Donnerstag, 22. Mai 2025

Die autoritäre Persönlichkeit und die Trump-Unterstützer

Die New Yorker Psychotherapeutin Harriet Fraad hat sich die Frage gestellt, warum nach all den bisherigen desaströsen Folgen der zweiten Trump-Regierung noch immer 39% der Amerikaner diese Politik für gut befinden. Sie hat sich bei ihrer Analyse auf die Studien zur autoritären Persönlichkeit von Wilhelm Reich, Erich Fromm, Else Frenkel-Brunswik und Theodor W. Adorno bezogen. Betroffen von der Zustimmung vieler Deutscher zum Nationalsozialismus, untersuchte das Frankfurter Institut für Sozialforschung den Zusammenhang von Autoritätshörigkeit und Familie. Die Forschungen wurden dann im Exil fortgeführt und später in die Kritische Theorie der Frankfurter Schule aufgenommen, die in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts stark an Einfluss gewonnen hat.

Die grundlegende Theorie besagt, dass sich autoritäre Charakterstrukturen entwickeln, wenn jemand als Kleinkind von den Eltern autoritär behandelt wurde. Diese Prägung wäre später kaum beeinflussbar und zeichne sich durch Gewaltbereitschaft und Feindseligkeit gegen Andere und gegen Unterlegene aus. Es kommt zu Projektionen auf ethnische, politische oder religiöse Minderheiten, denen alles Böse unterstellt wird.

Die Notwendigkeit einer „demokratischen Erziehung“, in der das Kind mit seinem Gefühlen und Bedürfnissen geachtet wird, kann aus diesen Studien abgeleitet werden. Tatsächlich kam es in Westeuropa und in Teilen der USA zu einer Welle der gewaltfreien und anti-autoritären Erziehung. Sie schoss vielleicht manchmal übers Ziel, in dem den Kindern zu wenig Grenzen gesetzt wurden, hatte aber zur Folge, dass längerfristig die Gewalt gegen Kinder zunehmend verpönt wurde. Auch wenn bis heute die Gewalt aus den Kinderzimmern noch nicht vollständig verschwunden ist, wird sie von einer großen Mehrheit der Menschen in Westeuropa abgelehnt.

Der Bible-Belt und die schwarze Pädagogik

In den USA hat sich dieser Ansatz nur bedingt durchgesetzt. Die Staaten hatten keine Nazi-Vergangenheit aufzuarbeiten, und deshalb blieben in vielen Gegenden Traditionen aufrecht, die in der Vormoderne verwurzelt sind und deren rigide Erziehungsprinzipien mit der Unterstützung evangelikaler Kirchen und Sekten weiter praktiziert werden. Insbesondere im Südosten der USA, im sogenannten Bible-Belt sind Erziehungshaltungen verbreitet, wie sie vor der Aufklärung weitgehend selbstverständlich waren, aber seither, und vor allem seit dem Nationalsozialismus stark in Frage gestellt wurden. Auf diese Phänomene bezieht sich die Analyse von Harriet Fraad. 

Sie sieht in James Dobson den Hauptpropagandist einer Pädagogik, die ihren Zweck in der Unterordnung der Kinder unter die Herrschaft der Eltern sieht. Der „Erziehungsguru“ hat 17 Ehrendoktortitel von Hochschulen mit religiöser Trägerschaft erhalten und vertritt in seinen Reden und Büchern folgende Meinungen: Körperliche Bestrafung sollte auf jeden kindlichen Ungehorsam folgen und nicht etwa als letztes Mittel angewandt werden. Er ist zwar gegen Kindesmisshandlung, aber „ein bisschen Schmerz kann schon bei einem jungen Kind viel erreichen. Die Schläge sollen jedoch von ausreichender Härte sein, damit das Kind wirklich weint.“ Er glaubt, dass Männer die Verpflichtung gegenüber Gott haben, ihre Familien zu führen, und Frauen die Verpflichtung gegenüber Gott haben, sich der Autorität ihres Ehemanns zu unterwerfen. Außerdem hält er die Homosexualität für eine heilbare Krankheit.

In dieser Pädagogik geht es darum, den Willen des Kindes möglichst früh zu brechen, damit die unbedingte Bereitschaft zum Gehorsam nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Die Devise lautet: Wenn die Zeiten hart werden, musst du ohne jede Widerrede der Autorität gehorchen. Zwar ist diese Regel aus tribalen Zeiten abgeleitet, in denen es wichtig war, dass bei Gefahr nicht lange herumgeredet wurde. Aber in der schwarzen Pädagogik ist es der elterliche Stress, der die Not ausmacht, und schuld an diesen Belastungen sind immer die Kinder. Also müssen sie lernen, Befehle und Anordnungen ohne Widerspruch zu befolgen. 

Gehorsam als Überlebensstrategie

Nach dem französischen Philosophen Louis Althusser gibt es drei Systeme, die bewirken, dass sich die Menschen willenlos der staatlichen Autorität unterordnen, ohne dass diese Gewalt anwenden muss: die autoritäre Religion, die autoritäre Familie und das autoritäre Bildungssystem. Kinder, die in solchen Systemen aufgewachsen sind, haben gelernt, dass es das Beste ist, zu kuschen und zu gehorchen, dann sind sie sicher. Das sind Kinder, die wissen, dass es sinnlos ist, Befehle in Frage zu stellen oder dagegen aufzubegehren.

Sie haben gelernt, dass sie gehorchen müssen, auch wenn es gegen ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen geht. Wichtig sind nur die Bedürfnisse und Interessen der Autoritäten, mit dem Glauben, wenn diese befriedigt sind, gehe es allen besser. Sie wollen gar nicht wissen, was wirklich passiert, weil das zu viel Angst auslösen würde. Der allmächtige Vater muss unterstützt werden, um jeden Preis, denn sonst ist die eigene Sicherheit in Gefahr. Alle Fragen und alle Zweifel müssen ausradiert werden, damit der allmächtige Vater ein sicherer Anhaltspunkt bleiben kann. Dafür nehmen die Kinder in Kauf, dass sie ihre eigenen Wünsche zurückstellen, bis sie sie gar nicht mehr erkennen. Sie haben durch die Bestrafungen gelernt, dass ihr Wille und ihre Bedürfnisse schlecht oder böse sind, was so viel bedeutet wie dass sie selber schlecht und böse sind. 

Der Hass, aus dem die Eltern die Rechtfertigung für die Unterdrückung der Kinder ableiten, wird von den Kindern verinnerlicht und in einen Selbsthass umgewandelt. Später findet sich dann der Ausweg, den Selbsthass gegen andere Gruppen zu wenden – die sind dann die Bösen. Da sie Autoritäten vertrauen, glauben sie ihnen auch, wenn diese die Böse benennen und anklagen und folgen ihnen mit diesem Hass. 

Gegen die eigenen Interessen wählen

Aus dieser Dynamik wird auch verständlich, warum viele Menschen Politiker wählen und unterstützen, die gegen ihren eigenen Vorteil und gegen ihre eigenen Interessen ihre Politik betreiben. Es geht diesen Menschen nicht um ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen, denn sie haben gelernt, dass diese nicht wichtig sind – vielmehr geht es ihnen um die Bedürfnisse und Interessen der Autoritäten, denen sie folgen. Sie vertrauen ihnen blindlings und meinen, dass sie immer Recht haben, so wie der eigene autoritäre Vater immer Recht haben musste. Wenn die Führerfigur meint, dass das Einheben von Zöllen für alle im eigenen Land Vorteile bringt, dann unterstützen sie die Maßnahme, selbst wenn sie selber die Zeche zahlen müssen. Wenn die Autorität verkündet, dass die Ausländer an allem Schuld sind, dann befürworten sie deren Vertreibung, auch wenn sie gegen das Recht verstößt oder der Wirtschaft nachhaltig schadet. 

Geistige Dumpfheit

Eine Folge der autoritären Erziehung besteht in einer geistigen Dumpfheit, die als Folge der Unterdrückung der eigenen Impulse, Bedürfnisse und Willensäußerungen entsteht. Menschen mit dieser Geschichte sind nicht dumm, obwohl sie sich oft dumm, im Sinn der Selbstschädigung verhalten. Sie haben nur als Überlebensprinzip angenommen, dass das Nachdenken sinnlos und sogar gefährlich ist, weil es die Sicherheit unterminieren könnte, die eine gnädig gestimmte Autorität garantiert. Und deshalb müssen alle bekämpft werden, die an der Autorität zweifeln, sie kritisieren oder lächerlich machen.

Hier zum Podcast von Harriet Fraad.

Zum Weiterlesen: 

Aufklärung - der natürliche Feind rechter Ideologien
Hass, Zerstörung und Krieg
Taktiken zur Machtergreifung
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff von rechts


Dienstag, 20. Mai 2025

Aufklärung - der natürliche Feind rechter Ideologien

Aufklärung besteht nach Immanuel Kant in der Befreiung der Menschen aus der Unmündigkeit. Unmündigkeit bedeutet, die Verantwortung für das eigene Leben nicht tragen zu können oder zu dürfen. Die Botschaft der Aufklärung besagt, dass die erwachsenen Menschen ein Recht auf ihre Mündigkeit haben und dass dieses Recht gegen alle Bedrohungen geschützt werden muss.  Kant hat auch auf die Unmündigkeit im Denken hingewiesen – die obrigkeitliche Vorschreibung dessen, was die Menschen denken und für wahr halten sollten. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, so lautet die Losung der Aufklärung nach Kant. Er hat den Mangel an Mündigkeit vor allem auf fehlende Entschlossenheit und Feigheit zurückgeführt. Sich aus der „beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten“, hat er als schwieriges Unterfangen beschrieben. 

Kant ist aber auch auf die politischen Bedingungen eingegangen: „Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks vorteilhaft und setzt ihr doch unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem Raum, sich nach allem seinen Vermögen auszubreiten. Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.“

Er vertritt die Auffassung, dass es einen Ausgleich zwischen den bürgerlichen Freiheiten und der staatlichen Kontrolle braucht, damit die Aufklärung gedeihen und in gemäßigten Bahnen verlaufen kann. Mehr Freiheit ermöglicht jedenfalls mehr freies Denken, und die Befreiung des Denkens führt zur würdigen Behandlung der Menschen. Ungeregeltes Denken läuft Gefahr, in die Irrationalität abzugleiten, sodass Gefühle statt dem Denken die Äußerungen dominieren. Die Folgen der schrankenlosen Meinungsfreiheit können wir an der ausufernden, von Hassbotschaften verschmutzen Landschaft auf diversen Plattformen der sogenannten sozialen Medien beobachten. Hier könnten nur staatliche Maßnahmen regulierend eingreifen. Zu viel an obrigkeitlicher Kontrolle wiederum unterdrückt die Freiheit und beschneidet die Menschenwürde.

Entmachtung von Ideologien

Die Aufklärung hat sich der Aufgabe verschrieben, Aberglaube, Irrationalität und Ideologien zu entlarven und zu entmachten. Es soll der menschlichen Vernunft die maßgebliche Rolle für die Gestaltung der Gesellschaft und des Staates eingeräumt werden. Rechtsgerichtete sind Gegner der Aufklärung, weil sie ihre Ideologie für sakrosankt erklärt haben – manchmal sogar im wörtlichen Sinn, also verbunden mit einem religiösen Anspruch. Deshalb interpretieren sie jeden Angriff auf ihre Ideologie als Angriff nicht nur auf die eigene Partei oder politische Ausrichtung, sondern gleich auf den Staat und das Volk insgesamt. Ihr politischer Kampf bemäntelt sich dann mit dem scheinbaren Einsatz für das Ganze, das sie allerdings mit ihrer Ideologie besetzt haben.

Der kritische Ansatz der Aufklärung ist also ihr natürlicher Feind. Sie droht, ihnen Die Grundlage ihres Weltbildes ist eine Ideologie, und die Aufklärung bedroht diese Ideologie und damit die Rechtfertigung ihres Weltbildes. Deshalb haben alle Rechten liberales Gedankengut, liberale Werte und die Ideen der Menschenrechte, die aus der Aufklärung entstanden sind, zu ihrem Feindbild auserkoren. Diese Feindschaft kann so weit reichen, dass die Bildungsinstitutionen unter Druck gesetzt werden, ideologische Inhalte zu vermitteln, statt kritisches Denken zu fördern.

Natürlich haben sich auch auf der linken Seite des politischen Spektrums Ideologien ausgebildet, die zum Beispiel für den Aufbau von repressiven kommunistischen Herrschaftsmodellen herhalten mussten. Andererseits ist auf der Seite der linken Intellektuellen schon früh die Ideologiekritik entstanden, mit Karl Marx, Theodor W. Adorno, Jean Paul Sartre und Louis Althusser als wichtigen Vertretern. Die Ideologiekritik steht in der Tradition der Aufklärung, die vor allem von liberalen und linken Denkern und Wissenschaftlern aufrechterhalten wird und eine Form der Selbstkritik und Selbstreinigung beinhaltet. Sie bildet eine Instanz zumindest zur Reflexion oder zur Korrektur von allen ideologischen Auswüchsen, ob von linker oder von rechter Seite.

Starrheit als Folge fehlender Selbstkontrolle

Ein Merkmal der Rechten besteht hingegen darin, in ihren Reihen über keine Korrekturmechanismen für ihre Ideologien zu verfügen. Vielmehr werden Kritiker schnell aus den eigenen Reihen ausgesondert. Allerfalls gibt es intern Auseinandersetzungen zwischen radikaleren und gemäßigten Strömungen. So sind aktuell die einzigen, die dem absolutistischen Machtkurs des gegenwärtigen US-Präsidenten Einhalt gebieten, noch radikalere Republikaner.

Das Fehlen einer ideologischen Selbstkontrolle bei den Rechten bewirkt, dass die Ideengebäude starr und monolithisch bleiben, was Anhänger anzieht, denen gesellschaftliche Änderungen und Weiterentwicklungen generell nicht geheuer sind. Da sich die Wirklichkeit beständig verändert, koppeln sich die rechten Ideologien immer weiter von ihr ab; sie kompensieren diesen Mangel damit, dass sie die Wirklichkeit solange zurechtzimmern, bis sie zur Ideologie passt. Es werden also die äußeren Bedingungen der Ideologie angepasst, indem sie so interpretiert werden, dass sie die Ideologie bestätigen; alles Widersprechende wird ausgeblendet. Für diese Umdeutung der Realität benötigen die rechten Machthaber und Interessensgruppen umfangreiche Propagandaapparate, die fortlaufend mit großem Aufwand die Unterschiede zwischen der Ideologie und den realen Gegebenheiten einebnen müssen. Wenn beispielsweise die Ideologie maßgeblich ist, dass Ausländer den eigenen Wohlstand bedrohen, müssen alle Befunde, die das Gegenteil belegen, umgedeutet oder abgewertet werden. Einzelfälle, die die Ideologie unterstützen, werden aufgebauscht, während Statistiken oder wissenschaftliche Studien unterdrückt werden, die gegen die Ideologie sprechen. Gleichermaßen wird vorgegangen, wenn es um die Kriminalität von Inländern und Ausländern geht.

Für alles Schlimme suchen die rechten Ideologien Sündenböcke, an deren Gefährlichkeit ohne jede Evidenz und gegen alle widersprechenden Fakten festgehalten werden muss, weil sonst die ganze ideologische Erzählung zusammenbrechen würde. Wenn z.B. alle gewusst hätten, dass es keine jüdische Rasse gibt und dass die Juden in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nur einen kleinen Teil des Bankengeschäftes in Deutschland kontrolliert haben, wären sie der nationalsozialistischen Propaganda nicht auf den Leim gegangen. 

Verblendung und Wiedergewinnung der Klarsicht

Ideologien dienen der Verblendung, also der Einschränkung der Klarsicht auf die Wirklichkeit, so wie sie ist. Sie suggerieren Erwartungen, wie die Realität sein soll, damit sie so wahrgenommen wird, wie es die Ideologie vorgibt. Die Aufklärung geht den umgekehrten Weg: Sie prüft die Realität und an der Realität die Ideologien. Taugt eine Ideologie dafür, die Wirklichkeit besser verständlich zu machen, sodass die praktische Orientierung erleichtert wird, oder erschwert sie dieses Verstehen und die daraus folgende Handlungsanleitung? Wenn wir der Aufklärung und ihren Maximen folgen, bleiben wir mit der Realität in Verbindung und verfügen damit über die größtmögliche Freiheit und Flexibilität für unsere Wertsetzungen und Handlungen. Außerdem orientiert sich unsere Ethik mit dieser Zugangsweise an der Menschlichkeit und am Gemeinwohl und nicht am Eigennutz, an Gruppenegoismen oder an den Interessen von Ideologien und Ideologen.

Zum Weiterlesen:
Hass, Zerstörung und Krieg
Taktiken zur Machtergreifung
Der Angriff auf den Wahrheitsbegriff von rechts


Sonntag, 11. Mai 2025

Hass, Zerstörung und Krieg

Die Inder haben der Zerstörung eine eigene Göttin gewidmet. Denn die Kraft der Zerstörung ist, so seltsam es klingen mag, eine wichtige Kraft in der Weiterentwicklung des Lebens, in der Evolution. Altes geht unter, damit Neues gedeihen kann. Die Natur zerstört Leben und schafft neues Leben. Das Alte geht zugrunde, damit Neues wachsen und gedeihen kann. 

Wenn die Natur zerstört, wie z.B. bei einem Erdbeben, so gestaltet sie sich um und gibt sich sofort eine neue Form. Nach einem Lavaausbruch aus einem Vulkan beginnen irgendwann Pflanzen zu sprießen. Das Tragische oder Katastrophale bei solchen Ereignissen liegt „nur“ im Leiden der betroffenen Menschen, die unwiederbringlich ihr Hab und Gut oder ihre Liebsten verloren haben. 

Der Natur nachgemacht, kann auch jeder Mensch eine konstruktive Form der Zerstörung anwenden. Er kann in sich spüren, was ihn an sich selbst stört – schlechte Gewohnheiten, behindernde Verhaltensmuster, unethische Charakterzüge. Dann braucht er Mut, um diese Aspekte der eigenen Persönlichkeit in sich selbst zu konfrontieren, mit dem Ziel, sie dann stillzulegen, zu transformieren und neue kreative Impulse an ihre Stelle zu setzen. Das ist die konstruktive Seite am menschlichen Zerstörungstrieb.

Hass und Selbstzerstörung

Es gibt aber auch eine Zerstörung um ihrer selbst willen. Sie stammt aus der genuin menschlichen Regung des Hasses. Der Hass will das, was ihn stört, vernichten, sodass es nie mehr stören kann. Die Nationalsozialisten fühlten sich durch die Juden gestört, also wollten sie alle umbringen. Die Migrantenhasser fühlen sich durch Ausländer gestört und wollen sie alle außer Land bringen, damit sie an keiner Störung mehr leiden müssen. 

Der nach außen gerichtete Hass ist im Grund eine Abwehrstrategie gegen den eingepflanzten Selbsthass; Hass auf Objekte im Außen ist also immer auch Selbsthass, mutwillige Zerstörung vernichtet Teile der eigenen Seele. Der Selbsthass wiederum ist das Ergebnis eines von anderen empfangenen Hasses. Eltern, die sich im Grunde selbst hassen, geben ihren Hass auf ihre Kinder weiter, die dann anfangen, sich selbst zu hassen, d.h. ihre Selbstauslöschung wünschen, um den Willen der Eltern zu erfüllen. Hier führt ein Weg zu schweren Depressionen bis zum Selbstmord, die andere Richtung zur erneuten aggressiv geladenen Projektion des Hasses nach außen, der sich dann in Zerstörungswut äußern kann.

Geteilter Hass führt  zur Gewalt.

Der Hass, der dann im Inneren getragen wird, bleibt oft verborgen, bis Gleichgesinnte gefunden werden, mit deren Hilfe er nach außen gewendet werden kann. Eine Gruppe, mit der der Hass geteilt wird, entlastet von der Scham, die mit jeder Hassregung verbunden ist. Alles Lebensfeindliche ist schambesetzt; eine geteilte Scham kann jedoch leicht in Aggression und Gewalt umgemünzt werden. Die Gruppe sorgt für die Rechtfertigung, in dem sie sich einer Ideologie unterordnet, z.B. der antisemitischen oder der ausländerfeindlichen Ideologie.

Die Aufgabe von Ideologien besteht darin, die irrational gesteuerte Destruktivität aus unverarbeiteten Hassgefühlen als konstruktive Zerstörung zu tarnen. Menschen beginnen Kriege nur aufgrund von Ideologien, die die Zerstörung der Feinde als unausweichlich darstellen, damit das Leben gut weitergehen kann. Die Umwandlung der hassgeleiteten Zerstörungswut in einen geheiligten Krieg, also in einen scheinbar notwendigen Schritt zur Läuterung und Reinigung, dient zur Rechtfertigung der Gewalt und zur kollektiven Schamentlastung.

Ohne Ideologie kein Krieg

Österreich-Ungarn begann 1914 den Krieg gegen Serbien auf der Grundlage der Ideologie, für einen Mord einen ganzen Staat verantwortlich zu machen und dafür zu bestrafen. Die Entfesselung eines Weltkriegs wurde blind in Kauf genommen. Hitlerdeutschland begann 1939 den Zweiten Weltkrieg mit der ideologischen Rechtfertigung, die Schmach des Vertrages von Versailles rückgängig zu machen und Lebensraum für das deutsche Volk im Osten zu schaffen. Die USA haben sich in den Vietnamkrieg eingemischt, um die Weltherrschaft des Kommunismus zu verhindern. Russland hat die Ukraine angegriffen, um den angeblich dort herrschenden Nationalsozialismus zu beenden. Usw. 

Die Zerstörungswut kann vor allem dann schamfrei ausgelebt werden, wenn sie durch einen Gruppenkonsens als „natürliche” und notwendige Reaktion auf ein Unrecht oder eine Unmenschlichkeit erscheint. Deshalb nehmen sich politische Parteien dieser Hassimpulse an. Sie entwerfen Ideologien zur Bemäntelung und Heroisierung von pathologischen Gefühlsreaktionen. Diese sollen als beinahe naturnotwendige Eingriffe in den Lauf der Dinge erscheinen, um alles Böse wieder zum Guten zu wenden.

Kriege zerstören Menschenleben und materielle Werte. Wenn eine Rakete, die um die 1 Million gekostet hat, in ein Haus einschlägt, das 10 Millionen wert ist, dann ist, nüchtern betrachtet, der Gegenwert von 11 Millionen in Schutt und Asche verwandelt, also vernichtet. Waren Menschen in dem Haus, so ist der vernichtete Wert unermesslich höher. 

Dem aus Hass Zerstörten steht nicht Neuerschaffenes gegenüber. Irgendwann vielleicht, wenn in der Gegend wieder Friede herrscht, kann das Haus neu errichtet werden (die Kosten werden weit höher sein als die zerstörten Werte); die Menschenleben sind aber für immer verloren. Vernichtet wurden Menschenleben und Dinge, die das Leben erschaffen hat, in Form von Produkten menschlicher Arbeit (das Erbauen eines Hauses oder die Konstruktion einer Rakete samt aller dafür notwendigen Materialien), unter Verwendung von Rohstoffen aus der Natur. All das, was die Natur durch langsame Prozesse der Evolution geformt hat, wurde mit einem Schlag in lebloses sinnloses Chaos verwandelt. Massive Ressourcen verschwinden in dem Haufen der Zerstörung. Und dieser Schlag ist durch nichts anderes als durch immensen menschlichen Hass gesteuert. 

Es wird so lange Kriege unter den Menschen geben, als die Quellen des Hasses nicht trockengelegt sind – in den individuellen wie in den kollektiven Seelen. Es wird so lange Kriege geben, als die Menschen hasserfüllte Ideologien hervorbringen, verbreiten und verfolgen. Es wird so lange Kriege geben, als der unermessliche Wert jedes Menschenlebens ignoriert und Zielen untergeordnet wird, die einer unerlösten Zerstörungswut entspringen.

Zum Weiterlesen:
Die Kraft der Zerstörung
Der Hass in der politischen Fixierung
Hass und Liebe: Vom Mangel in die Fülle
Hass im Internetzeitalter
Geschlossene Systeme und der inhärente Hass