Sonntag, 19. Juni 2011

Griechenland


Ich schreibe hier mangels Kompetenz keinen Kommentar zu den ökonomischen Problemen des Landes oder zu möglichen Lösungen der damit verbundenen Finanzkrise. Ich möchte auf Hintergründe eingehen, die zu der Lage geführt haben, beleuchtet aus dem Modell der Bewusstseinsevolution.
Es gibt vermutlich zwei Hauptrichtungen, wie mit dieser Lage umgegangen werden soll. Die eine Richtung besagt, dass, was nicht mehr funktioniert, zugrunde gehen sollte, sprich der Staat Griechenland sollte für bankrott erklärt werden und dann schauen, wie er damit zurecht kommt. Diese Position haben z.B. republikanische Politiker in den USA bei der der dortigen Bankenkrise vertreten. Banken gehen unter, was Neues entsteht nachher, wenn der Staat eingreift, um kranke Banken zu retten, kommt nichts Gutes dabei heraus. 

Das ist die rein kapitalistische Position, die von einer materialistischen Logik aus gesteuert ist. Jeder ist für sein Glück verantwortlich, wenn er Mist baut, zahlt er die Zeche. Die, die zwar keinen Mist gebaut haben, aber auch davon betroffen sind, zahlen eben gleichermaßen drauf. Es gibt keine Solidarität, die kostet mir zuviel von dem, was ich habe. Ich spende höchstens aus meinen Überschüssen, wenn mir danach ist, um mein Gewissen zu beruhigen, aber es darf keine staatliche Regelung geben, die Solidarität erzwingen könnte. Die Militanz dieser Position zeigt sich übrigens auch in den USA bei der Debatte um die Reform des Gesundheitswesens, wo eine Verbesserung, die aus europäischer Sicht eine Minilösung weit unter dem Niveau bedeutet, das wir seit ungefähr 1890 haben, rabiate und irrationale Proteste hervorruft, als würde es die Menschen an der Wurzel ihrer Existenz bedrohen, wenn ein paar Millionen mehr Amerikaner Versicherungsschutz bekommen.

Bei uns wird die egoistisch-materialistische These vor allem von nationalistischen Parteien vertreten, die „keinen Cent mehr“ „von unserem Geld“ nach Griechenland schicken wollen. Diese faulen Griechen haben sich die Suppe eingebrockt und sollen sie auch selber auslöffeln. Interessant ist diese Kombination aus Kapitalismus und Nationalismus deshalb, weil sie von der Fiktion ausgeht, dass sich das Kapital an Staatsgrenzen halten würde – wir sichern das Geld, das wir haben, innerhalb unserer Landesgrenzen ab und lassen nichts nach draußen. Die Naivität liegt darin, dass sich der Kapitalismus einen feuchten Dreck um Landesgrenzen schert. Das große Geld fließt dorthin, wo es sich am schnellsten vermehren kann.  Würde sich die Situation in unserem Land drastisch verschlechtern, wäre das Kapital am schnellsten weg, so schnell können unsere Politiker gar nicht schauen. 

So ist es den Griechen ergangen, und sie haben sicher das Ihre an Naivität und Kurzsichtigkeit dazu beigetragen, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, auch in dem Kurzschlussdenken, dass sie das Geld, das nun einmal in ihr Land geflossen ist, nach momentanen und, wie noch erläutert wird, tribalen Interessen mit vollen Händen ausgeben können. Dafür müssen sie als Nation auch die Verantwortung und die Folgen tragen. Den Kapitalismus (und den materialistisch handelnden Menschen) kümmern tribale Strukturen nicht mehr, er fegt über sie hinweg ohne jede Rührung.

Was fällt nun bei den hausgemachten Problemen auf? Ein häufig angeführter Grund für die Schwierigkeiten des Landes liegt in der hohen Zahl an Beamten, die zudem Privilegien haben wie z.B. die Polizisten, die mit 45 in Pension gehen. Trotz der großen Menge an Staatsdienern liegt die Steuereinhebung im Argen. Viele dieser Posten mitsamt den dazu gehörenden Privilegien sind, wie man hört, als Versorgungsposten für Angehörige und Freunde von Politikern geschaffen worden. Nun ist der Staat zahlungsunfähig und kann die Gehälter nicht mehr finanzieren.

Zum tribalen Bewusstsein gehört die Auffassung, dass jedes Mitglied der Gruppe versorgt und geschützt werden muss. Wenn sich dieses Prinzip in moderne Staatsformationen fortsetzt, führt das zu typischen Konflikten. Wer es zu Macht gebracht hat, fühlt sich verpflichtet, die Angehörigen seiner Gruppe zu unterstützen und zu versorgen. In modernen, aufgeklärten Staaten nennt man das Korruption. Öffentliche Staatsgelder, also solche, die allen Staatsbürgern gehören, werden in private Taschen umgeleitet. Das Geld fließt also von übertribalen Strukturen in tribale Netzwerke und kommt von dort nicht mehr zurück. Steuerhinterziehung gilt als Zeichen tribaler Schlauheit. 

Damit entsteht eine Spannung, wie sie sich typischerweise in der Französischen Revolution entladen hat: Die Bürger merken, dass sie mit ihrer Arbeit und deren Mehrwert das Leben einer dünnen Adelsschicht finanzieren, die ihre Privilegien um keinen Preis hergeben will, bis die Situation kippt und die Köpfe der Angehörigen des oberen Stammes rollen. 

Ein Resultat dieser Prozesse ist es, dass sich die abstrakte Gruppe der Staatsangehörigen als Zivilgesellschaft, als bürgerliche Öffentlichkeit (die citoyens)etabliert. Es werden damit posttribale Gruppen gebildet, die vom personalistischen Bewusstsein geprägt sind und versuchen, in der Politik, also an der Machtverwaltung mitzuwirken. Zu deren typischen Forderungen gehört, dass die Angehörigen der bisherigen Machtelite zur Verantwortung für ihr selbstsüchtiges Verhalten auf Kosten der Allgemeinheit gezogen werden. Damit die Macht der tribalen Strukturen zurückgedrängt. Weiters gilt es, rationale Kontrollmechanismen in das System einzubauen, sodass z.B. alle nach einem einigermaßen gerechten Schlüssel zu den Staatsfinanzen beitragen und davon profitieren.
Nachdem sich also die personalistische Wut über die erlittene Ungerechtigkeit ausgetobt hat, müssen solche Elemente des systemischen Bewusstseins eingesetzt werden, um neue tragfähige Strukturen zu etablieren, die die Mitglieder eines Staates (und weiter gedacht, einer Staatengemeinschaft und noch weiter gedacht einer Weltgesellschaft) annähernd gleichermaßen an den Rechten und Pflichten des Gemeinwesen teilhaben lassen. Alle zahlen also, alle kriegen was zurück. Schwache zahlen weniger, Starke mehr.

Mit dem systemischen Bewusstsein wird die Regel des Dienens ins Zentrum des Handelns gerückt. Jeder dient mit seinem Tun, mit seiner Arbeit und Leistung dem Ganzen und nicht nur sich selbst oder der eigenen Gruppe.  Es gibt ein faires Gleichgewicht zwischen dem eigenen Beitrag und dem, was vom Ganzen zurückkommt.

Damit kommen wir zur zweiten Möglichkeit, die in Bezug auf das Griechenland-Problem diskutiert wird: Das Verständnis, dass das Problem zusammen gelöst werden muss, also unter Beteiligung aller, die zum Finanzsystem gehören, die Staaten und die anderen Geldgeber. Dabei wird nicht unmittelbar darauf geschaut, was dem je eigenen Einzelsystem am besten nutzt, sondern auf das, was das Funktionieren des übergeordneten Systems erleichtert, in der Erwartung, dass nach einer Phase der Anpassung alle Beteiligten gleichermaßen profitieren können. 

Die konkrete Ausformung dieses Lösungszuganges müssen kompetente und verantwortungsbewusste Fachleute und Politiker gestalten. Verantwortungsbewusst heißt dabei, dass sie in der Lage sind, von eigenen Interessen abzusehen, vor allem von Interessen in Bezug auf Machterhalt, eigenen Reichtum oder den der jeweiligen Bezugsgruppe. Statt dessen sollten sie in der Lage sein, größere Zusammenhänge miteinbeziehen. Sie brauchen die Bewusstheit, dass Gier und Eigensinn die Triebkräfte materialistischer Zielsetzungen sind und überwunden werden müssen, wenn ein Ausweg aus den Fängen des Kapitalismus gelingen soll.

Dieses Bewusstsein und die damit verbundene Form der Intelligenz sind auf der internationalen Ebene ebenso wichtig wie im betroffenen Land selber. Wenn sie konstruktiv zusammenarbeiten, sollten wesentliche Fortschritte erzielt werden. Es ist die Chance dieser Krise, dass sich die Kräfte einer neuen Bewusstseinsebene leichter durchsetzen können, weil klar ist, dass die herkömmliche Struktur des Wirtschaftens und Verwaltens gescheitert ist.

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