Die New Yorker Psychotherapeutin Harriet Fraad hat sich die Frage gestellt, warum nach all den bisherigen desaströsen Folgen der zweiten Trump-Regierung noch immer 39% der Amerikaner diese Politik für gut befinden. Sie hat sich bei ihrer Analyse auf die Studien zur autoritären Persönlichkeit von Wilhelm Reich, Erich Fromm, Else Frenkel-Brunswik und Theodor W. Adorno bezogen. Betroffen von der Zustimmung vieler Deutscher zum Nationalsozialismus, untersuchte das Frankfurter Institut für Sozialforschung den Zusammenhang von Autoritätshörigkeit und Familie. Die Forschungen wurden dann im Exil fortgeführt und später in die Kritische Theorie der Frankfurter Schule aufgenommen, die in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts stark an Einfluss gewonnen hat.
Die grundlegende Theorie besagt, dass sich autoritäre Charakterstrukturen entwickeln, wenn jemand als Kleinkind von den Eltern autoritär behandelt wurde. Diese Prägung wäre später kaum beeinflussbar und zeichne sich durch Gewaltbereitschaft und Feindseligkeit gegen Andere und gegen Unterlegene aus. Es kommt zu Projektionen auf ethnische, politische oder religiöse Minderheiten, denen alles Böse unterstellt wird.
Die Notwendigkeit einer „demokratischen Erziehung“, in der das Kind mit seinem Gefühlen und Bedürfnissen geachtet wird, kann aus diesen Studien abgeleitet werden. Tatsächlich kam es in Westeuropa und in Teilen der USA zu einer Welle der gewaltfreien und anti-autoritären Erziehung. Sie schoss vielleicht manchmal übers Ziel, in dem den Kindern zu wenig Grenzen gesetzt wurden, hatte aber zur Folge, dass längerfristig die Gewalt gegen Kinder zunehmend verpönt wurde. Auch wenn bis heute die Gewalt aus den Kinderzimmern noch nicht vollständig verschwunden ist, wird sie von einer großen Mehrheit der Menschen in Westeuropa abgelehnt.
Der Bible-Belt und die schwarze Pädagogik
In den USA hat sich dieser Ansatz nur bedingt durchgesetzt. Die Staaten hatten keine Nazi-Vergangenheit aufzuarbeiten, und deshalb blieben in vielen Gegenden Traditionen aufrecht, die in der Vormoderne verwurzelt sind und deren rigide Erziehungsprinzipien mit der Unterstützung evangelikaler Kirchen und Sekten weiter praktiziert werden. Insbesondere im Südosten der USA, im sogenannten Bible-Belt sind Erziehungshaltungen verbreitet, wie sie vor der Aufklärung weitgehend selbstverständlich waren, aber seither, und vor allem seit dem Nationalsozialismus stark in Frage gestellt wurden. Auf diese Phänomene bezieht sich die Analyse von Harriet Fraad.
Sie sieht in James Dobson den Hauptpropagandist einer Pädagogik, die ihren Zweck in der Unterordnung der Kinder unter die Herrschaft der Eltern sieht. Der „Erziehungsguru“ hat 17 Ehrendoktortitel von Hochschulen mit religiöser Trägerschaft erhalten und vertritt in seinen Reden und Büchern folgende Meinungen: Körperliche Bestrafung sollte auf jeden kindlichen Ungehorsam folgen und nicht etwa als letztes Mittel angewandt werden. Er ist zwar gegen Kindesmisshandlung, aber „ein bisschen Schmerz kann schon bei einem jungen Kind viel erreichen. Die Schläge sollen jedoch von ausreichender Härte sein, damit das Kind wirklich weint.“ Er glaubt, dass Männer die Verpflichtung gegenüber Gott haben, ihre Familien zu führen, und Frauen die Verpflichtung gegenüber Gott haben, sich der Autorität ihres Ehemanns zu unterwerfen. Außerdem hält er die Homosexualität für eine heilbare Krankheit.
In dieser Pädagogik geht es darum, den Willen des Kindes möglichst früh zu brechen, damit die unbedingte Bereitschaft zum Gehorsam nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Die Devise lautet: Wenn die Zeiten hart werden, musst du ohne jede Widerrede der Autorität gehorchen. Zwar ist diese Regel aus tribalen Zeiten abgeleitet, in denen es wichtig war, dass bei Gefahr nicht lange herumgeredet wurde. Aber in der schwarzen Pädagogik ist es der elterliche Stress, der die Not ausmacht, und schuld an diesen Belastungen sind immer die Kinder. Also müssen sie lernen, Befehle und Anordnungen ohne Widerspruch zu befolgen.
Gehorsam als Überlebensstrategie
Nach dem französischen Philosophen Louis Althusser gibt es drei Systeme, die bewirken, dass sich die Menschen willenlos der staatlichen Autorität unterordnen, ohne dass diese Gewalt anwenden muss: die autoritäre Religion, die autoritäre Familie und das autoritäre Bildungssystem. Kinder, die in solchen Systemen aufgewachsen sind, haben gelernt, dass es das Beste ist, zu kuschen und zu gehorchen, dann sind sie sicher. Das sind Kinder, die wissen, dass es sinnlos ist, Befehle in Frage zu stellen oder dagegen aufzubegehren.
Sie haben gelernt, dass sie gehorchen müssen, auch wenn es gegen ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen geht. Wichtig sind nur die Bedürfnisse und Interessen der Autoritäten, mit dem Glauben, wenn diese befriedigt sind, gehe es allen besser. Sie wollen gar nicht wissen, was wirklich passiert, weil das zu viel Angst auslösen würde. Der allmächtige Vater muss unterstützt werden, um jeden Preis, denn sonst ist die eigene Sicherheit in Gefahr. Alle Fragen und alle Zweifel müssen ausradiert werden, damit der allmächtige Vater ein sicherer Anhaltspunkt bleiben kann. Dafür nehmen die Kinder in Kauf, dass sie ihre eigenen Wünsche zurückstellen, bis sie sie gar nicht mehr erkennen. Sie haben durch die Bestrafungen gelernt, dass ihr Wille und ihre Bedürfnisse schlecht oder böse sind, was so viel bedeutet wie dass sie selber schlecht und böse sind.
Der Hass, aus dem die Eltern die Rechtfertigung für die Unterdrückung der Kinder ableiten, wird von den Kindern verinnerlicht und in einen Selbsthass umgewandelt. Später findet sich dann der Ausweg, den Selbsthass gegen andere Gruppen zu wenden – die sind dann die Bösen. Da sie Autoritäten vertrauen, glauben sie ihnen auch, wenn diese die Böse benennen und anklagen und folgen ihnen mit diesem Hass.
Gegen die eigenen Interessen wählen
Aus dieser Dynamik wird auch verständlich, warum viele Menschen Politiker wählen und unterstützen, die gegen ihren eigenen Vorteil und gegen ihre eigenen Interessen ihre Politik betreiben. Es geht diesen Menschen nicht um ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen, denn sie haben gelernt, dass diese nicht wichtig sind – vielmehr geht es ihnen um die Bedürfnisse und Interessen der Autoritäten, denen sie folgen. Sie vertrauen ihnen blindlings und meinen, dass sie immer Recht haben, so wie der eigene autoritäre Vater immer Recht haben musste. Wenn die Führerfigur meint, dass das Einheben von Zöllen für alle im eigenen Land Vorteile bringt, dann unterstützen sie die Maßnahme, selbst wenn sie selber die Zeche zahlen müssen. Wenn die Autorität verkündet, dass die Ausländer an allem Schuld sind, dann befürworten sie deren Vertreibung, auch wenn sie gegen das Recht verstößt oder der Wirtschaft nachhaltig schadet.
Geistige Dumpfheit
Eine Folge der autoritären Erziehung besteht in einer geistigen Dumpfheit, die als Folge der Unterdrückung der eigenen Impulse, Bedürfnisse und Willensäußerungen entsteht. Menschen mit dieser Geschichte sind nicht dumm, obwohl sie sich oft dumm, im Sinn der Selbstschädigung verhalten. Sie haben nur als Überlebensprinzip angenommen, dass das Nachdenken sinnlos und sogar gefährlich ist, weil es die Sicherheit unterminieren könnte, die eine gnädig gestimmte Autorität garantiert. Und deshalb müssen alle bekämpft werden, die an der Autorität zweifeln, sie kritisieren oder lächerlich machen.
Hier zum Podcast von Harriet Fraad.
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