Donnerstag, 18. September 2025

Die heimliche Freude bei politischen Morden

Es gibt Videos, auf denen man sieht, wie Araber feiern, wenn Juden getötet werden, und wie Juden feiern, wenn Araber getötet werden. (Die Videos können für Propagandazwecke gefälscht sein, aber solche Vorkommnisse gibt es immer wieder). Es gibt angeblich Menschen, die die Ermordung von Melissa Hartman, und andere, die das Attentat auf Charlie Kirk gefeiert haben. Selbst Barack Obama ließ es sich nicht nehmen, live die Festnahme und Ermordung von Osama bin Laden zu verfolgen und sich daran zu ergötzen. 

Was bringt Menschen dazu, Freude zu empfinden, wenn andere umkommen?

Die tribalen Wurzeln 

Die Menschen haben die längste Zeit ihrer Geschichte in Stämmen verbracht, überschaubaren Gruppen, die durch ein Wir-Gefühl zusammengehalten wurden, in Abgrenzung zu den anderen Gruppen, die oft als Feinde erlebt wurden, vor allem, wenn die Ressourcen knapp waren. Die Bedrohung von außen wird geringer, wenn ein Mitglied der Die-Gruppe umkommt, vor allem, wenn es ein mächtiges Mitglied dieser Gruppe war. Die Freude über den Tod stammt aus der Erleichterung, aus der Entlastung von der Bedrohung. Ähnliches kann im Inneren passieren, wenn sich Leute zuprosten können, weil sie gerade sehen, wie die Bomben im Feindesland niedergehen.

Wir leben längst in riesigen Großgruppen, in vielgestaltigen Gesellschaften, aber noch immer wirken diese archaischen Dynamiken aus dem Unterbewusstsein mit. Um die Komplexität der Gesellschaft übersichtlicher zu gestalten, basteln wir uns eine Vereinfachung nach dem Wir-Die-Schema, die Guten und die Bösen. Alles, was die Bösen schwächt, macht uns sicherer und erleichtert uns – scheinbar ein Grund zum Feiern.

Das Absprechen der Menschlichkeit

Zur Gewaltausübung ist ein weiterer Schritt notwendig. Er besteht darin, dass Gegnern und Feinden das Menschsein abgesprochen wird. In manchen Stammesgesellschaften war die Bezeichnung „Mensch“ auf die Angehörigen des Stammes beschränkt (z.B. die Allemannen – all die sind Menschen, die zu uns gehören). Die Scham hindert daran, den Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft Leid zuzufügen. Wer aber im Sinn der Eigendefinition kein Mensch ist, dem kann schamlos Gewalt angetan werden.

Die Propaganda im Nationalsozialismus hat zunächst den Juden das Menschsein abgesprochen, indem sie als Ungeziefer oder Schädlinge bezeichnet wurden. Mit dieser rhetorischen Entmenschlichung werden die Hemmschwellen gesenkt, solche Menschen umzubringen und darüber Genugtuung zu empfinden, weil ja scheinbar durch die Morde Schaden abgewendet werden konnte. 

Die Personifizierung des Bösen

Viele Ideologien nutzen diese Mechanismen, um Gewalt zu rechtfertigen. Das komplexe Böse (z.B. der Kapitalismus oder die Migration) wird personifiziert; dadurch kann es bekämpft werden. Bestimmte Menschen werden als symbolische Repräsentation eines „bösen Systems“, einer korrupten Elite oder eines verschworenen Zirkels angesehen. Wenn sie einem Attentat zum Opfer fallen, entsteht der Eindruck, dass die anonyme Macht des Bösen angreifbar ist und geschwächt wurde. Im aktuellen Fall ist ein Repräsentant der Trump-Bewegung MAGA erschossen worden, und das kann bei vielen, die die Machtzusammenballung und die Schamlosigkeit dieser Bewegung und der von ihr gestellten Regierung, eine Genugtuung ausgelöst haben, eine Art von Schadenfreude, die ihre Wurzel in der Schwächung der Gefahr und Bedrohung besteht. Die erlittene Frustration findet einen innerpsychischen Ausgleich im Sinn einer Rache oder einer wiederhergestellten Gerechtigkeit. Diese Gefühlsabläufe spiegeln sich darin wieder, dass in vielen Kommentaren darauf hingewiesen wurde, dass das Opfer des Attentats in seinen Reden immer wieder betont hat, wie wichtig ihm der Privatbesitz von Waffen ist und dass für dieses Recht eine große Zahl von Todesopfern in Kauf genommen werden muss. Zu erkennen, wie jemand zum Opfer der eigenen gewaltgetränkten Rhetorik wird, hat offensichtlich bei manchen eine „klammheimliche Freude“ ausgelöst. 

Die "klammheimliche Freude"

Dieser Ausdruck wurde übrigens im Zusammenhang mit den Terroraktionen der Roten Armee-Fraktion gebraucht. In einem zunächst anonymen Text „Buback – ein Nachruf“ schrieb der Autor:

„Meine unmittelbare Reaktion, meine ‚Betroffenheit‘ nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören. Ich weiß, daß er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte.“ (1977)

Diese Stelle entfesselte eine hitzige Debatte in Deutschland; der Satz, der weiter unten im Text steht, wurde dagegen kaum diskutiert: 

„Wir alle müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend für das Volk zu hassen.“

Das erste Zitat beschreibt recht treffend die Gefühlsabläufe bei dieser Form der Freude: Eine Person stellte eine Gefahr dar und hat dadurch Ängste und Frustrationen erzeugt. Deshalb fühlt es sich gut an, wenn sie tot ist. Im zweiten Zitat geht es um den Ausstieg aus dieser Dynamik, der durch die Hilfe der Vernunft zustande kommt: Wir müssen aus dem Hass aussteigen und aus der Personifizierung von unvollkommenen Zuständen. Die Zustände werden keinen Deut besser, wenn eine Person getötet wird. 

Von der Scham zum Mitgefühl, vom Mitgefühl zur Vernunft

Das Mitgefühl, das bei dieser Gefühlsdynamik auf der Strecke bleibt, meldet sich erst, wenn die Überwindung der Schamschranke, die vor jeder Gewaltanwendung und auch vor jeder Verherrlichung von Gewalt warnt, zurückgenommen wird. Die Scham über das Gutheißen von Gewalt oder über die Freude über Morde öffnet die Tür zum Mitgefühl mit den Opfern. Ein wertvolles Mitglied der Menschheitsfamilie ist zu Tode gekommen, das muss betrauert werden. Es gibt Angehörige, die ein schweres Schicksal erlitten haben.

Über das Zulassen der Scham und des Mitgefühls wird das Bewusstsein frei für den Gebrauch der Vernunft. Sie führt heraus aus den tribalen Bindungen, aus den Tendenzen zur Entmenschlichung und Personifizierung des Bösen. Sie macht uns deutlich, dass wir unsere Probleme als Menschheit nur gemeinsam und ohne Gewalt lösen können.

Zum Weiterlesen:
Intensitätssuche und Gewalt
Auf dem Weg zur Hassgesellschaft?
Obama und die Fratze der materialistischen Demokratie


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