Freitag, 13. Juni 2025

Die Unverschämten und ihr Kampf gegen die Aufklärung

Die Unverschämten, die auf dem Machttrip sind, spüren, dass reflektierte, selbstbewusste und ethisch reife Menschen an dem Ast sägen, auf dem sie sich sesshaft und breit gemacht haben. Um ihr „Stimmvieh“ zu erhalten, das sie an die Macht bringt und dort hält, muss alles verhindert werden, was die Menschen von ihrer Scham befreit, denn nur Schambefangene sind in der Lage, den Unverschämten bedingungslos zu folgen. Also versuchen die unverschämten Machtpolitiker, das Bildungssystem zu ideologisieren, den obrigkeitlichen Gehorsam zu verstärken und jede Form von kritischer Reflexion zu diskreditieren oder zu unterbinden. Sie bekämpfen zu diesem Zweck auch die moderne Kunst und Kultur, die die Menschen aus ihren gewohnten Erfahrungsschienen herausholen und zum Nachdenken und Verändern von Sichtweisen motivieren will. Alles, was die Menschen innerlich freier macht und ihren Horizont erweitert, ist den Unverschämten ein Dorn im Auge. Denn sie wissen, dass ihre Macht darauf beruht, dass es genug Menschen gibt, die auf einem Bewusstseinsniveau verbleiben, das unterhalb oder vor der Aufklärung liegt. Ein zentrales Anliegen der Aufklärung war es ja, jede weltliche und geistliche Autorität auf den Prüfstand der kritischen Vernunft zu stellen und mit diesem Blick viele Emanzipationsbewegungen möglich zu machen. Wer die Prinzipien der Aufklärung verstanden und in die eigene Werthaltung übernommen hat, kann keinem populistischen Demagogen auf den Leim gehen.

Wer die Grundgedanken der Aufklärung nicht verstanden hat oder von zu vielen Ängsten davon abgehalten wird, entspricht hingegen dem Beuteschema der Rechtsdemagogen. Sie versuchen, Leute zu ködern, deren Werthorizont primär in der Stammesvergangenheit der Menschheit wurzelt, wo die Grundregel gilt, den nahen Menschen zu vertrauen und die entfernten oder fremden Menschen als Gefahr oder Bedrohung anzusehen. Solche archaischen Motive führen allerdings in moderneren komplexen Gesellschaften nur mehr zu Gruppenegoismen, die in Demokratien eingedämmt werden müssen, weil sie die Mächtigen und die Reichen auf Kosten der großen Mehrheit begünstigen. 

Die Vorläufer der Aufklärung waren Weisheitslehrer und Religionsstifter wie Buddha, Lao Tzu, Jesus und Muhammad. Sie haben den Menschen Mut gemacht, sich aus den Begrenztheiten der tribalen Regeln zu befreien und die Liebe und das Mitgefühl auf eine universelle Ebene zu erweitern. Nicht nur die Nächsten sollen geliebt werden, sondern auch die Fernsten. Das menschliche Mitgefühl hat keine Schranke an der eigenen Haustür, sondern gilt allem, was leidet. Diese Lehrer haben die Wirkung der Scham, die im kleinen Kreis darauf aufmerksam macht, dass wir uns lieblos verhalten haben, auf die gesamte Menschheit und noch darüber hinaus ausgeweitet. 

Die Aufklärung hat diese Impulse aufgegriffen und auf eine rationale Ebene gebracht, entkleidet der religiösen Dimension. Damit werden diese ethischen Prinzipien auf die ganze Menschheit hin verallgemeinerbar. Der kategorische Imperativ, den Immanuel Kant ausgearbeitet hat, trug dazu bei, diesen Ansatz zu verbreiten und damit den Gedanken des Weltbürgertums zu verbreiten.

Soziale Scham

Wir schämen uns, wenn wir Bettler sehen oder erfahren, dass Menschen in grausamer Weise deportiert werden. Wir schämen uns, wenn irgendwo auf der Welt ein schrecklicher Krieg tobt und wir es nicht schaffen, Frieden zu stiften. Die Unverschämten haben solche Schamregungen unterdrückt, während die Verschämten an ihrer Scham leiden. Um dieses Leiden zu lindern, schauen sie zu den Unverschämten auf, die ihnen erzählen, dass Bettler organisierte Kriminelle und Immigranten Parasiten sind, gegen die vorgegangen werden muss, um das eigene Volk zu schützen. Über Kriege werden immer wieder verbogene Begründungen hervorgebracht, wie z.B. die nicht vorhandene Nazi-Herrschaft in der Ukraine oder über nicht vorhandene Chemiefabriken im Irak.

Die Unverschämten werden also von den Verschämten als Leitfiguren gesucht, damit sie sich von der Scham und der damit verbundenen Schuld entlasten können. Die Schamlosen geben ihren Anhängern durch ihre demonstrative Unmenschlichkeit die Erlaubnis, die eigene Menschlichkeit über Bord zu werfen und mit zynischer Miene soziale Grausamkeiten und Grauslichkeiten gut zu heißen. Sie erteilen den Verschämten die Absolution aus ihrem scham- und schuldbeladenen sündhaften Dasein, indem sie archaische Formen der Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit unter dem Begriff des „Volkes“ reaktivieren.

Tribale Wurzeln der Fremdenfeindlichkeit

Die Funktionsweise der Demokratie kann nur mit einem aufgeklärten Bewusstsein verstanden werden. Diese Regierungsform, die auch eine Gesellschaftsform darstellt, erfordert das Übersteigen und Überwinden von tribalen Prägungen, die Oxytocin-gesteuert sind, die also die Bindungen zu den face-to-face-Gruppenmitgliedern intensivieren und vertiefen und zugleich das Misstrauen und die Feindschaft gegen alle, die nicht zur Gruppe gehören, verstärkt. Die archaischen hormonellen Einflüsse bewirken, dass Nahestehende bevorzugt und Fernstehende als Bedrohung erlebt werden. Sie fördern das Ausschließen, die Exklusion von allem, was als fremd erlebt wird. Sie sind also antidemokratisch – deshalb waren auch in der ersten bekannten Demokratie im Athen des Altertums Frauen, Unfreie und Zugezogene vom Mitbestimmungsprozess ausgeschlossen.

Die Vernunft als Wegbereiterin des moralischen Fortschritts

Diese Prägungen können nur mit Hilfe der Rationalität, also der Vernunft überwunden werden. Es heißt zwar, die eigene Haut ist einem immer am nächsten, aber eine komplexe Gesellschaft kann nur im Gleichgewicht bleiben, wenn genügend Menschen in der Lage sind, neben den eigenen Vorteilen auch die vieler anderer mitzubedenken. Dazu ist Vernunft von Nöten. Diese menschliche Ressource entwickelt sich durch Bildungsprozesse und verwirklicht sich im Medium des Reflektierens der Lebensumstände mit der Fähigkeit, verschiedene Blickpunkte einnehmen zu können. Sie wurde über 2000 Jahre nach der attischen Demokratie durch die Aufklärung ins Zentrum gestellt und als Maxime für Politik und Ethik eingefordert. 

Wenn z.B. eine Gesellschaft die Altersversorgung ausverhandelt, kann das nur gelingen, indem die älteren Leute, die nicht mehr im Arbeitsprozess sind, Verständnis für die Einzahler ins Pensionssystem haben, und die anderen das System des Ausgleichs unterstützen, das ihnen selbst einmal Vorteile bringen wird, obwohl sie aktuell auf einen Teil ihres Einkommens verzichten müssen. Der Sozialstaat beruht also auf der Vernunft. Die Jüngeren zahlen für die Älteren, die Gesunden für die Kranken, die Unbehinderten für die Behinderten, die Besserbemittelten für die Wenigerbemittelten.

Die Scham als Sensorium für mehr Menschlichkeit

Es ist die Scham, die im Hintergrund die Fäden zieht, wenn es um soziale Anliegen geht, indem sie die Mitmenschlichkeit einfordert. Die Scham lässt nicht zu, dass Menschen ausgegrenzt oder schlechter behandelt werden. Sie sorgt für den gesellschaftlichen Ausgleich in Kleingruppen und in demokratischen Regierungssystemen. Mit Unterstützung der Vernunft wird das Schamempfinden von den nahen Bezugsgruppen auf das gesellschaftliche Ganze ausgeweitet: Jedes Mitglied der Gesellschaft verdient die gleichen Rechte und Rücksichtnahmen. Das Leid jedes einzelnen Mitglieds betrifft alle anderen. Aus diesem Blickpunkt der Vernunft sind die Grundsätze von Demokratie und Sozialstaat abgeleitet, die das Ziel verfolgen, möglichst vielen Menschen zu existenzieller Sicherheit und allen zu mehr Wohlstand zu verhelfen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der Unverschämtheit, die als Egoismus in jedem Gesellschaftsmitglied wirksam ist, effektive Grenzen gesetzt werden. Das Schambewusstsein liefert die emotionale Motivation des Einsatzes für eine menschenwürdige Gesellschaft, in der alle in Gleichheit und Freiheit ihren Platz haben.

Die versuchte Verbannung der Aufklärung ins linke Eck

Ein Propagandatrick der Rechten besteht darin, die Aufklärung als linkes Projekt zu definieren und nicht als einen Fortschritt im Bewusstsein, der allen zugutekommt und der eine konsistente Fortsetzung der Botschaft des Christentums und anderer Religionen darstellt. Mit dieser Zuordnung wird suggeriert, dass es die Alternative gibt, die Aufklärung zu unterstützen und sich damit links zu positionieren und dass man gegen die Aufklärung sein kann, weil man nicht links sein will. Die Aufklärung ist in dieser selbst ideologisch formulierten Zuordnung eine beliebige, von politischen Interessen gesteuerte Angelegenheit, also eine ideologische Festlegung, die von anderen Ideologien bekämpft werden kann oder muss.  Der Fortschritt in der Ethik im Sinn einer Universalisierung wird auf diese Weise eingeebnet und zur politischen Meinung degradiert; mehr Menschlichkeit wird als willkürliche Moralisierung abgetan. Damit wird dem Weiterbestehen von Unmenschlichkeiten die Legitimation verliehen.

Es geht dann nicht mehr um einen Zugewinn an Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit, der notwendig wäre für die Stabilisierung des gesellschaftlichen und globalen Friedens. Es geht nicht mehr um die Entwicklung einer Ethik, die komplexen modernen Gesellschaftsstrukturen entspricht. Vielmehr wird das Bekenntnis zur Aufklärung in eine Wahl zwischen politischen Alternativen umgemünzt, die mit ihren jeweiligen Ideologien um Anhänger werben. Es wird so getan, als ginge es um willkürliche, interessensgeleitete Veränderungen im Gegensatz zur Bewahrung des Bestehenden, das um jeden Preis verteidigt werden muss wie die Naturheilkunde gegen mRNA-Impfungen. In Wirklichkeit gibt es im Bereich der Ethik ein Besser und ein Schlechter in Hinblick auf die Fähigkeit eines ethischen Systems, kompliziertere Zusammenhänge so regeln zu können, dass möglichst viele Personen zufriedengestellt und soziale Spannungen reduziert werden. 

Das Vorgehen der Rechtspopulisten hingegen setzt auf vormoderne oder sogar tribale Modelle der Konfliktregelung, die unter den heutigen Umständen wie die sprichwörtliche Anwendung des Holzhammers wirken. Es gibt immer wieder Beispiele, wo bei sozialen Spannungen schnelle Lösungen durch den Einsatz von Gewalt gewählt werden statt mit den Betroffenen zu reden. Solche plumpe Maßnahmen verschärfen und vertiefen dann nur die Spannungen und bereiten den Boden für noch mehr gesellschaftlichen Unfrieden. Statt zu kalmieren, wird Öl ins Feuer gegossen und auf heftigere Proteste mit noch mehr Gewalt geantwortet – eine eskalierende zerstörerische Entwicklung, die immer mehr Opfer fordert und steigenden Hass hervorruft.

Hinter derartigen Manövern steckt die Ideologisierung des Fortschritts in der Ethik durch den Versuch, dem Einsatz für mehr Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte ein Mäntelchen der Unmoral umzuhängen. Damit wird der ethische Fortschritt in der Gesellschaft behindert und Unheil gesät. Denn wir haben nur die Wahl, die Ethik entsprechend den ökonomischen und sozialen Veränderungen weiterzuentwickeln oder zuzulassen, dass die Lösungsmöglichkeiten für die entstehenden Konflikte unzureichend bleiben.

Zum Weiterlesen:
Die Verschämten, die Unverschämten und die Demokratie
Die Verschämten und die Unverschämten


Mittwoch, 11. Juni 2025

Die Demokratie, die Verschämten und die Unverschämten

Nichts stört die Unverschämten mehr als eine übergeordnete Kontrolle. Sie können ihr Muster am besten ausspielen, wenn ihrem Machtstreben kein Widerstand entgegensteht. Im Wesen der Unverschämtheit liegt es, die eigenen Grenzen immer weiter auszudehnen, gleich ob dies auf Kosten der anderen geht. Macht will weiterwuchern, bis sie auf eine Gegenmacht stößt, die ihr Einhalt gebietet. In der Demokratie gibt es institutionalisierte Grenzen für die Machtausübung von Einzelpersonen und Gruppen: Wahlen, begrenzte Funktionsperioden, Kontrollen für das Wirtschaften der öffentlichen Hand, parlamentarische Willensbildung, Antikorruptionsbehörden, unabhängige Medien usw. In einer funktionierenden Demokratie wird jede Unverschämtheit irgendwann publik und ist dann Gegenstand von öffentlicher Beschämung. 

Deshalb versuchen unverschämte Politiker, sobald sie an die Macht gekommen sind, die Demokratie zu unterlaufen oder ihre Kontrollmechanismen abzubauen. Die antidemokratische Zerstörungswut kann so weit gehen, dass Gesetze und richterliche Anordnungen ignoriert werden, dass Notstandsgesetze ohne Not aktiviert werden, dass freie Medien verboten werden usw. Auf diese Weise soll die Spielwiese erhalten bleiben, auf der sich ihre Unverschämtheit austoben kann. 

Die Verschämten als Spielbälle der Unverschämten

Insgeheim (manchmal auch offen) verachten die Unverschämten die Demokratie, weil dieses System dem Ausufern der Macht Grenzen setzt. Sie sind dermaßen überzeugt von ihrer Mission, dass ihnen jede Kontrolle als Bosheit erscheint. Sie meinen generell, dass die Verschämten in diesem System ihre Macht auf Kosten der Unverschämten ausüben können. Sie nehmen an, dass die minderbemittelten Leute ihre Schwächen durch ein Regierungssystem kompensieren wollen, das die „Schwachen“ auf Kosten der „Starken“ bevorzugt. Sie setzen Unverschämtheit mit Stärke gleich und geben sich das Recht, die Schwachen für ihre Zwecke auszunutzen. Sie brauchen sie, um in der Demokratie an die Macht zu kommen und dann ihre Politik verfolgen zu können, die sich einen Deut um die verachteten „Schwachen“ kümmert.

Irgendwann merken die Verschämten das Spiel, das mit ihnen gespielt wurde. Dann wenden sie sich ab und schämen sich für die eigene Blindheit. Aber, solange sie von ihrer Scham beherrscht bleiben, suchen sie nur die nächste unverschämte Person, der sie nachlaufen, weil sie sich von ihr die Rettung und Erlösung erhoffen. Die vorgespielte Stärke der Unverschämten imponiert ihnen und gibt ihnen Hoffnung, aus der Misere herausgeführt zu werden.

Die Unverschämten haben einen manipulativen Dreh entwickelt, mit dem sie die Verschämten vor ihren Karren spannen können. Sie überzeugen die Verschämten davon, sie, also die Unverschämten zu wählen, weil sie ihnen versprechen, sie aus ihrer Schamposition herauszuholen. „Ich mache euch wieder groß, wenn ihr mir folgt“ – so die Botschaft unverschämter Machtpolitiker. Einmal an der Macht, versuchen sie, die demokratischen Kontrollen zu unterlaufen, um die Unverschämtheit ungehindert ausleben zu können. Damit nehmen sie den Verschämten weg, was sie schützt und stützt. Diese werden aber im Glauben gelassen, dass das alles nur zu ihrem Guten geschieht. 

Die Blockierung des Lernens aus der Geschichte

Die Schamimprägnierung, die die Verschämten in ihrer Rolle der Schwäche festhält, hindert wirkungsvoll am historischen Lernen: Am Erkennen der Destruktivität, die in der Unverschämtheit liegt, und der Mittäterschaft, der sie sich schuldig machen, weil sie sie unterstützen. Deshalb wiederholt sich das Schauspiel, wie wir es zur Zeit in den USA beobachten können und wie es die Wahlerfolge der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich und ähnlich gestrickter Parteien in anderen europäischen Ländern widerspiegeln. Die Leistungsbilanz dieser Parteien der Unverschämten, die Regierungsverantwortung übernommen haben, schaut denkbar schlecht aus. Die Sozialgesetze werden beschnitten, die individuellen Freiheitsrechte werden eingeschränkt, die Gewaltenteilung wird unterlaufen, die unabhängigen Medien werden ausgehungert oder verboten, die Kulturlandschaft verödet, die Korruption gedeiht, die Klimapolitik wird vernachlässigt. Einzig rigorosere Einwanderungsgesetze, die den Menschenrechten oder zumindest der Menschlichkeit widersprechen, können sie für sich verbuchen.  

Die Schamprägung überwinden

Für die Verschämten liegt der einzige Ausweg aus ihrer Opferrolle darin, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und ihre Schambarrieren zu überwinden. Wenn sie ihre eigenen Tendenzen zur Unverschämtheit erkennen, gewinnen sie mehr Selbstvertrauen und achten mehr auf ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen. Sie lassen sich nicht mehr alles gefallen und erkennen leichter, wenn sie jemand zu manipulieren versucht. Sie erinnern sich an das, was ihnen von den Unverschämten angetan wurde und gehen ihnen nicht mehr auf den Leim.

Mit dem Selbstbewusstsein von Bürgern, die an ihrem eigenen Regierungssystem verantwortlich mitwirken, können sie dann erkennen, dass die Demokratie ein System des Ausgleichs darstellt, das tendenziell die Schwächeren stärkt. Die Kraft, die durch das Verlassen der Opferrolle freigesetzt wird, verhilft dazu, die versteckten Tendenzen zur Unverschämtheit im eigenen Inneren zuzulassen. Denn es braucht ein Stück Unverschämtheit, sich gegen Unverschämtheiten zu wehren und die Auswirkungen von schamlosen Taten einzudämmen. Nur mündige Menschen, die ihre erworbenen Schamprägungen überwunden haben, sind in der Lage, die Unverschämtheit einzudämmen, indem sie die Machtallüren der Unverschämten ohne Scham zurückweisen. Auf diese Weise können sie konstruktiv an der Demokratie mitarbeiten und sie weiterentwickeln. 

Zum Weiterlesen:
Die Verschämten und die Unverschämten


Dienstag, 3. Juni 2025

Die Verschämten und die Unverschämten

In diesen Tagen ist es fast unmöglich, irgendein Nachrichtenmedium zu konsumieren, ohne einer personifizierten Unverschämtheit in der einen oder anderen Form zu begegnen. Zur Unverschämtheit gehört es, sich ins Rampenlicht zu stehen, um von allen Beachtung und Bewunderung zu bekommen. Viele von ihnen erlauben sich jede Frechheit und Dreistigkeit und leben ungehemmt ihre Egoismen aus. 

Im Schatten sitzen die Verschämten, die sich das Schauspiel der Unverschämten mit Verachtung und manchmal mit heimlichem Genuss geben. Sie spüren die Verachtung der Unverschämten für Ihresgleichen und geben mit gleicher Münze ihre moralisch aufgeladene Verachtung zurück: Wir sind die Guten und ihr seid die Schlechten, Üblen und Bösen. Wir sind zwar machtlos und schwach, aber haben die Moral auf unserer Seite und hoffen, dass sie letzten Endes den Sieg über die Unmoral davonträgt.

Die Dynamik der Verachtung zwischen den Unverschämten und den Verschämten

Jede Verachtung stammt aus dem Gefühl der Unterlegenheit, von dem die Verschämten wie die Unverschämten gleichermaßen betroffen sind. Die Verachtung entzieht ihrem Objekt die Achtung, also die Menschenwürde, und kann deshalb eine überlegene Position einnehmen, sodass sie vor ihm keine Angst mehr zu haben braucht. Sie benötigt also ihr Objekt, um aus einer angst- und schambesetzten Schwächeposition herauszukommen. 

Die Unverschämten verachten die Schwachen, weil diese sich alles gefallen lassen und mit ihrem geheuchelten Gutmenschentum ihre Feigheit kaschieren. Sie sind es, die das Schlechte in der Welt am Leben halten statt es abzuschaffen oder zu zerstören. Die Verschämten verachten die Starken und Mächtigen, weil es denen an Moral fehlt. Durch den Mangel an Menschlichkeit und Empathie sind sie so hoch hinausgekommen und haben nun so viele Möglichkeiten für Unterdrückung und Korruption; dafür können und dürfen sie nicht geachtet werden.

Schließlich verachten sich beide Seiten wegen ihrer Verachtung. Die Verschämten spüren die Verachtung, die ihnen die Schamlosen entgegenbringen, und verachten sie deshalb zusätzlich. Die Unverschämten nehmen die  abwertenden und missbilligenden Reaktionen der Verschämten wahr, was sie mit der Verstärkung der Verachtung quittieren. Die Verachtung der Gegenposition trifft auf einen eigenen wunden Punkt, dessen Aktivierung durch die erwiderte Verachtung verhindert wird. Mit der Potenzierung der Verachtung, die in dieser Dynamik abläuft, zementiert sich jede Seite in der eigenen Sichtweise und Erlebenswelt ein. 

Als Folge kommt es zur Vertiefung von gesellschaftlichen Spaltungen. Dem blanken Egoismus und steht ein naiver Altruismus gegenüber. Beide starren wechselseitig auf die jeweiligen Mängel im Gegenüber und meinen, dass die Welt nur besser werden könne, wenn sich die Anderen ändern und das eigene Muster übernehmen.

Tatsächlich ist es so, dass sich beide Seiten brauchen, um in der eigenen Position verharren und sich selbst bestätigen zu können. Ohne Verschämte hätten die Unverschämten niemanden zum Unterdrücken und Manipulieren; ohne Unverschämte verlören die Verschämten ihre moralische Überlegenheit und ihr rechthaberischer Pathos ginge ins Leere.

Beide Positionen sind zusätzlich durch einen wechselseitigen Neid miteinander verbunden. Die Einen schielen auf die Moral, an der es ihnen mangelt, die Anderen auf die Durchsetzungskraft, die sie sich nicht zutrauen. 

Die Verschämten wissen um ihre Schwächen und unterschätzen ihre Stärken. Bei den Unverschämten ist es genau umgekehrt. Die Verschämten suchen viel leichter Hilfe und Unterstützung, weil sie stärker an ihrem Mangel leiden. Viele nehmen z.B. Therapien in Anspruch oder besuchen Selbsterfahrungsgruppen, weil sie aus ihrer Schambelastung herauskommen wollen. Die Unverschämten dagegen sonnen sich in ihrem Narzissmus und sehen die Schwächen nur bei den anderen. Also brauchen sie nicht an sich arbeiten. 

Der Ausweg aus den Rollenfixierungen

Die Verschämten, die sich von ihrer Schamlast befreit haben, können aus der Rolle als Gegenspieler zu den Unverschämten heraustreten, was auch für die vermutlich weniger zahlreichen Unverschämten gilt, die sich ihrem Muster stellen und es durchschauen und ablegen können. Der nächste Schritt besteht darin, die Verachtung, die der jeweiligen Position innewohnt, zu erkennen und loszulassen. Die Verschämten können dann das, was sie an den Unverschämten heimlich bewundert haben: Selber unverschämt, d.h. egoistisch zu sein, wenn es notwendig ist. Statt immer nachzugeben oder sich alles gefallen zu lassen, beginnen sie sich zu wehren und ihre Bedürfnisse und Ansprüche einzufordern. Die Unverschämten lernen ihre Scham kennen und finden einen Weg, um sich dem Mitgefühl zu öffnen.

Wo immer es gelingt, das eigene Muster aufzubrechen, wird die Gesellschaft offener und toleranter. Statt sich aufheizender Konfliktlinien entstehen Felder des Verständnisses und der Entspannung. 


Donnerstag, 22. Mai 2025

Die autoritäre Persönlichkeit und die Trump-Unterstützer

Die New Yorker Psychotherapeutin Harriet Fraad hat sich die Frage gestellt, warum nach all den bisherigen desaströsen Folgen der zweiten Trump-Regierung noch immer 39% der Amerikaner diese Politik für gut befinden. Sie hat sich bei ihrer Analyse auf die Studien zur autoritären Persönlichkeit von Wilhelm Reich, Erich Fromm, Else Frenkel-Brunswik und Theodor W. Adorno bezogen. Betroffen von der Zustimmung vieler Deutscher zum Nationalsozialismus, untersuchte das Frankfurter Institut für Sozialforschung den Zusammenhang von Autoritätshörigkeit und Familie. Die Forschungen wurden dann im Exil fortgeführt und später in die Kritische Theorie der Frankfurter Schule aufgenommen, die in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts stark an Einfluss gewonnen hat.

Die grundlegende Theorie besagt, dass sich autoritäre Charakterstrukturen entwickeln, wenn jemand als Kleinkind von den Eltern autoritär behandelt wurde. Diese Prägung wäre später kaum beeinflussbar und zeichne sich durch Gewaltbereitschaft und Feindseligkeit gegen Andere und gegen Unterlegene aus. Es kommt zu Projektionen auf ethnische, politische oder religiöse Minderheiten, denen alles Böse unterstellt wird.

Die Notwendigkeit einer „demokratischen Erziehung“, in der das Kind mit seinem Gefühlen und Bedürfnissen geachtet wird, kann aus diesen Studien abgeleitet werden. Tatsächlich kam es in Westeuropa und in Teilen der USA zu einer Welle der gewaltfreien und anti-autoritären Erziehung. Sie schoss vielleicht manchmal übers Ziel, in dem den Kindern zu wenig Grenzen gesetzt wurden, hatte aber zur Folge, dass längerfristig die Gewalt gegen Kinder zunehmend verpönt wurde. Auch wenn bis heute die Gewalt aus den Kinderzimmern noch nicht vollständig verschwunden ist, wird sie von einer großen Mehrheit der Menschen in Westeuropa abgelehnt.

Der Bible-Belt und die schwarze Pädagogik

In den USA hat sich dieser Ansatz nur bedingt durchgesetzt. Die Staaten hatten keine Nazi-Vergangenheit aufzuarbeiten, und deshalb blieben in vielen Gegenden Traditionen aufrecht, die in der Vormoderne verwurzelt sind und deren rigide Erziehungsprinzipien mit der Unterstützung evangelikaler Kirchen und Sekten weiter praktiziert werden. Insbesondere im Südosten der USA, im sogenannten Bible-Belt sind Erziehungshaltungen verbreitet, wie sie vor der Aufklärung weitgehend selbstverständlich waren, aber seither, und vor allem seit dem Nationalsozialismus stark in Frage gestellt wurden. Auf diese Phänomene bezieht sich die Analyse von Harriet Fraad. 

Sie sieht in James Dobson den Hauptpropagandist einer Pädagogik, die ihren Zweck in der Unterordnung der Kinder unter die Herrschaft der Eltern sieht. Der „Erziehungsguru“ hat 17 Ehrendoktortitel von Hochschulen mit religiöser Trägerschaft erhalten und vertritt in seinen Reden und Büchern folgende Meinungen: Körperliche Bestrafung sollte auf jeden kindlichen Ungehorsam folgen und nicht etwa als letztes Mittel angewandt werden. Er ist zwar gegen Kindesmisshandlung, aber „ein bisschen Schmerz kann schon bei einem jungen Kind viel erreichen. Die Schläge sollen jedoch von ausreichender Härte sein, damit das Kind wirklich weint.“ Er glaubt, dass Männer die Verpflichtung gegenüber Gott haben, ihre Familien zu führen, und Frauen die Verpflichtung gegenüber Gott haben, sich der Autorität ihres Ehemanns zu unterwerfen. Außerdem hält er die Homosexualität für eine heilbare Krankheit.

In dieser Pädagogik geht es darum, den Willen des Kindes möglichst früh zu brechen, damit die unbedingte Bereitschaft zum Gehorsam nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Die Devise lautet: Wenn die Zeiten hart werden, musst du ohne jede Widerrede der Autorität gehorchen. Zwar ist diese Regel aus tribalen Zeiten abgeleitet, in denen es wichtig war, dass bei Gefahr nicht lange herumgeredet wurde. Aber in der schwarzen Pädagogik ist es der elterliche Stress, der die Not ausmacht, und schuld an diesen Belastungen sind immer die Kinder. Also müssen sie lernen, Befehle und Anordnungen ohne Widerspruch zu befolgen. 

Gehorsam als Überlebensstrategie

Nach dem französischen Philosophen Louis Althusser gibt es drei Systeme, die bewirken, dass sich die Menschen willenlos der staatlichen Autorität unterordnen, ohne dass diese Gewalt anwenden muss: die autoritäre Religion, die autoritäre Familie und das autoritäre Bildungssystem. Kinder, die in solchen Systemen aufgewachsen sind, haben gelernt, dass es das Beste ist, zu kuschen und zu gehorchen, dann sind sie sicher. Das sind Kinder, die wissen, dass es sinnlos ist, Befehle in Frage zu stellen oder dagegen aufzubegehren.

Sie haben gelernt, dass sie gehorchen müssen, auch wenn es gegen ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen geht. Wichtig sind nur die Bedürfnisse und Interessen der Autoritäten, mit dem Glauben, wenn diese befriedigt sind, gehe es allen besser. Sie wollen gar nicht wissen, was wirklich passiert, weil das zu viel Angst auslösen würde. Der allmächtige Vater muss unterstützt werden, um jeden Preis, denn sonst ist die eigene Sicherheit in Gefahr. Alle Fragen und alle Zweifel müssen ausradiert werden, damit der allmächtige Vater ein sicherer Anhaltspunkt bleiben kann. Dafür nehmen die Kinder in Kauf, dass sie ihre eigenen Wünsche zurückstellen, bis sie sie gar nicht mehr erkennen. Sie haben durch die Bestrafungen gelernt, dass ihr Wille und ihre Bedürfnisse schlecht oder böse sind, was so viel bedeutet wie dass sie selber schlecht und böse sind. 

Der Hass, aus dem die Eltern die Rechtfertigung für die Unterdrückung der Kinder ableiten, wird von den Kindern verinnerlicht und in einen Selbsthass umgewandelt. Später findet sich dann der Ausweg, den Selbsthass gegen andere Gruppen zu wenden – die sind dann die Bösen. Da sie Autoritäten vertrauen, glauben sie ihnen auch, wenn diese die Böse benennen und anklagen und folgen ihnen mit diesem Hass. 

Gegen die eigenen Interessen wählen

Aus dieser Dynamik wird auch verständlich, warum viele Menschen Politiker wählen und unterstützen, die gegen ihren eigenen Vorteil und gegen ihre eigenen Interessen ihre Politik betreiben. Es geht diesen Menschen nicht um ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen, denn sie haben gelernt, dass diese nicht wichtig sind – vielmehr geht es ihnen um die Bedürfnisse und Interessen der Autoritäten, denen sie folgen. Sie vertrauen ihnen blindlings und meinen, dass sie immer Recht haben, so wie der eigene autoritäre Vater immer Recht haben musste. Wenn die Führerfigur meint, dass das Einheben von Zöllen für alle im eigenen Land Vorteile bringt, dann unterstützen sie die Maßnahme, selbst wenn sie selber die Zeche zahlen müssen. Wenn die Autorität verkündet, dass die Ausländer an allem Schuld sind, dann befürworten sie deren Vertreibung, auch wenn sie gegen das Recht verstößt oder der Wirtschaft nachhaltig schadet. 

Geistige Dumpfheit

Eine Folge der autoritären Erziehung besteht in einer geistigen Dumpfheit, die als Folge der Unterdrückung der eigenen Impulse, Bedürfnisse und Willensäußerungen entsteht. Menschen mit dieser Geschichte sind nicht dumm, obwohl sie sich oft dumm, im Sinn der Selbstschädigung verhalten. Sie haben nur als Überlebensprinzip angenommen, dass das Nachdenken sinnlos und sogar gefährlich ist, weil es die Sicherheit unterminieren könnte, die eine gnädig gestimmte Autorität garantiert. Und deshalb müssen alle bekämpft werden, die an der Autorität zweifeln, sie kritisieren oder lächerlich machen.

Hier zum Podcast von Harriet Fraad.

Zum Weiterlesen: 

Aufklärung - der natürliche Feind rechter Ideologien
Hass, Zerstörung und Krieg
Taktiken zur Machtergreifung
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff von rechts


Dienstag, 20. Mai 2025

Aufklärung - der natürliche Feind rechter Ideologien

Aufklärung besteht nach Immanuel Kant in der Befreiung der Menschen aus der Unmündigkeit. Unmündigkeit bedeutet, die Verantwortung für das eigene Leben nicht tragen zu können oder zu dürfen. Die Botschaft der Aufklärung besagt, dass die erwachsenen Menschen ein Recht auf ihre Mündigkeit haben und dass dieses Recht gegen alle Bedrohungen geschützt werden muss.  Kant hat auch auf die Unmündigkeit im Denken hingewiesen – die obrigkeitliche Vorschreibung dessen, was die Menschen denken und für wahr halten sollten. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, so lautet die Losung der Aufklärung nach Kant. Er hat den Mangel an Mündigkeit vor allem auf fehlende Entschlossenheit und Feigheit zurückgeführt. Sich aus der „beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten“, hat er als schwieriges Unterfangen beschrieben. 

Kant ist aber auch auf die politischen Bedingungen eingegangen: „Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks vorteilhaft und setzt ihr doch unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem Raum, sich nach allem seinen Vermögen auszubreiten. Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.“

Er vertritt die Auffassung, dass es einen Ausgleich zwischen den bürgerlichen Freiheiten und der staatlichen Kontrolle braucht, damit die Aufklärung gedeihen und in gemäßigten Bahnen verlaufen kann. Mehr Freiheit ermöglicht jedenfalls mehr freies Denken, und die Befreiung des Denkens führt zur würdigen Behandlung der Menschen. Ungeregeltes Denken läuft Gefahr, in die Irrationalität abzugleiten, sodass Gefühle statt dem Denken die Äußerungen dominieren. Die Folgen der schrankenlosen Meinungsfreiheit können wir an der ausufernden, von Hassbotschaften verschmutzen Landschaft auf diversen Plattformen der sogenannten sozialen Medien beobachten. Hier könnten nur staatliche Maßnahmen regulierend eingreifen. Zu viel an obrigkeitlicher Kontrolle wiederum unterdrückt die Freiheit und beschneidet die Menschenwürde.

Entmachtung von Ideologien

Die Aufklärung hat sich der Aufgabe verschrieben, Aberglaube, Irrationalität und Ideologien zu entlarven und zu entmachten. Es soll der menschlichen Vernunft die maßgebliche Rolle für die Gestaltung der Gesellschaft und des Staates eingeräumt werden. Rechtsgerichtete sind Gegner der Aufklärung, weil sie ihre Ideologie für sakrosankt erklärt haben – manchmal sogar im wörtlichen Sinn, also verbunden mit einem religiösen Anspruch. Deshalb interpretieren sie jeden Angriff auf ihre Ideologie als Angriff nicht nur auf die eigene Partei oder politische Ausrichtung, sondern gleich auf den Staat und das Volk insgesamt. Ihr politischer Kampf bemäntelt sich dann mit dem scheinbaren Einsatz für das Ganze, das sie allerdings mit ihrer Ideologie besetzt haben.

Der kritische Ansatz der Aufklärung ist also ihr natürlicher Feind. Sie droht, ihnen Die Grundlage ihres Weltbildes ist eine Ideologie, und die Aufklärung bedroht diese Ideologie und damit die Rechtfertigung ihres Weltbildes. Deshalb haben alle Rechten liberales Gedankengut, liberale Werte und die Ideen der Menschenrechte, die aus der Aufklärung entstanden sind, zu ihrem Feindbild auserkoren. Diese Feindschaft kann so weit reichen, dass die Bildungsinstitutionen unter Druck gesetzt werden, ideologische Inhalte zu vermitteln, statt kritisches Denken zu fördern.

Natürlich haben sich auch auf der linken Seite des politischen Spektrums Ideologien ausgebildet, die zum Beispiel für den Aufbau von repressiven kommunistischen Herrschaftsmodellen herhalten mussten. Andererseits ist auf der Seite der linken Intellektuellen schon früh die Ideologiekritik entstanden, mit Karl Marx, Theodor W. Adorno, Jean Paul Sartre und Louis Althusser als wichtigen Vertretern. Die Ideologiekritik steht in der Tradition der Aufklärung, die vor allem von liberalen und linken Denkern und Wissenschaftlern aufrechterhalten wird und eine Form der Selbstkritik und Selbstreinigung beinhaltet. Sie bildet eine Instanz zumindest zur Reflexion oder zur Korrektur von allen ideologischen Auswüchsen, ob von linker oder von rechter Seite.

Starrheit als Folge fehlender Selbstkontrolle

Ein Merkmal der Rechten besteht hingegen darin, in ihren Reihen über keine Korrekturmechanismen für ihre Ideologien zu verfügen. Vielmehr werden Kritiker schnell aus den eigenen Reihen ausgesondert. Allerfalls gibt es intern Auseinandersetzungen zwischen radikaleren und gemäßigten Strömungen. So sind aktuell die einzigen, die dem absolutistischen Machtkurs des gegenwärtigen US-Präsidenten Einhalt gebieten, noch radikalere Republikaner.

Das Fehlen einer ideologischen Selbstkontrolle bei den Rechten bewirkt, dass die Ideengebäude starr und monolithisch bleiben, was Anhänger anzieht, denen gesellschaftliche Änderungen und Weiterentwicklungen generell nicht geheuer sind. Da sich die Wirklichkeit beständig verändert, koppeln sich die rechten Ideologien immer weiter von ihr ab; sie kompensieren diesen Mangel damit, dass sie die Wirklichkeit solange zurechtzimmern, bis sie zur Ideologie passt. Es werden also die äußeren Bedingungen der Ideologie angepasst, indem sie so interpretiert werden, dass sie die Ideologie bestätigen; alles Widersprechende wird ausgeblendet. Für diese Umdeutung der Realität benötigen die rechten Machthaber und Interessensgruppen umfangreiche Propagandaapparate, die fortlaufend mit großem Aufwand die Unterschiede zwischen der Ideologie und den realen Gegebenheiten einebnen müssen. Wenn beispielsweise die Ideologie maßgeblich ist, dass Ausländer den eigenen Wohlstand bedrohen, müssen alle Befunde, die das Gegenteil belegen, umgedeutet oder abgewertet werden. Einzelfälle, die die Ideologie unterstützen, werden aufgebauscht, während Statistiken oder wissenschaftliche Studien unterdrückt werden, die gegen die Ideologie sprechen. Gleichermaßen wird vorgegangen, wenn es um die Kriminalität von Inländern und Ausländern geht.

Für alles Schlimme suchen die rechten Ideologien Sündenböcke, an deren Gefährlichkeit ohne jede Evidenz und gegen alle widersprechenden Fakten festgehalten werden muss, weil sonst die ganze ideologische Erzählung zusammenbrechen würde. Wenn z.B. alle gewusst hätten, dass es keine jüdische Rasse gibt und dass die Juden in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nur einen kleinen Teil des Bankengeschäftes in Deutschland kontrolliert haben, wären sie der nationalsozialistischen Propaganda nicht auf den Leim gegangen. 

Verblendung und Wiedergewinnung der Klarsicht

Ideologien dienen der Verblendung, also der Einschränkung der Klarsicht auf die Wirklichkeit, so wie sie ist. Sie suggerieren Erwartungen, wie die Realität sein soll, damit sie so wahrgenommen wird, wie es die Ideologie vorgibt. Die Aufklärung geht den umgekehrten Weg: Sie prüft die Realität und an der Realität die Ideologien. Taugt eine Ideologie dafür, die Wirklichkeit besser verständlich zu machen, sodass die praktische Orientierung erleichtert wird, oder erschwert sie dieses Verstehen und die daraus folgende Handlungsanleitung? Wenn wir der Aufklärung und ihren Maximen folgen, bleiben wir mit der Realität in Verbindung und verfügen damit über die größtmögliche Freiheit und Flexibilität für unsere Wertsetzungen und Handlungen. Außerdem orientiert sich unsere Ethik mit dieser Zugangsweise an der Menschlichkeit und am Gemeinwohl und nicht am Eigennutz, an Gruppenegoismen oder an den Interessen von Ideologien und Ideologen.

Zum Weiterlesen:
Hass, Zerstörung und Krieg
Taktiken zur Machtergreifung
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff von rechts


Sonntag, 11. Mai 2025

Hass, Zerstörung und Krieg

Die Inder haben der Zerstörung eine eigene Göttin gewidmet. Denn die Kraft der Zerstörung ist, so seltsam es klingen mag, eine wichtige Kraft in der Weiterentwicklung des Lebens, in der Evolution. Altes geht unter, damit Neues gedeihen kann. Die Natur zerstört Leben und schafft neues Leben. Das Alte geht zugrunde, damit Neues wachsen und gedeihen kann. 

Wenn die Natur zerstört, wie z.B. bei einem Erdbeben, so gestaltet sie sich um und gibt sich sofort eine neue Form. Nach einem Lavaausbruch aus einem Vulkan beginnen irgendwann Pflanzen zu sprießen. Das Tragische oder Katastrophale bei solchen Ereignissen liegt „nur“ im Leiden der betroffenen Menschen, die unwiederbringlich ihr Hab und Gut oder ihre Liebsten verloren haben. 

Der Natur nachgemacht, kann auch jeder Mensch eine konstruktive Form der Zerstörung anwenden. Er kann in sich spüren, was ihn an sich selbst stört – schlechte Gewohnheiten, behindernde Verhaltensmuster, unethische Charakterzüge. Dann braucht er Mut, um diese Aspekte der eigenen Persönlichkeit in sich selbst zu konfrontieren, mit dem Ziel, sie dann stillzulegen, zu transformieren und neue kreative Impulse an ihre Stelle zu setzen. Das ist die konstruktive Seite am menschlichen Zerstörungstrieb.

Hass und Selbstzerstörung

Es gibt aber auch eine Zerstörung um ihrer selbst willen. Sie stammt aus der genuin menschlichen Regung des Hasses. Der Hass will das, was ihn stört, vernichten, sodass es nie mehr stören kann. Die Nationalsozialisten fühlten sich durch die Juden gestört, also wollten sie alle umbringen. Die Migrantenhasser fühlen sich durch Ausländer gestört und wollen sie alle außer Land bringen, damit sie an keiner Störung mehr leiden müssen. 

Der nach außen gerichtete Hass ist im Grund eine Abwehrstrategie gegen den eingepflanzten Selbsthass; Hass auf Objekte im Außen ist also immer auch Selbsthass, mutwillige Zerstörung vernichtet Teile der eigenen Seele. Der Selbsthass wiederum ist das Ergebnis eines von anderen empfangenen Hasses. Eltern, die sich im Grunde selbst hassen, geben ihren Hass auf ihre Kinder weiter, die dann anfangen, sich selbst zu hassen, d.h. ihre Selbstauslöschung wünschen, um den Willen der Eltern zu erfüllen. Hier führt ein Weg zu schweren Depressionen bis zum Selbstmord, die andere Richtung zur erneuten aggressiv geladenen Projektion des Hasses nach außen, der sich dann in Zerstörungswut äußern kann.

Geteilter Hass führt  zur Gewalt.

Der Hass, der dann im Inneren getragen wird, bleibt oft verborgen, bis Gleichgesinnte gefunden werden, mit deren Hilfe er nach außen gewendet werden kann. Eine Gruppe, mit der der Hass geteilt wird, entlastet von der Scham, die mit jeder Hassregung verbunden ist. Alles Lebensfeindliche ist schambesetzt; eine geteilte Scham kann jedoch leicht in Aggression und Gewalt umgemünzt werden. Die Gruppe sorgt für die Rechtfertigung, in dem sie sich einer Ideologie unterordnet, z.B. der antisemitischen oder der ausländerfeindlichen Ideologie.

Die Aufgabe von Ideologien besteht darin, die irrational gesteuerte Destruktivität aus unverarbeiteten Hassgefühlen als konstruktive Zerstörung zu tarnen. Menschen beginnen Kriege nur aufgrund von Ideologien, die die Zerstörung der Feinde als unausweichlich darstellen, damit das Leben gut weitergehen kann. Die Umwandlung der hassgeleiteten Zerstörungswut in einen geheiligten Krieg, also in einen scheinbar notwendigen Schritt zur Läuterung und Reinigung, dient zur Rechtfertigung der Gewalt und zur kollektiven Schamentlastung.

Ohne Ideologie kein Krieg

Österreich-Ungarn begann 1914 den Krieg gegen Serbien auf der Grundlage der Ideologie, für einen Mord einen ganzen Staat verantwortlich zu machen und dafür zu bestrafen. Die Entfesselung eines Weltkriegs wurde blind in Kauf genommen. Hitlerdeutschland begann 1939 den Zweiten Weltkrieg mit der ideologischen Rechtfertigung, die Schmach des Vertrages von Versailles rückgängig zu machen und Lebensraum für das deutsche Volk im Osten zu schaffen. Die USA haben sich in den Vietnamkrieg eingemischt, um die Weltherrschaft des Kommunismus zu verhindern. Russland hat die Ukraine angegriffen, um den angeblich dort herrschenden Nationalsozialismus zu beenden. Usw. 

Die Zerstörungswut kann vor allem dann schamfrei ausgelebt werden, wenn sie durch einen Gruppenkonsens als „natürliche” und notwendige Reaktion auf ein Unrecht oder eine Unmenschlichkeit erscheint. Deshalb nehmen sich politische Parteien dieser Hassimpulse an. Sie entwerfen Ideologien zur Bemäntelung und Heroisierung von pathologischen Gefühlsreaktionen. Diese sollen als beinahe naturnotwendige Eingriffe in den Lauf der Dinge erscheinen, um alles Böse wieder zum Guten zu wenden.

Kriege zerstören Menschenleben und materielle Werte. Wenn eine Rakete, die um die 1 Million gekostet hat, in ein Haus einschlägt, das 10 Millionen wert ist, dann ist, nüchtern betrachtet, der Gegenwert von 11 Millionen in Schutt und Asche verwandelt, also vernichtet. Waren Menschen in dem Haus, so ist der vernichtete Wert unermesslich höher. 

Dem aus Hass Zerstörten steht nicht Neuerschaffenes gegenüber. Irgendwann vielleicht, wenn in der Gegend wieder Friede herrscht, kann das Haus neu errichtet werden (die Kosten werden weit höher sein als die zerstörten Werte); die Menschenleben sind aber für immer verloren. Vernichtet wurden Menschenleben und Dinge, die das Leben erschaffen hat, in Form von Produkten menschlicher Arbeit (das Erbauen eines Hauses oder die Konstruktion einer Rakete samt aller dafür notwendigen Materialien), unter Verwendung von Rohstoffen aus der Natur. All das, was die Natur durch langsame Prozesse der Evolution geformt hat, wurde mit einem Schlag in lebloses sinnloses Chaos verwandelt. Massive Ressourcen verschwinden in dem Haufen der Zerstörung. Und dieser Schlag ist durch nichts anderes als durch immensen menschlichen Hass gesteuert. 

Es wird so lange Kriege unter den Menschen geben, als die Quellen des Hasses nicht trockengelegt sind – in den individuellen wie in den kollektiven Seelen. Es wird so lange Kriege geben, als die Menschen hasserfüllte Ideologien hervorbringen, verbreiten und verfolgen. Es wird so lange Kriege geben, als der unermessliche Wert jedes Menschenlebens ignoriert und Zielen untergeordnet wird, die einer unerlösten Zerstörungswut entspringen.

Zum Weiterlesen:
Die Kraft der Zerstörung
Der Hass in der politischen Fixierung
Hass und Liebe: Vom Mangel in die Fülle
Hass im Internetzeitalter
Geschlossene Systeme und der inhärente Hass


Samstag, 26. April 2025

Sprachverzerrung durch Macht

Die Aufgabe der Sprache liegt im Wesentlichen darin, dass sich die Menschen untereinander abstimmen – über ihre Befindlichkeiten und über die Wirklichkeit. Menschen suchen immer nach der Übereinstimmung mit ihren Mitmenschen, um sich sicher zu fühlen. Für dieses Sicherheitsgefühl ist es auch notwendig, dass es eine Übereinstimmung über die Welt im Außen gibt. Mit Hilfe der Sprache teilen wir unsere Gemütszustände und unsere Wahrnehmung von der Wirklichkeit. Wenn zwischen den beiden Bereichen Widersprüche aufklaffen, entstehen Unsicherheit und Verwirrung als Reaktion. 

Damit wir einander vertrauen können, brauchen wir zumindest ähnliche Einschätzungen über die Wirklichkeit. Mit jemandem, der ganz konträre Ansichten über die Welt hat als wir selber, tun wir uns schwer, Vertrauen aufzubauen. Für das Vertrauen benötigen wir auch die Verlässlichkeit, dass die Menschen um uns herum eine gewisse Beständigkeit aufweisen, dass sie also nicht jeden Tag andere Meinungen vertreten. 

Auf diese Weise regeln die Menschen den Umgang miteinander. Missverständnisse werden nach Möglichkeit ausgeräumt. Die Übereinstimmung immer wieder herzustellen, ist ein wichtiges Anliegen, weil dadurch Vertrauen und soziale Sicherheit geschaffen werden. 

Machtgesteuerte Kommunikation

Systematische Verzerrungen entstehen vor allem dann, wenn sich die politische Macht in die kommunikativen Netzwerke einmischt. Macht hat von sich aus die Tendenz, sich auszuweiten, bis ihr eine andere Macht entgegentritt. In Demokratien, sorgt die Gewaltenteilung dafür, dass es zu jeder Form der Machtausübung eine institutionalisierte Kontrolle und Grenze gibt. Damit wird die Verschmutzung der kommunikativen Kanäle möglichst gering gehalten. Sobald die demokratischen Institutionen aufgeweicht oder ausgeschaltet sind, können die machtgesteuerten Kommunikationsinhalte und –formen umso leichter die Kommunikationsräume fluten. Die Folge ist die Verkrüppelung und Verzerrung der Sprache. Denn sie dient dann nicht mehr der Verständigung und der Übereinstimmung über die Realität, sondern der Durchsetzung von Sichtweisen ohne Realitätsbezug. Abweichende Sichtweisen werden unter Strafe gestellt oder anderswie aus den Kommunikationsräumen verbannt.  Die Funktion der Sprache, nach der Wahrheit zu suchen, um eine sichere Basis der Verständigung aufzubauen, verschwindet. Stattdessen wird der Unterschied zwischen Realität und Fantasie oder Ideologie eingeebnet. Die vorherrschende Macht legt fest, was für wahr gehalten werden muss. 

Die Nazisprache und die Folgen

Die langfristigen Folgen konnten wir schon beobachten: Der deutsche Sprachraum war auf Jahrzehnte hinaus verseucht durch die Nazisprache. Da sie weiter von rechten Kreisen gepflogen wird, ist die Verzerrung der Sprache nach wie vor nicht überwunden. Erst vor kurzem verwendete ein Rechtsabgeordneter im österreichischen Parlament den Ausdruck „Umvolkung“, einen NS-Terminus mit seinem gesamten rassistischen und gewaltbesetzen Gehalt, der ohne Ordnungsruf vom ebenso rechten Nationalratspräsidenten hingenommen wurde. Auf diese Art pflegen die Rechten und Rechtsextremen das „Niemals vergessen“: Die Sprachzerstörung immer wieder wachzurufen, um die Tür zur Diktatur offen zu lassen. Sprachzerstörung ist Gesellschaftszerstörung und damit direkt auch Menschenzerstörung. 

Sprachzerstörung in den USA

In den USA können wir gewissermaßen in Echtzeit verfolgen, wie die Unterwerfung des sozialen Diskurses, in dem die Sprache der Verständigung und der Herstellung von geteilten Realitäten dienen sollte, durch gewaltsame Eingriffe dem Machtapparat unterworfen wird. Das geschieht durch Bücherverbote, Zensierung von Lehrinhalten auf Schulen und Universitäten, existenzbedrohlichen Druck auf Staatsangestellte und öffentlich Bedienstete, durch das Verbreiten von Angst bei ausländischen Studenten und Immigranten, durch das Biegen des Rechts und durch ein Trommelfeuer an Propaganda und durch offensichtliches und schamloses Lügen. Sprache wird zum Instrument einer aggressiven und autoritären Politik, die ihre Macht ausbreiten und vertiefen möchte, um niemals mehr in die zweite Reihe zurücktreten zu müssen. Hitlers wahnwitziger Plan vom „Tausendjährigen Reich“ soll hier Auferstehung feiern, zunächst darin, dass Trump eine dritte Amtszeit entgegen der Verfassung anstrebt und in dieser Zeit die Weichen stellen wird, dass die Republikaner, die auf seinen Kurs getrimmt sind, in Hinkunft jedes Mal die manipulierten Wahlen gewinnen werden.

Die Erosion der Sprache und damit des gesellschaftlichen Diskurses geschieht schleichend. Die Sprache wird sukzessive mit Gewaltvokabeln angereichert, bis diese Aufladung als normal empfunden und von immer mehr Menschen angewendet wird. Begriffe werden ihren bisherigen Kontexten entrissen und mit ideologischen Inhalten besetzt. Die Grenzen zwischen Realität und frei erfundenen Fantasiewelten werden aufgeweicht und durchlässig, sodass jede Sicherheit in der Unterscheidung zwischen diesen beiden Bereichen schwindet. Die politische Macht, die sich zur alleinigen Deutungsmacht aufschwingen will, bestimmt über das, was wirklich und unwirklich ist. Es ist eine Willkür ohne einen realen Außenpol, der korrigierend eingreifen könnte. 

Die epistemische Willkür hält sich auf Dauer allerdings nur als Wahnsinn oder mit Hilfe brutaler Macht. Irgendwann zerschellt das Fantasiegebäude an der unerbittlichen Wirklichkeit, und die Machtkonstruktionen brechen zusammen. Es dauert aber noch lange, bis die Schädigungen an der Sprache repariert sind und die Gewalt- und Machteinflüsse identifiziert und entfernt werden können.

Zum Weiterlesen:
Der Hass in der politischen Fixierung
Der Propagandatrick der Umkehrung
Taktiken zur Machtergreifung
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff von rechts


Sonntag, 20. April 2025

Die Globalisierung von Konflikten durch die Aktivierung von Traumen

In vielen Gebieten der Welt herrscht unermessliches Leid als Folgen von gewaltsamen und langwierigen Konflikten. Das berührt auch die anderen Mitglieder der Menschenfamilie und führt oft zu einem tiefen Mitgefühl für die Opfer dieser Konflikte.

Humane Katastrophen bringen die Menschen dazu, nach Erklärungen für die Auslöser zu suchen. Denn solche Ereignisse sollten nach Möglichkeit in Zukunft verhindert werden. Die richtige Erklärung sollte dazu helfen.  Die einfachste Erklärung besteht darin, einen Schuldigen zu finden, der dann ausgeschaltet oder bestrafen werden kann. Doch führen die einfachen Erklärungen meist in die Irre. Die menschlichen Angelegenheiten sind bekanntlich immer vielschichtig und komplex.

Allerdings werden diese Konflikte zu emotional aufgeladenen Themen vereinfacht und verbreiten sich weit über die Konfliktgebiete hinaus. Dort schaffen sie zusätzliche, sekundäre Konflikte, die weitere Opfer fordern. Denn das Leid von Menschen wird in Waffen für alle möglichen politischen Interessen umgeschmiedet. Aus schrecklichen Unmenschlichkeiten werden ideologische Konstrukte gefertigt, die nichts mehr mit dem Leid der Betroffene zu tun haben, sondern anderen Zwecken dienen. Ein wichtiger Aspekt solcher Konstrukte ist es, Unbeteiligte dazu zu bringen, sich in das ideologische Freund-Feind-Schema einzugliedern, um die eigene Position zu stärken und den eigenen Hass zu rechtfertigen. 

Der Nahostkonflikt in globaler Polarisierung

Eines dieser Themen ist der Nahostkonflikt – seit es ihn gibt. Der Terrorüberfall am 7. Oktober 2023 und die darauf folgende militärische Reaktion Israels haben dieses Thema in einem unglaublichen Ausmaß emotional aufgeladen und zu massiven Polarisierungen geführt, die sich gleichsam durch die ganze Welt ziehen. Die Frontlinien verlaufen ungefähr so: Wer für Israel Partei ergreift, wird von der anderen Seite als Unterstützer eines Genozids eingeschätzt; wer sich auf die Seite der Palästinenser stellt oder die Politik der israelischen Regierung kritisiert, wird als Antisemit gebrandmarkt. 

Je mehr emotionale Aufladung herrscht, desto schwerer wird es, differenziert zu argumentieren; es geht nur mehr um die Frage: Bist du für oder gegen mich/uns? Es gibt nur eine Wahrheit, wer sie teilt, ist ein Freund, wer sie bestreitet, ist ein Feind und muss bekämpft werden. Emotionale Aufladung bedeutet immer Stress; Stress bewirkt die Vereinfachung des Denkens und die Aktivierung des Freund-Feind-Schemas. 

Aktivierung von Traumen

Solche Themen werden oft von Menschen aufgegriffen, die direkt gar nichts damit zu tun haben, weil sie andere Interessen bedienen und politischen Erfolg mit einer Parteinahme erreichen wollen. Tiefer betrachtet, nutzen sie unbewusst solche Themen, um bei den Menschen in ihrer Zielgruppe Traumareaktionen auszulösen. Denn die Energien, mit denen solche Themen emotional aufgeladen und mit Wut und Hass belebt werden, stammen aus Traumen, in denen die Person das Opfer von übermächtiger Gewalt war und meint, sich jetzt gegen diese Gewalt wehren zu müssen, um nicht wieder in die ohnmächtige Opferrolle zu geraten. Das ist also eine unbewusste Dynamik, in der sich die individuelle Traumaerfahrung mit dem kollektiven Traumafeld verbindet.

Identifikation mit den Opfern

Im Nahostkonflikt gibt es auf beiden Seiten viele Opfer, aber das eigene Trauma bewirkt bei Unbeteiligten, sich mit einer Seite der Leidenden zu identifizieren und für diese Seite mit allen Mitteln zu kämpfen. Stellvertretend für das eigene erlittene Opfersein sollen die aktuellen Opfer aus ihrer bedrohlichen Position befreit werden und damit soll ein Sieg über das Böse, das ursprünglich die Schuld am eigenen Trauma getragen hat, erreicht werden. 

Als Folge dieser Ausbreitung der Konfliktfelder entstehen Konfliktgräben auf der ganzen Welt, und die Parteien mit all ihren Stellvertretern stehen sich wie zwei steinzeitliche Heerhaufen in mörderischer Absicht gegenüber – die einen drohen mit der Keule des Genozids, die anderen mit der Keule des Holocausts. Dazu kommt, dass alle, die da nicht mitmachen wollen, gezwungen werden sollen, Partei zu ergreifen, oft nach dem Motto: Bist du nicht bedingungslos für uns, dann bist du unser Feind. Damit wird weit abseits der Konfliktgebiete eine Debattenkultur erschaffen, die die Grausamkeit der realen Kriege in die ganze Welt trägt, von Aggressionen aufgeladen ist und mehr und mehr Menschen in ihren Bann zieht.

Natürlich gibt es die verschiedensten Interessensgruppen und Lobbys, die daran arbeiten, dass politische Konfliktthemen emotional aufmunitioniert werden. Sie wollen die Traumawunden für sich nutzen, die tief in der Psyche der meisten Menschen verankert sind. Die Propaganda dieser Gruppen ist schon geschult darin, die Sprache zu finden, mit denen die individuellen und kollektiven Traumen getriggert und aktiviert werden. Wenn dazu noch eine Lösung oder gar ein Erlöser präsentiert wird, gelingt es leicht, Anhänger zu finden und an die eigene Gruppierung zu binden. Einmal eingefangen, ist es für die Zielobjekte dieser Masche schwer, wieder zu einer eigenen Meinung und einer ausgewogenen Sichtweise zurückzufinden. 

Die sogenannten sozialen Medien tragen viel dazu bei, diese Rekrutierungsmanöver noch effektiver zu gestalten, denn ihre Algorithmen sind darauf eingestellt, die entsprechenden Traumaschleifen zu verstärken und zu vertiefen, wenn sie ihnen einmal durch das Nutzerverhalten auf die Spur gekommen sind. Sie verschärfen die Polarisierung und die Überzeugung, dass es überlebenswichtig ist, auf der einen Seite zu stehen und die andere zu verdammen.

Die Macht des Traumas in Verbindung mit den von der Propaganda angebotenen Abwehr- und Verlagerungsstrategien ist so dominant, dass das Feindbild zu einem Teil der eigenen Identität wird, ja werden muss, denn für das Unterbewusste sichert die Klarheit über die Gefahr und die „wirklichen“ Bösewichter das Überleben.

Schnell wird das Opfer-Täter-Retter-Dreieck vervollständigt: Zunächst findet die Identifikation mit dem Opfer statt, z.B. mit den Palästinensern im ausgebombten Gaza-Streifen oder mit israelischen Familien, die um das Leben einer Geisel bangen. Dann werden die Täter namhaft gemacht, und die Wut und der Hass aus der eigenen Traumawunde werden auf sie gerichtet. Schließlich bietet sich ein Retter an, z.B. ein Politiker, der kompromisslos und vehement für eine Seite des Konflikts engagiert ist, oder eine Partei, die die eigene Sichtweise auf die Opfer- und Täterrolle teilt.

Der Ausstieg aus solchen Dynamiken fällt enorm schwer und kann meist ohne Hilfe von außen nicht gelingen. Eine solche Hilfe ist nur dann wirksam, wenn sie auf die emotionale und nicht auf die rationale Ebene der Bindung an eine bestimmte Position in einem konfliktreichen Thema eingeht. Jemanden von seiner Überzeugung, die stark in die eigene Identität aufgenommen wurde, abzubringen, ist umso schwieriger, je stärker die emotionale Aufladung ist.  Die Identifikation mit der Opferseite und mit dem Hass auf die Täterseite dient der Abwehr des emotionalen Schmerzes, der mit dem erlittenen Trauma verbunden ist. Die Aggressionen, die auf die Täter in der aktuellen Thematik gerichtet werden, stammen aus den Kräften, die zum Überleben des Traumas beigetragen haben und müssen deshalb aufrechterhalten bleiben. Darin liegt der Grund, warum immer wieder nach neuen Quellen und Bestätigungen für die Wut- und Hassgefühle gesucht werden. Es darf keine Schwäche zugelassen werden, weil sie an das Ausgeliefertsein, an die Verletzlichkeit und an den Schmerz erinnern würde, an die schamerfüllte Ohnmacht in der ursprünglichen Traumaerfahrung.

Zum Weiterlesen:
Kollektive Traumen und ihre Folgen


Donnerstag, 17. April 2025

Der Hass in der politischen Fixierung

Ein Kennzeichen der rechten Politikorientierung besteht in der Hassfixierung. Es gibt solche Phänomene auch auf dem linken Spektrum, doch sind sie dort weniger ausgeprägt und meistens differenzierter. Viele Rechtsextreme begnügen sich mit ein paar Feindbildern, die mit ihrem Hass belegt werden. Sie wollen stark und mächtig sein, und gehasst wird alles, was mit Schwäche assoziiert ist: Verletzlichkeit, Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Kompromissfähigkeit und alles, was als woke verschrien ist. Selbst die zentrale menschliche Tugend des Mitgefühls wird als Ausdruck verweichlichter Moral umgedeutet. Also fühlen sie sich allen überlegen, die die Schwäche nicht so hassen wie sie selber. Sie sind die einzigen, die die wirkliche Gefahr kennen, die der Menschheit droht: Schwache Menschen (die „Herdenmenschen mit ihrer Sklavenmoral“ in Nietzsche’s Diktion), die sich zusammenrotten und den Starken ihren Willen aufzwingen wollen. Deshalb wird die Demokratie verachtet und gehasst. Sie hat den einzigen Nutzen, die „wirklich Starken“ an die Macht zu bringen, und dann wird die richtige Ordnung mit der Unterdrückung von allem Schwachen hergestellt. Das war die Vorgehensweise der Nationalsozialisten 1933 und das ist das Projekt 2025, nach dem gerade die USA umgekrempelt werden.

Die Objekte des Hasses sind also die Schwachen, gleich ob es Frauen, Liberale, Sozialisten, Ausländer oder Angehörige von Minderheiten sind. Ein polnischer Rechtspolitiker hat vor einiger Zeit vor den westlichen (=verweichlichten) Vegetariern und Radfahrern gewarnt, so als wären der Verzicht auf das Fleischessen und das Radfahren eine Gefahr für die gesunde Stärke der Polen. Selbst wichtige Maßnahmen zum Klimaschutz werden aus dieser politischen Richtung bekämpft und als Zeichen von Schwäche gedeutet. Auch biologischer Landbau wird manchenorts, z.B. in konservativ regierten Staaten der USA abgewertet – aktuell gibt es Fälle, in denen Bio-Bauern von der Polizei gezwungen werden, chemische Keulen gegen Schädlinge einzusetzen, obwohl diese auch biologisch bekämpft werden können. Mit Giften wird die Umwelt belastet, was den rechtsgerichteten Politikern egal ist. 

Nur Schwachen kann eine Klimaveränderung etwas anhaben, sollte es überhaupt jemals dazu kommen und die ganze Sache nicht eine Erfindung von gekauften Wissenschaftlern sein. Viele behaupten, dass Klimaschutzmaßnahmen nur zur Unterdrückung der Menschen eingesetzt werden, indem sie Änderungen in der Lebensweise verlangen, die als Zwang erfahren werden. 

In der Coronazeit wurde selbst das Maskentragen und Impfen als Schwäche gedeutet und abgelehnt – viele Rechte brüsteten sich mit ihrem „starken Immunsystem“, um sich den Schutzmaßnahmen nicht unterordnen zu müssen. Natürlich hat das Virus vor solchen Einstellungen nicht Halt gemacht und so manches eingebildetes Immunsystem überwunden, was bei den betroffenen stolzen Maßnahmengegnern dann unweigerlich Schamgefühle ausgelöst hat, die dann verdrängt und in Hass umgewandelt werden mussten.

Die Wurzeln

Der Hass wird offen möglich, wenn die Unverschämtheit ausreichend entwickelt ist. Sie stammt aus einer erlernten Fähigkeit zum Unterdrücken und Überspielen der Schamgefühle. Diese Konditionierung stellt eine Reaktion auf in der Kindheit erlittene Beschämungen dar, als Gegenwehr gegen Herabwürdigungen, als Ausgleich für Abwertungen. Ehrlichkeit wird verachtet, wenn die Eltern das Kind oft belogen haben. Empathie wird als Schwäche gedeutet, wenn sie selber nie erfahren wurde. Verletzlichkeit wird zum Tabu, wenn sie zu Erniedrigungen geführt hat. Freundlichkeit wird abgelehnt, wenn sie in echter Form nie empfangen werden konnte.

Der Hass gilt im Grund den Personen aus der eigenen Lebensgeschichte, die dem Kind all diese wesentlichen emotionalen Grundlagen der Menschlichkeit vorenthalten haben. Darum kennt die innere Landkarte solcher Menschen viele weiße Flecken, die mit Hass gefüllt wurden. Der emotionale Schmerz, der mit der erzwungenen Einprägung der Unverschämtheit verbunden ist, ist so überwältigend, dass an der Haltung des Hasses und an der Verachtung seiner Objekte um allen Preis festgehalten werden muss. 

Die Identifikationsfiguren für Stärke und Kraft hingegen werden verehrt, auch um jeden Preis – sie können selber Schurken, Lügner, Verächter oder Dummköpfe sein, sie können selbst ihre Anhänger auf den Leim führen oder ihnen nach Strich und Faden das letzte Hemd ausziehen – sie bleiben auf dem Podest der Verehrung. Denn die wahren Bösewichter sind fix in der eigenen Psyche verankert. Verschwörungstheorien und faktenferne Fantasien, die von den Führungsfiguren als eigentliche Wahrheiten verbreitet werden, dienen zur Stabilisierung der Fixierung.

Dem Führer sind viele Anhänger sinnloserweise bis in den Tod gefolgt. Bei ähnlich gestrickten Autokraten wie Donald Trump brauchen wir uns nicht zu wundern, dass ihm viele blind folgen und frenetisch Beifall schreien, was immer er gerade macht oder von sich gibt. Aber von der knappen Mehrheit, die ihn gewählt haben, fallen immer mehr ab von seiner Linie, denn nicht alle unterliegen der Hassfixierung. Nicht wenige haben den Blick auf die Realität bewahrt und können abschätzen, was der Abbau der Demokratie und die Abkehr von vielen Grundwerten kosten wird.

Zum Weiterlesen:
Ein Gruselkabinett an der Spitze der USA
Elon Musk: "Empathie - eine Schwäche der menschlichen Zivilisation"


Montag, 14. April 2025

Ein Gruselkabinett an der Spitze der USA

Als Donald Trump nach seiner Wahl die Kandidaten für die neue Regierung vorstellte, haben viele Medien zum Ausdruck „Gruselkabinett“ gegriffen, angelehnt an das „Cabinet von Dr. Caligari“, einem Horror-Stummfilm aus dem Jahr 1920. Das Gruseln rief die Ansammlung von Personen hervor, die der wiedergewählte Präsident nominierte und die mittlerweile im Amt sind, denn sie treten wie die Personifizierungen der wichtigsten menschlichen Schattenseiten auf, als Verkörperungen von Lastern und Todsünden. Sie stellen die gesamte Bandbreite menschlicher Untugenden recht offensichtlich und unverblümt zur Schau, befreit von jeder Scham.

All die üblen Seiten des Menschseins sind in diesem Pandämonium vertreten: Gier (nach Macht, Geld und Ruhm), Neid (auf andere Machthaber und deren Skrupellosigkeit), Überheblichkeit (Verachtung von Andersdenkenden), Geiz, Völlerei (in Form von erpresserischen und ausbeuterischen Fantasien von Eroberungen und Bereicherungen), Zorn (als Hass auf alles, das sich dem Machtstreben nicht bedingungslos fügt), Trägheit (als stolz vor sich hergetragener geistiger Beschränktheit und Dummheit) sowie Wollust (es scheint, als gälte eine Vorgeschichte mit sexuellen Übergriffe für Männer als Eintrittskarte in ein hohes Regierungsamt, während Frauen ein hohes Maß an Verehrung für Trump und einen ausgeprägten Hass auf seine Gegner aufweisen müssen, wenn sie es zu etwas bringen wollen). Dazu gesellen sich noch Zynismus, Empathielosigkeit, Heuchelei, Irreführungen und Lügen, sowie die Anwendung von struktureller Gewalt

Jede Untugend und jeder menschfeindliche Charakterzug ist durch Abwehrstrategien geschützt, damit die Scham den Stolz, also die Selbstachtung, nicht übermannen kann. Mit diesen früh erlernten Hilfen gelingt es, sich einen Deut um die Folgen der eigenen Handlungen zu scheren und stur bei der einmal eingeschlagenen Richtung oder Charakterprägung zu bleiben, koste es, was es wolle. Es kümmert diese Leute auch nicht, was Andersgesinnte über sie denken, denn wer andere Werte und Einstellungen hat, ist nur ein verachtenswerter Idiot. Auch wenn sie sich wie Narren aufführen, vertrauen sie darauf, dass es genug Leute gibt, denen das imponiert und die ihnen zujubeln und sie verehren. 

Das einzige, was sie fürchten, ist der Verlust ihrer Akzeptanz bei den Gleichgesinnten. Deshalb versuchen sie, alle Register der Medienorgeln zu ziehen und mit lautem Dauergetöse den öffentlichen Raum zu füllen, Wechselseitig verstärken sich die Protagonisten und ihr Publikum, sodass die Verrücktheiten dauernd neue Blüten treiben – treiben müssen, da das eingeschworene Publikum nach neuen Unverschämtheiten, nach neuen Tabubrüchen, nach neuen Frechheiten lechzt. Stellvertretend agieren die Protagonisten alles aus, was sich die Applaudierenden verbieten, weil sie zu feige sind oder sich zu schwach und ohnmächtig fühlen..

Dieses Muster sorgt dafür, dass sich beide Seiten der Dynamik immer weiter von der Realität entfernen, sowohl von der naturgesetzlich bestimmten als auch von der sozialen zwischenmenschlichen. An die Stelle von Naturgesetzen treten Verschwörungstheorien und die soziale Welt wird mit dem Säen von Hass entzweit und auseinander getrieben. Je mehr Misstrauen entsteht, desto leichter ist die Machtausübung.

Allerdings ist die Lebensdauer solcher Dynamiken begrenzt, weil die Illusionen, die durch jede Realitätsferne erzeugt werden, irgendwann an der Wirklichkeit zerbrechen. Politiker können ihre Wähler für dumm verkaufen und sich an ihrer Gutgläubigkeit an Geld und Macht bereichern; die Verblendung endet spätestens dort, wo die Folgen verantwortungs- und schamloser Entscheidungen ins eigene Leben eingreifen und als Leid spürbar werden und nicht mehr übersehen oder verdrängt werden können: Arbeitslosigkeit, sinkender Wohlstand, verschlechtertes Gesundheitssystem, zunehmende soziale Spannungen, wachsende Ängste über die Zukunft.

Hier ein paar Beispiele aus dem Regierungsteam von Trump: 

Pete Hegseth, der Verteidigungsminister

Nur knapp ging seine Normierung durch, weil einige republikanische Senatoren gegen ihn wegen seiner fehlenden administrativen Erfahrungen stimmten. Diese Sorge war nicht unberechtigt, denn Hegseth ist für die „Signal-Gate“-Affäre verantwortlich (ein Journalist wurde irrtümlich zu einer hochgeheimen Kriegsplanung eingeladen). Darauf folgte gleich die nächste Affäre: Der Minister hatte seine dritte Frau an vertraulichen Gesprächen mit ausländischen Verteidigungsministern teil nehmen lassen.

Schon als Fernsehkommentator bei Fox News ist er durch radikale Positionen aufgefallen: Er hat sich kritisch gegenüber „woken“ Offizieren im Militär geäußert und die Entlassung aller Offiziere angekündigt, die sich für Diversity-programme engagiert haben. Er leugnet den Klimawandel und bezeichnet die Klimaforschung als „linke Verschwörung“. Die Genfer Konventionen zum Schutz von Zivilpersonen im Krieg sind für ihn Übereinkommen aus Zeiten, in denen Kriege anders geführt worden seien; die US-Regierung werde sich nicht an Regeln halten, die von internationalen Organisationen aufgestellt würden. Er sagte, dass es die einzige Aufgabe der US-Armee sei, zu töten. Er hat sich auch für die Begnadigung von US-Kriegsverbrechern eingesetzt. 

2017 soll er eine Frau sexuell angegriffen haben; es kam zu einer finanziellen Abgleichung mit Verschwiegenheitsklausel. Zum Vorwurf des Ehebruches (er hatte eine sexuelle Beziehung mit seiner jetzigen Frau, als er noch mit der vorigen verheiratet war) sagte er vor dem Militärausschuss, Jesus Christus habe ihm persönlich verziehen, und so sei er mit Gott und der Welt im Reinen und könne das Pentagon leiten, damit Amerika Kriege nicht nur endlos führen müsse, sondern gewinnen möge. Er trägt das Motto der Kreuzritter (Deus vult) als Tätowierung. 

Pam Bondi, die Justizministerin

Sie ist in mehrere Korruptionsverfahren verwickelt und hat schon während der Stimmauszählungen bei der Wahl von 2020 von Wahlbetrug gesprochen, ohne Beweise vorzulegen.

Robert F. Kennedy Jr., der Gesundheitsminister

Kennedy hat eine eigenartige Obsession mit Tierkadavern. Von Trump wurde er als „dümmster aller Kennedys“ bezeichnet, bevor er von den Demokraten zu den Republikaner gewechselt hatte. Seine Impfgegnerschaft hat schon nach ein paar Wochen in seinem Amt eine Reihe von Opfern gefordert. Während der schweren Grippewelle im Februar 2025 wurde die Werbung für Grippeimpfungen gestoppt. Stattdessen sollte auf die Risiken der Impfung verwiesen werden. Bei einer Masernwelle im Süden der USA verharmloste der Minister zunächst die Krankheit, die inzwischen schon einige Todesopfer unter Kindern bewirkt hat, und verbreitete dann eine Reihe von Falschaussagen und warb für Gegenmittel, die entweder nicht wirksam sind oder selber Schäden anrichten. So empfahl er Vitamin A, und in der Folge bekamen dann viele Kinder Anzeichen einer Vitamin-A-Toxizität. Er möchte die Ursache von Autismus herausfinden und hat dafür eine Studie in Auftrag gegeben, die in einem halben Jahr die Ergebnisse vorlegen soll, was bei Fachleuten nur Kopfschütteln hervorruft, weil es sich um eine äußerst komplexe Störung handelt. Vermutet wird allerdings, dass die Studie das Wunschergebnis liefern soll, dass nämlich Autismus die Folge von Impfungen wäre. Kennedy ist zum dritten Mal verheiratet.

Marco Rubio, der Außenminister

Nach seiner Amtsübernahme wurden sofort alle Pässe mit der Geschlechtsbezeichnung X annulliert, also alle transgeschlechtlichen Personen hatten plötzlich keinen gültigen Pass mehr. 

Er entschied sich, die Mittel für USAID (United States Agency for International Deveolpment) drastisch zu kürzen, obwohl er von Beamten der Behörde gewarnt worden war, die schätzten, dass bei einer Streichung der USAID-Programme in den nächsten zehn Jahren eine Million Kinder wegen schwerer Unterernährung unbehandelt bleiben würden, bis zu 166.000 Menschen an Malaria sterben würden und weitere 200.000 Kinder durch Polio gelähmt würden. Seine Meinung zu China ist: „Sie haben sich auf unsere Kosten durch Lügen, Betrug, Hacking und Diebstahl zu einer globalen Supermacht hochgearbeitet.“

Kristi Noem, die Heimatschutzministerin 

Sie ist eine Vertreterin der konservativen Tea-Party-Bewegung und tritt deshalb gegen Schwangerschaftsabbrüche und gegen die gleichgeschlechtliche Ehe sowie für ein unbeschränktes Recht auf Waffenbesitz ein. Sie leugnet den menschengemachten Klimawandel. In ihrer Autobiografie berichtet sie, dass sie mehrere Tiere erschossen hat, darunter eine Ziege, die ihren Kindern immer hinterhergejagt sei, sowie ihre Hündin, weil diese während einer Fasanenjagd nicht mehr unter Kontrolle zu bringen war.

Sie ist jetzt verantwortlich für alle Abschiebungen, ob diese nun rechtmäßig sind oder nicht. Tausende Menschen in den USA, die einer geregelten Beschäftigung nachgehen, erhalten dieser Tage ein automatisiertes Schreiben, dass sie in sieben Tagen das Land verlassen müssen. Betroffen sind Migrant:innen aus Venezuela, Haiti, Mexiko, Kuba, Afghanistan – Menschen auf der Flucht vor Diktaturen, Armut, Banden, Hunger. Menschen, die nicht illegal eingereist sind, sondern durch ein staatliches Verfahren mit einem Funken Hoffnung eingelassen wurden.

Sean Duffy, der Verkehrsminister

Er bestritt einen Zusammenhang zwischen einzelnen Gewalttaten von White-Supremacy-Anhängern und führte das Attentat von Tucson, bei dem die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords schwer verletzt wurde, auf linke Ideologie zurück. Es wird ihm deshalb vorgeworfen, rechtsgerichtete Gewalttaten zu verharmlosen.

Bei Amtsantritt beseitigte er alle Vergünstigungen beim Kauf von E-Autos und kündigte an, dass jene Gebiete, in denen mehr Eheschließungen und Geburten sind, bei Förderungen bevorzugt werden. Auch er leugnet den Klimawandel. 

Kash Patel, der FBI-Direktor

Er vertritt verschiedene Verschwörungstheorien, u.a. dass die Drahtzieher vom Angriff auf das Kapitol 2020 IFB-Leute gewesen wären. Er glaubt an einen „tiefen Staat“, dem das Handwerk gelegt werden müsse, ebenso wie an das „Russia investigation origins counter-narrative“, also an eine „Theorie“, dass sich nicht russisch gesteuerte Internettrolle in die Wahl von 2016 eingemischt hätten, sondern dass es sich um ein Komplott aus dem „tiefen Staat“ handle, das Trump schaden wolle. 

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