Sonntag, 20. Juli 2025

12 Aspekte des Verschwörungsglaubens

Ich habe eine Liste von zwölf Aspekten zum Verschwörungsglauben von Goetz Hardy gefunden. Sie macht viel von diesen Phänomenen verständlich, die immer wieder auftauchen und das Denken von vielen Menschen beherrschen. Vor allem rechtsgerichtete Politiker greifen diese Theorien auf und rekrutieren damit ihre Wählerschaft. Auf diese Weise geraten Verschwörungstheorien in zunehmend mehr Ländern in die höchsten Stellen der Regierung und Verwaltung. Solche Politiker machen sich zu Fürsprechern und Verbreitern von irrationalen Überzeugungen, mit der Folge, dass sich die Politik immer mehr von der Wirklichkeit abkoppelt. 

Warum orientieren sich viele Menschen nicht an den Fakten und gesicherten Erkenntnissen über die Wirklichkeit, sondern bevorzugen grobschlächtige und faktenferne Theorien zur Welterklärung, die von Ungereimtheiten nur so strotzen? Was macht die Attraktivität von Vereinfachungen und Schwarz-Weiß-Schemen aus?

Verschwörungsmythen füllen eine wichtige stabilisierende Funktion für Menschen aus, die sich in der Welt unsicher und ohnmächtig fühlen. Der Preis liegt allerdings im Realitätsverlust und oft auch im Verlust von sozialen Kontakten mit jenen, die den Glauben nicht teilen. Die Fähigkeiten zu Selbstkritik und Reflexion verkümmern ebenso wie die Pflege von konstruktiven Gesprächen und Konfliktlösungen. Starrheit und Dogmatik kennzeichnen die Weltbilder der Verschwörungsgläubigen.

Die Auseinandersetzung mit den hintergründigen Mechanismen, die solche Phänomene antreiben, kann dazu helfen, besser mit Menschen mit solchen Überzeugungen umgehen zu können als auch darüber nachzudenken, wo eigene Anfälligkeiten zu solchen Theorien liegen könnten.

Ich habe die folgende Liste von Goetz Hardy übernommen und mit neuen Kommentaren versehen. Hier der Link zum ursprünglichen Text.

1. Illusorische intellektuelle Überlegenheit:

Weniger gebildete Menschen halten sich durch die Übernahme eines Verschwörungsglaubens für schlauer, intelligenter und anderen überlegen. Der Grad an Bildung ist ein Unterscheidungsmerkmal in der Gesellschaft; wer weniger davon hat, wird abgewertet oder fühlt sich abgewertet und schämt sich. Ein einfaches Erklärungsmodell für das komplexe Funktionieren der Gesellschaft, wie es Verschwörungstheorien anbieten, verschafft einen Ausgleich für solche Minderwertigkeitsgefühle und Schamgefühle und hilft, sie ins Gegenteil zu verkehren: Mehr zu wissen als die, die nur in einem Herdendenken gefangen sind, gibt ein Gefühl der Überlegenheit und bietet die Gelegemheit sich überheblich seines Scheinwissens zu brüsten.

2. Moralische Selbstaufwertung:

Menschen mit geringem Selbstbewusstsein stilisieren sich als Opfer und fühlen sich moralisch überlegen. Ein Kennzeichen von Verschwörungstheorien liegt in der Einteilung der Welt in Täter und Opfer. Jene, die die bösen Mächte, die alles beherrschen oder beherrschen wollen, erkannt haben, fühlen sich auf der Seite der Guten, als Kämpfer gegen das Böse und gegen alle, die den Bösen blind folgen. Sie überwinden scheinbar ihre Ohnmacht durch die Überzeugung, dass sie aus der Opferrolle entkommen können, weil sie die Täter bekämpfen können und zumindest jemanden unterstützen, der als Rächer für die Opfer auftritt.

3. Sinnstiftung und Orientierung:

Der Glaube liefert einfache Erklärungen und klare Unterscheidungen zwischen „Gut“ und „Böse“. In einer komplexen Welt gibt es viele Ambivalenzen und Ambiguitäten, die die Orientierung und Sinnfindung erschweren. Zu jedem Für gibt es ein Wider, bei jeder Lichtgestalt finden sich Schattenseiten. Es ist beschwerlich, die Widersprüchlichkeiten der Menschen und ihrer Motive und Werte auszuhalten. Da hilft eine einfach gestrickte Zuordnung von Gut und Böse, von Opfer und Tätern und von Licht und Schatten.

4. Gruppenzugehörigkeit und Identität:

In der Blase sind alle einer Meinung und bestätigen sich gegenseitig die Richtigkeit der Überzeugungen und die Notwendigkeit des Engagements. Es sind sektenähnliche Gebilde, in denen sorgsam darauf geachtet wird, dass es keine abweichenden Sichtweisen gibt. Denn Meinungsverschiedenheiten bedrohen das Zusammengehörigkeitsgefühl. Deshalb müssen Zweifel an der Theorie, die dem Gruppenzusammenhalt zugrunde liegt, unterbunden werden. Auf diese Weise bauen die „Glaubensgemeinschaften“ der Verschwörungsanhänger ähnliche Strukturen auf wie sie bei jenen vermutet werden, die sich zum Unheil der Welt verschworen haben sollen: Geheimnisvoll und intransparent.

5. Scheinbare Handlungsmacht:

Wenn wir wissen, wo die Gefahr lauert, können wir etwas dagegen unternehmen. Ungewisse Bedrohungen ohne bekannte Urheber sind besonders schwer auszuhalten. Deshalb erleichtert es, das Gefühl der Ohnmacht zu überwinden, wenn die möglichen Täter namhaft gemacht werden. Verschwörungstheoretiker stellen diesen Dienst zur Verfügung.

6. Abwertung anderer:

Wer der Theorie nicht folgt, ist borniert oder gehirngewaschen. Oft ist die Rede von der blinden „Masse“, die nur nachbetet, was der „Mainstream“, also der Glaube der Durchschnittsmenschen, vorgibt. Vernünftig kann nur sein, wer derselben Glaubensrichtung folgt. Die Unvernünftigen sind selbst schuld an ihrem Unglück als Folge ihrer Verblendung.  

7. Vermeidung von Kritik:

Kritik an der Verschwörungstheorie wird nicht zugelassen. Sie wird mit dem Argument abgeschmettert, dass jeder, der die Theorie bezweifelt, mit den Verschwörern unter einer Decke steckt oder ohne Wissen deren Spiel treibt. Verschwörungsanhänger schotten sich ab wie Paranoide, die überall ihre Feinde sehen und jede Infragestellung als von diesen gelenkt erleben. Eigene Probleme und Verantwortlichkeiten werden auf „die da oben“ projiziert, die nur ihre Macht und ihre korrupte Bereicherung im Auge haben. 

8. Kognitive Entlastung:

Komplexe Sachverhalte werden durch einfache Erzählungen ersetzt, die leicht zu verstehen sind. Die „Arbeit des Begriffs“ nach Hegel, also das sorgfältige Nachdenken und Reflektieren, wird vermieden. Es ist anstrengend und erfordert Mühe und auch ein gewisses Bildungsinteresse, nicht einfach blind irgendwelchen Quellen zu vertrauen und jeder noch so weit hergeholten Geschichte auf den Leim zu gehen. 

9. Gefühl von Exklusivität:

Geheimnisse, zu dem man selbst Zugang hat und andere nicht, sind ein Schatz, der Sicherheit verheißt und auf den man stolz sein kann. Man gehört zur Gruppe der Auserwählten, die auf die Naivlinge und Unwissenden verächtlich herunterschauen können. Dieses Gefühl der Überlegenheit dient als Ausgleich für einen mangelhaften Selbstwert.

10. Verstärkung bestehender Ressentiments:

Verschwörungstheorien bauen immer auf schon bestehenden Stereotypen und Vorurteilen auf. Das ist der Schlüssel zu ihrem Erfolg. Die uralte Masche des Antisemitismus findet sich deshalb in vielen solchen Theorien. Umgekehrt ist der Antisemitismus vielleicht die am längsten dienende Verschwörungstheorie. Deshalb sind antijüdische Vorurteile in weiten Kreisen der Bevölkerung verbreitet, und Theorien über die Weltverschwörung, an denen Juden beteiligt sind, erreichen alle, die schon antisemitisch geprägt sind. Außerdem liefern solche Theorien die moralische Rechtfertigung für die eigenen Vorurteile, denn sie scheinen angesichts der fantasierten massiven Bedrohung berechtigt. 

11. Projektionsfläche für Ängste und Aggressionen:

Eigene negative Gefühle können auf imaginäre Gegner gerichtet werden. Projektionen bilden die emotionale Munition von Verschwörungstheorien. Es handelt sich um unbewusst ablaufende Mechanismen, bei denen Frustrationen aus der eigenen Lebensgeschichte, emotionale Verletzungen und Demütigungen nach außen hin entladen werden können. Die Theorie weiß um die wahren Täter, und damit verschränkt sich das Täter-Opfer-Muster. Das unangenehme Opfergefühl muss um jeden Preis umgedreht werden, und für diesen Zweck ist jeder Hass und jede Gewalt gegen die bösen Täter erlaubt und notwendig.

12. Verschiebung von Angst und Bedrohung:

Es gibt eine Reihe von realen Gefahren, die die Menschheit bedrohen – die vielfältigen Schädigungen an der Umwelt, die Erderwärmung und die damit verbundene Klimaveränderung und davon ausgelöste Naturkatastrophen, Hunger in weiten Bereichen der Erde, soziale Ungleichverteilung und Kriege. Auch Seuchen können jederzeit ausbrechen. Dazu kommt, dass das individuelle Leben vielen Risiken ausgesetzt ist: Jobverlust, Beziehungsabbrüche, Krankheiten, Armutsbedrohung usw. Verschwörungsmythen bieten Gegner an, die als Quelle aller Bedrohungen angesehen werden und deren Eliminierung dann Sicherheit auf allen Ebenen bringen wird. Die Gegner befinden sich zwar zumeist in der „Deckung“ – es sind z.B. irgendwelche Eliten oder ein „tiefer Staat“, gekaufte Wissenschaftler oder korrupte Politiker, Geheimzirkel oder dunkle Gestalten in finsteren Hinterzimmern. Aber die Einsichten der Theorie bringen sie ans Tageslicht und alle anderen Krisenerscheinungen können dann auf die „wahren Bösewichter“ zurückgeführt werden, während die politische Gruppierung, die die Mythen teilt, von allen Makeln reingewaschen wird. 

Zum Weiterlesen:
Verschwörungstheorien und Realitätstauglichkeit
Verschwörungstheorien zwischen Wahn und Normalität



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