Eine weltweite Studie mit 130 000 Personen aus 125 Ländern hat ergeben, dass es eine überwältigende Mehrheit für den Klimaschutz gibt. 69 Prozent der Weltbevölkerung können sich vorstellen, auf 1 Prozent ihres Einkommens für Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verzichten. 86 Prozent meinen, dass die anderen auch etwas gegen den Klimawandeln tun sollten, 89 Prozent finden, dass es eine stärkere Klimaschutzpolitik geben sollte.
Bei diesen Zahlen würde man sich denken, dass alle Parteien
wetteifern, um die Wünsche ihrer Wähler und Wählerinnen nach einer effektiveren
Klimapolitik zu erfüllen. Aber bei den meisten Parteien ist dieses Thema
nachgereiht, wenn es überhaupt als sinnvoll angesehen wird. Es gibt ja nach wie
vor genügend Anhänger der These, dass der Klimawandel nicht von den Menschen
verursacht wird oder dass es ihn überhaupt nicht gibt, und damit auch
Wählerstimmen, die vor allem rechte Parteien einheimsen wollen.
Diese Diskrepanz beruht auf sozialpsychologischen
Phänomenen. Diese Zahlen sind so unbekannt, sodass die, die die
Mehrheitsmeinung vertreten, glauben, dass sie in der Minderheit sind. Die
Realität gibt ihnen ja Recht, es wird mäßig viel oder eher mäßig wenig gegen
die Erderwärmung unternommen. Die meisten politischen Entscheidungsträger
hängen sich gerne ein grünes Mascherl um, aber wenn es um die kurzfristigen
Vorteile der eigenen Klientel geht, wird der Klimaschutz schnell in den
Prioritäten weit nach hinten zurückgereiht. Es wissen also weder die Politiker noch ihre Wähler,
dass sich die Mehrheit eine radikalere Klimapolitik wünscht. Die Meinung, zu
einer Minderheit zu gehören, verleitet zur Resignation und hindert viele daran,
für die Anliegen der Klimapolitik einzutreten. Dazu kommt, dass es neben den politischen auch handfeste wirtschaftliche
Interessen gibt, die wirkungsvolle Klimamaßnahmen verhindern wollen und
eine entsprechende Propagandamaschinerie zur Verfügung haben, die die sozialen
Medien mit Falschmeldungen fluten. Man kann z.B. permanent lesen, wie leicht
E-Autos brennen (was nicht stimmt) und wie schrecklich die
Produktionsbedingungen sind (was auch nicht stimmt). Oder dass Windräder so
viele Vögel umbringen (die meisten kommen durch Straßenverkehr um), usw.
Die Klimaproblematik können wir nur verbessern, wenn wir unseren
Eigennutz einschränken. Diese Entscheidung wird uns erleichtert, wenn wir
wissen, dass wir nicht alleine sind. Eine US-Studie hat ergeben, dass sich viele
Menschen deshalb wenig für den Klimaschutz engagieren, weil sie annehmen, auch
die anderen wollen nichts beitragen. Kaum jemand will der einsame Held sein,
der auf seinen eigenen Vorteil zugunsten der Gemeinschaft verzichtet, während
alle andere davon profitieren, aber selbst nichts beitragen. Da kommt man sich
schnell blöd vor und reiht sich lieber in die Masse der selbstsüchtigen
Ignoranten ein, als dass man als nützlicher Idiot dasteht. Wir verlassen uns
auf einen gewissen Grad an Fairness, und wenn dieser nicht gegeben ist, sind
wir auch bereit, unsere eigenen Werte zu verraten.
Dieser Rechtfertigungsmechanismus gilt übrigens auch für
Kollektive. Ein in Österreich beliebtes Argument, um sich vor klimarelevanten
Entscheidungen, z.B. Tempo 100, zu drücken, besteht darin, dass in dem kleinen
Land – global gesehen – verschwindend wenige Treibhausgase reduziert würden,
falls diese Maßnahme eingeführt würde. Wir tragen die „Kosten“ (weil sich damit
für einige die Fahrzeiten verlängern) und der Nutzen könne vernachlässigt
werden. Statt ein mutiger Vorreiter zu sein, warten wir ab und tragen
unvermindert unser Scherflein zur Erderwärmung bei. Kommt eines Tages eine
EU-Verordnung mit einem generellen Tempolimit, dann werden viele die Maßnahme
als unzumutbaren Zwang auffassen uns sich dagegen aufregen. Aber nur ist das böse Brüssel schuld, während die
unschuldigen einheimischen Politiker auf ihre Wiederwahl hoffen dürfen, indem
sie sich auf die EU ausreden können.
Dass es eine billige Verweigerung der Verantwortungsübernahme
darstellt, das eigene klimaschädliche Verhalten durch Zahlenspiele zu
rechtfertigen, habe ich schon an anderer Stelle argumentiert. Da diese Einsicht
mit Scham verbunden wäre, wird sie entsprechend abgewehrt. Es ist also die
Scham, die maßgeblich an klimaschädigender manipulativer Propaganda und
Selbstrechtfertigung beteiligt ist.
Konflikt zwischen Gemeinwohl und Eigennutz
Nach dem Verhaltensökonomen Achim Falk, der auch die oben
zitierte Studie geleitet hat, liegt das Problem des ethischen Handelns in einem
fundamentalen Zielkonflikt zwischen positiven externen Effekten und dem
Eigennutz, oder: zwischen Altruismus, also der Berücksichtigung der Bedürfnisse
der anderen, und dem Egoismus, also der Verfolgung dessen, was uns selber den
größten Gewinn bringt, unbesehen, ob es anderen schadet. Psychologisch
betrachtet, schwanken wir zwischen der angstgesteuerter Sicherung des eigenen
Überlebens und der schamgesteuerter Rücksicht auf die Gemeinschaft. Anders
ausgedrückt, haben wir es mit einer Variante des Konfliktes zwischen Autonomie
und Bindung zu tun, der sich quer durch alle wichtigen Themen des Lebens zieht.
Falk weist darauf hin, dass „das Gute“ meistens etwas
kostet, etwa einen Vorteil, auf den wir verzichten müssen, wenn wir auf andere
und auf das Gemeinwohl Rücksicht nehmen. Es gibt auch Studien, die feststellen,
dass altruistisches Verhalten umso wahrscheinlicher ist, je größer die
positiven Außenwirkungen einer Handlung sind, je mehr Leute also davon
erfahren. Unsere Reputation steigt, und das ist ein Ausgleich für den Nachteil,
den wir auf uns nehmen.
Das prosoziale Verhalten wird wahrscheinlicher, wenn andere
davon wissen, nach dem Motto: Tu Gutes und sorge dafür, dass möglichst viele
davon wissen. Es ist das Bedürfnis nach Stolz, das uns dazu beflügelt, von
unseren guten Taten zu berichten oder uns für das Gute zu entscheiden, wenn wir
von anderen beobachtet werden. Wir stehen besser da, für uns selber, insofern
wir uns mit den Augen der anderen betrachten. Wir fühlen uns als guter Mensch,
weil wir annehmen, dass wir von den anderen so wahrgenommen und beurteilt
werden.
Egoistisch zu sein, fällt uns leichter, wenn wir uns
unbeobachtet fühlen. Wir tun uns
schwerer, die Plastikflasche im Wald wegzuwerfen, wenn uns andere Wanderer begegnen
oder geben mehr Trinkgeld, wenn wir in einer größeren Runde ausgehen. Noch
raffinierter kann man es anlegen, wenn man anonym spendet, und die Welt erfährt
es hintenherum über Dritte. Hier zeigt sich die mächtige Wirkung der Scham, die
uns zu mitmenschlichem Verhalten anspornt und uns dazu motiviert, eben vor
allem dann gut zu handeln, wenn es andere bemerken oder Kenntnis erlangen
können. Wenn wir uns im Verborgenen unsolidarisch verhalten, schämen wir uns
höchstens vor uns selbst, müssen aber keine Missbilligung durch andere
befürchten.
Gutes zu tun tut gut
Soweit die wissenschaftlichen Forschungen. Wissenschaftliche
Studien beziehen sich offensichtlich auf ein durchschnittliches Niveau des
moralischen Urteils, weil sie ja repräsentativ sein sollen. Darum spielt dieser
intrinsische Faktor keine Rolle. Ich möchte aber über diesen Tellerrand
hinausschauen.
Die Kosten-Nutzen-Rechnung hat nämlich auch ihre Grenze. Denn
wir können die Erfahrung machen, dass Gutes tun gut tut, weil es sich gut
anfühlt, Gutes getan zu haben, gleich ob die Kosten dafür hoch oder niedrig
waren. Wir sind also nicht nur berechnende Wesen, sondern auch mitfühlende
Menschen, die das Gute wegen seiner selbst bzw. wegen dem Glück unserer
Mitmenschen wollen. Nur im Zustand des egoistischen Eigennutzes, der von Ängsten
angetrieben ist, sind sie uns egal. In diesem Zustand geht es uns nur um unser
eigenes Überleben. Sind wir frei von Angst, so denken wir immer auch die
anderen Personen bei unseren Entscheidungen mit und sind an ihrem Wohl
interessiert. Durch das Erweitern des Horizontes für unsere Handlungsmotivation
haben wir den Zugang zu einer Glücksdimension, indem uns das Tun des Guten
selbst beglückt. Allerdings erfordert es ein gewisses Maß an innerer Einsicht
und ethischer Reflexion, um diesen intrinsischen Wert des Tuns des Guten zu
erkennen.
Schlechtes zu tun macht ein schlechtes Gefühl, wenn wir uns
des Schlechten bewusst sind. Vieles von unserem Tun ist zwar objektiv schlecht,
weil es anderen Schaden zufügt, z.B. jede Autofahrt mit einem Verbrenner oder
jeder Kauf eines Billig-T-Shirts. Aber subjektiv versuchen wir, das Schlechte unseres
Tuns wegzurationalisieren, weil uns solche Wertkonflikte Stress verursachen.
Das Bewusstsein, dass wir alle, die wir in dieser Konsumkultur und auf diesem
Wohlstandsniveau leben, permanent in solchen ethischen Konflikten stecken, ist
schwer aushaltbar und erfordert ein hohes Maß an ethischer Integrität und
Schamkompetenz.
Es macht allerdings einen Unterschied, ob wir das schlechte
Gefühl, insbesondere in seiner Schamkomponente zulassen, statt es durch schwache
Gegenargumente zu übertönen. Wir wachsen in unserer Würde und
Mitmenschlichkeit. Wir werden zu solidarischeren Menschen. Wir sind nicht mehr
von unseren Ängsten abhängig. Wir richten unser Handeln immer mehr nach dem
größtmöglichen Nutzen für möglichst viele andere aus statt nach dem, was uns
selber am meisten bringt. Wir erkennen, dass es uns nicht glücklich machen
kann, wenn wir die einzigen sind, die glücklich sind, bloß weil wir Glück
gehabt haben. Auf dieser höheren Ebene des Bewusstseins wird es uns auch
leichter fallen, mit den Herausforderungen der Zeit fertig zu werden.
Literatur:
Achim Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein
... und wie wir das ändern können: Antworten eines Verhaltensökonomen. Siedler
Verlag München 2022
Zum Weiterlesen:
Die Notwendigkeit der universalen Ethik
Vom Gruppenegoismus zur globalen Ethik
Ist der Mensch von Natur aus egoistisch oder sozial?