es jetzt schon gibt.

Wir leben in einer Zeit der schnellen Veränderungen, die wir am deutlichsten im Bereich der Technologie bemerken. Alle anderen Bereiche sind im Bann der gleichen Veränderungsgeschwindigkeit, auch wenn sie da und dort unterschiedlich abläuft. Doch scheint sich das noch nicht auf die Art und Weise, wie dieses Land gelenkt und geleitet wird, herumgesprochen zu haben. Auch deshalb ist es für viele unverständlich, dass gerade das Wissenschaftsministerium abgesägt und dem Wirtschaftsminister zugeschlagen wurde, wo besonders in den Wissenschaften der Fortschritt am signifikantesten gefördert wird (neben der Kunst und Kultur, aber die ist ja nur ein Nischenbereich der Politik und notorisch in ihrer Bedeutung für die Gesellschaftsentwicklung unterschätzt).

Auch die Wirtschaft ist ein Bereich schnell wechselnder Neuentwicklungen und Trends. Doch sind diese im Wesentlichen unabhängig von der Politik, die sich vor allem um die Folgewirkung von Entwicklungen in der Wirtschaft kümmern muss, die gegen die Interessen der meisten Menschen gehen. So schurlt die Politik hinter der Wirtschaft her, die in ihrer Eigendynamik ein Desaster nach dem anderen produziert, und kaum haben sich alle vom Schock erholt und fangen an, die riesigen Finanzlöcher zu stopfen, die sich aufgetan haben, kommt schon die nächste Katastrophe. Was ist von einem solchen Wirtschaftssystem zu lernen, außer, dass es so nicht geht? Dennoch erhoffen sich die Parteien, die ja alle die Arbeitsplätze sichern und mehren wollen, von dieser Wirtschaft die Erlösung.

Was wäre zu tun und wird wieder einmal nicht getan? Die Reform des Bildungssystems, das in seinen Grundstrukturen noch fest im 19. Jahrhundert verankert ist, wird weit ins 21. Jahrhundert vertagt. Das Pensionssystem bleibt auf ein paar Jahre hinaus gesichert, also bis zur nächsten Wahl, dann tun sich, wenn man den Experten glauben darf, die großen und rapide wachsenden Fehlbestände auf. Das Steuersystem, das fleißig auf die Einkommen der Mittelschicht zugreift, die Spitzenverdiener weiterhin hätschelt und die Vermögenden neidlos ignoriert, wird solange Geld in die Staatskassen spülen, solange es diese Mittelschicht noch gibt. Da es an deren Ausdünnung arbeitet, arbeitet es auch an der Verwirklichung eines Szenario, das für manche Sozialtheoretiker schon am Horizont auftaucht: Der Zerfall der Gesellschaft in eine immer dünner werdenden Schicht von Superreichen, die die Vermögenswerte und die politischen Entscheidungen kontrollieren, und der großen Masse der immer weiter abrutschenden Unterschichten.

Währenddessen und im Zuge dessen geht der Raubbau weiter, der Raubbau an den Ressourcen der Umwelt und der Menschen. Die Ausbeutung der Menschen durch die Menschen wurde ergänzt durch die Ausbeutung der Natur durch die Menschen und durch die Ausbeutung der Menschen durch sie selbst. Das Gegensteuern, das die Änderung von mächtigen Gewohnheiten und fest zementierten gesellschaftlichen Strukturen erfordern würde, bräuchte Energien und Mittel, die im Sinn des Weitertuns des bisher Üblichen restlos verbraucht werden.

Aufgewendet werden diese Energien und Mittel auch für die Absicherung des Bestehenden in der Abschottung gegen außen. Mit den Befestigungswerken, mit denen wir unsere Staaten wie riesige mittelalterliche Burgen umgeben, werden die Ausbeutungsstrukturen aufrecht gehalten, und die Impulse, die aus der Begegnung mit dem Fremden und Andersartigen entstehen, bleiben ungenutzt. Integriert wird nur, was schon integriert ist.

Was also in der politischen und öffentlichen Landschaft der Republik fehlt und was nicht einmal in Ansätzen sichtbar ist, ist die kreative Fantasie, die Bereitschaft zum Aufbruch, die Leidenschaft für Erneuerung und die bewusste Begegnung mit den kollektiven Ängsten, die all das behindern. So können wir nur selber daran arbeiten, unsere Leben mit diesen Energien zu beleben und wachsen zu lassen, und dieses Wachstum an der Bewusstheit, das immer auch ein Wachstum an Kreativität beinhaltet, wird immer größere Kreise ziehen, bis es Einzug hält in die Entscheidungszirkel und Machtgremien. Dann werden, wie es schon Platon gefordert hat, die Philosophen zu den Staatslenkern und die Staatslenker zu Philosophen, die mit emotionaler und intellektueller Redlichkeit und Integrität ihren Dienst an der Allgemeinheit verrichten.

Mit Nelson Mandela wurde dieser Tage einer betrauert, der uns gezeigt hat, dass wir dieses Potenzial alle in uns tragen. Lassen wir also immer mehr von unserem inneren Nelson-Mandela-Potenzial zur Wirkung kommen!

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