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Mittwoch, 12. Januar 2022

Geld, das Symbol der Autarkiescham

Die Scham, die damit verbunden ist, das eigene Leben aus eigenen Kräften schaffen zu müssen, heißt Autarkiescham. Sie drückt sich in dem Glaubensprogramm aus, nichts wert zu sein, wenn man es alleine nicht schafft. 

Die Verfügung über Geld ist ein Symbol oder sogar Synonym für Freiheit und Autarkie in unserer Gesellschaft. Geld öffnet alle Türen und ist der Schlüssel für den Zugang zu wichtigen Ressourcen, die wir zum Überleben und leben benötigen. Wenn wir kein Geld haben, brauchen wir jemanden, der uns erhält oder der uns Geld gibt. Ohne Geld sind wir also abhängig vom Wohlwollen von anderen und können uns selbst nicht erhalten.

In unserer Gesellschaft wird deshalb auch der Wert eines Menschen in den meisten Alltagsabläufen über Geld definiert, und das geht bis zur Frage der Überlebensberechtigung: Wer genug davon hat, kommt überall durch, wer mehr als genug davon hat, kann sich Luxus leisten, wer nicht genug davon hat, muss im Mangel leben, und wer nichts davon hat, muss darum betteln, um überleben zu können. Bettler erinnern uns an den schamvollen Zustand, der entsteht, wenn wir ohne Geld sind; Bettler werden aus manchen Städten vertrieben, weil sie uns darauf aufmerksam machen, an welch dünnem Faden unsere eigene wirtschaftliche Existenz hängt. Wir wollen nicht sehen, wie abhängig wir sind. Und wir wollen nicht sehen, wie ungerecht die Ressourcen und der Zugang zu Geldquellen in der Welt verteilt sind. Außerdem wollen wir die eigene Scham nicht spüren, die uns befällt, wenn wir Unseresgleichen im Elend sehen.

Der Mangel an Geld beschämt

Die Autarkiescham ist wie von selbst und unweigerlich aktiv, sobald ein Mangel an Geld auftritt. Wir fühlen uns weniger wert, so als würden wir zu einer minderen Klasse von Menschen gehören. Alle anderen sind autark, sie können sich leisten, was sie brauchen und wollen, wir selber müssen uns einschränken und sind im äußersten Fall abhängig von Almosen, also von der Willkür der Vermögenden.

Diese Schamform wirkt ins Sozialsystem hinein, das deshalb geschaffen wurde, um die Existenz möglichst vieler Mitglieder der Gesellschaft abzusichern und auch jenen, die es nicht schaffen, sich selbst zu erhalten, oder die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, noch einen Notgroschen zukommen zu lassen. Das Überleben soll für alle auf einem untersten Niveau garantiert werden. Doch sollten sich jene, die „der Allgemeinheit auf der Tasche liegen“, dafür schämen, denn die Scham könnte sie motivieren, sich aus der Not herauszuziehen. Verstärkt wird die Schambelastung dadurch, dass die anderen, die genug haben, auf sie mitleidig und verächtlich herabschauen. Es ist also eine beschämende und beschämte Situation, kein Geld selbst zu erwirtschaften und von mehr oder weniger gnadenhalber gewährten Zuwendungen abhängig zu sein.

Selbst Arbeitslose leiden unter dieser Scham. Zwar handelt es sich theoretisch um einen Versicherungsvorgang: In die Arbeitslosenversicherung einbezahltes Geld wird im schlagenden Fall zurückgezahlt. Aber viele davon Betroffene reagieren mit Schuld- und Schamgefühlen, die immun gegen die rationale Einsicht sind, dass einem das Arbeitslosengeld zusteht und keine Gnadengabe ist. Sie haben das Existenzsymbol der kapitalistischen Gesellschaft internalisiert: Existieren darf, wer genug Geld hat, um es sich leisten zu können. Existieren darf, wer sich selbstständig die notwendige Menge Geld erwirtschaften kann. Wer das nicht schafft, ist es zwar noch wert, am Leben erhalten zu werden, zumindest dort, wo es einen Sozialstaat gibt. Aber er soll sich dafür schämen. Diese Schamverordnung hat den Zweck, einen Druck zu erzeugen, der die Betroffenen dazu zwingen soll, sich „zusammenzureißen“ und wieder zu wirtschaftlich wertvollen Elementen der Gesellschaft zu werden.

Wenn wir Glück hatten, spielte die Autarkiescham keine Rolle in der frühen Kindheit. Wir sind mit dem Grundgefühl aufgewachsen, dass die Grundbedürfnisse abgedeckt sind: Nahrung, Kleidung, Wohnung usw. sind einfach da. Unter anderen, prekären Umständen ist diese Schamform von Anfang an da: Ein Kind wird geboren, und die Eltern wissen nicht, wie sie es wirtschaftlich schaffen sollen. Das Kind spürt die Ängste und Sorgen der Eltern und fühlt auch, dass es dafür verantwortlich ist. Es schämt sich dafür, dass es da ist und die Nöte der Eltern verursacht, was eine Form der Urscham darstellt. Außerdem wird die Grundlage gelegt, dass sich, sobald ein Verständnis für Geld und seine Macht entwickelt ist, die Autarkiescham einstellt. Sie ist also häufig eine Ableitung aus einer Existenzscham, indem Existenz und Geldbesitz gleichgestellt werden, eine Gleichung, die zu den Leitlinien des kapitalistischen Systems gehört. 

Selbst wenn unsere Anfänge frei von Existenzängsten und Versorgungssorgen waren, kann die Autarkiescham in Verbindung mit dem Geld später auftreten. Kinder sammeln häufig die ersten Erfahrungen mit der Bedeutung des Geldes, wenn sie Taschengeld bekommen. Sie fangen dann an, ihren Geldbesitz mit dem ihrer Kolleginnen im Kindergarten und in der Schule zu vergleichen. Diese Vergleiche bringen entweder Stolz oder Scham im Schlepptau mit sich: Stolz, wenn der Anschein entsteht, finanziell besser dazustehen als andere Kinder, und Scham, wenn es umgekehrt ist. 

So wachsen die Kinder in eine Gesellschaft hinein, in der der finanzielle Status einen wichtigen bis ausschlaggebenden Anteil am Selbstwert verkörpert. Die Lebens- und Entfaltungschancen werden nach diesem Maßstab bemessen, und wer hier schlecht abschneidet, kommt schwerlich ohne Schamgefühle damit zurecht. Das Leistenmüssen wird zum Antrieb, um diesen unangenehmen Gefühlen zu entrinnen, und führt in vielen Fällen zur Selbstausbeutung, getrieben von Versagensängsten.

Die vielen Burnout-Erkrankungen, die vielen psychosomatischen Erkrankungen und die vielen depressiven Störungen, die zu unrühmlichen Kennzeichen der modernen Welt geworden sind, treten als Folge des inneren Drucks auf, der durch die Autarkiescham ausgelöst wird. Wir sollten uns gegenseitig darin bestärken, dass der Wert von Menschen nicht über Geld definiert werden darf, und wir sollten uns dafür einsetzen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse so gestaltet werden, dass niemand durch den Rost fallen und in eine schamvolle Armut geraten kann. Wir können selber nur schamfrei in einer Gesellschaft leben, in der alle genug zum Auskommen haben. Es ist ein zentraler Teil der Menschenwürde, ohne Existenzängste ein gutes Leben führen zu können.

Samstag, 14. November 2020

Wer soll das bezahlen? Der Staat als big spender.

Krisenzeiten können auch dazu dienen, altbekannte Konzepte und Vorstellungen zu überdenken und durch neue zu ersetzen. Wir erleben in dieser Zeit, dass der Staat Milliarden in die Hand nimmt, um jene, die von den Einschränkungen durch die Pandemie betroffen sind, unter die Arme greifen zu können, damit Härtefälle und Existenzbedrohungen vermieden werden und die Wirtschaft nicht völlig zusammenbricht.

Wir fragen uns, woher der Staat plötzlich das Geld nimmt, wo uns doch bisher immer eingebläut wurde, dass gespart, gespart, gespart werden muss, wenn es um den Ausbau von staatlichen Förderungen und Sozialleistungen, um Investitionen in Bildung und Forschung ging. Es leuchtet auch ein, dass der Staat nicht verschuldet sein soll, sondern ausgeglichen wirtschaften sollte, wie eben jeder andere Haushalt auch. Aus unserer Praxis wissen wir, dass es nicht angenehm ist, mit einer Kreditbelastung zu leben, weil es uns an den Kragen gehen könnte, falls wir einmal das Geld für die Rate nicht aufbringen. Sobald ein Kredit abbezahlt ist, fühlen wir uns erleichtert. Also können wir nachvollziehen, dass das auch auf der Ebene des Staates so funktionieren sollte. Schließlich sind wir alle der Staat, und ab und zu wird uns vorgerechnet, wie hoch wir als Einzelne verschuldet sind, wenn die Staatverschuldung auf alle Bürger umgelegt wird, und bei solchen Vergleichen wird uns schnell schummrig (pro Österreicher wären das mit Stand 2019 ca. 35000 €): Was, wenn morgen ein Schuldeneintreiber vor der Tür steht und unseren Anteil an der Staatsverschuldung verlangt?

Wir vergessen bei diesen Vergleichen eins: Der Staat ist der Macher des Geldes, nicht das Geld die Basis des Staates. Staatsgebilde waren notwendig, um das Geld zu erschaffen – ein Zahlungsmittel, dessen Wert von allen Teilnehmern einer Gesellschaft akzeptiert wird: Alle glauben an die Zahl auf dem Geldschein, der an sich wertlos ist, und bemessen danach den Wert des Scheins für die Austauschprozesse von Gütern und Dienstleistungen. Solange dieser Glaube solid ist, funktioniert das Geldsystem, und der Staat kann Geld erschaffen, soviel er braucht. Die Grenze zeigt sich dort, wo das Vertrauen schwindet und der Wert des Geldes in Zweifel gezogen wird. Schon im 18. Jahrhundert wurde deutlich, dass das Geld an Wert verliert, wenn der Staat hemmungslos Münzen und Banknoten auf den Markt wirft.

Eine neue Geldtheorie

Soweit ein paar Grundmodelle der Volkswirtschaftslehre, laienhaft dargestellt. Die Modern Monetary Theory (MMT), eine neuere Strömung in der ökonomischen Theorie, behauptet, dass der Staat das Geld der Steuerzahler nicht braucht, um die eigenen Ausgaben zu finanzieren, sondern dass er umgekehrt die Staatsbürger dazu zwingt, die Steuern in Geld abzuliefern und damit das Geldsystem implementiert. Deshalb kann der Staat so viel Geld produzieren, wie er will und für seine Leistungen braucht, gestützt auf die Vertrauensgarantie seitens der staatlichen Institutionen. Es sind also nicht mehr die Steuerzahler, die den Staat am Leben erhalten, sondern der Staat agiert als Schiedsrichter in einem Spiel, in dem sich die Bürger an die vorgegebenen Regeln halten müssen, wenn sie einen individuellen Gewinn aus dem Spiel ziehen wollen. 

Eine Folgerung aus diesem Ansatz besteht darin, dass die Arbeitslosigkeit durch eine staatliche Jobgarantie beseitigt wird. Arbeitslosigkeit führt zu hohen Kosten in der Gesellschaft und zu schädigenden Einwirkungen auf die Betroffenen, denen keinerlei produktive Wirkungen gegenüberstehen. Deshalb sollte der Staat in Krisenzeiten Jobs schaffen, auch wenn sich dadurch das Staatsdefizit erhöht. Sobald die Wirtschaft wieder in ihre Eigendynamik kommt, entstehen dort neue Arbeitsmöglichkeiten. 

Vermutlich lässt sich diese Geldtheorie mit den Ideen des Grundeinkommens kombinieren und kann in ein neues Paradigma einfließen, das zur Einschränkung des neoliberal-kapitalistischen Systems beiträgt. Es ginge dabei um den Ausgleich zwischen Eigenwohl- und Gemeinwohlbestrebungen, der im Neoliberalismus gekippt ist. 

Ich schreibe nicht als Experte in dieser Thematik, sondern als interessierter Wirtschaftsteilnehmer, der besser verstehen möchte, was die Spielregeln sind und wo wir Konstrukten aufsitzen, die einfach für wahr gehalten werden, ohne einer näheren Prüfung standhalten zu können. Dieser Artikel möchte dabei helfen, festgefügte Ansichten über unser Geldsystem zu erschüttern und neue Sichtweisen einzubringen. Diskussionsprozesse könnten dadurch angestoßen werden, um diejenigen Strukturen und Dynamiken, die aufgrund von Denkmodellen entstanden sind, zu verändern und in neue Bahnen zu führen. Es könnte ja sein, dass unsere Wirtschaft nicht von ökonomischen Sachzwängen regiert wird, sondern von den Annahmen ihrer Teilnehmer, die als selbstverständlich unterstellt werden, obwohl sie es nicht sind. Und es könnte sein, dass diese Annahmen Mischungen aus kognitiven Konstruktionen und emotionalen Mustern darstellen, die mehr unbewusste als bewusste Anteile enthalten.

Das Wirtschaftssystem als Glaubenssystem zu verstehen, ermöglicht das Durchschauen und Relativieren von Meinungsmanipulationen und Gefühlsprägungen. Überall wo Ängste ins Wirtschaftssystem eingeschleust werden, ist es wichtig, ihre Berechtigung und Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Ängste, die auf der Grundlage eines fragwürdigen ökonomischen Modells gesät werden, brauchen wir dann nicht mehr ernst zu nehmen. 

Da Vertrauen (und begrenztes Misstrauen innerhalb dessen Rahmen) das Grundnahrungsmittel und den Grundtreibstoff jeder Gesellschaft und damit auch jedes Wirtschaftssystems darstellt, sollten alle Ängste, die durch ideologische Einflüsterungen oder naiven Grundannehmen entstanden sind, benannt und entsorgt werden. Denn sie hemmen nicht nur die Individuen in ihrer Aktionsfähigkeit und reduzieren ihre Lebensqualität, sondern verringern auch die Produktivität und Konstruktivität in den gesellschaftlichen und ökonomischen Abläufen  und damit die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems, die wieder auf die Lebenszufriedenheit der Teilnehmer zurückwirkt.

Interview zur Modern Monetary Theory

Zum Weiterlesen:
Gründe für ein Grundeinkommen
Die Corona-Krise als Chance
Armut ist ein Ärgernis - dem kann abgeholfen werden



Sonntag, 17. November 2019

Gier und Selbstzerstörung

„Willst du reich werden? Dann plage dich nicht damit, deine Güter zu vermehren, sondern deine Habgier zu verringern.“ (Epikur)  

Die Gier zählt zu den sieben Lastern im katholischen Christentum und zu den drei Geistesgiften im Buddhismus.  Sie ist von ihrem Wesen her ein ausgelebter Egoismus, dass sie aus der Sicht von Religionen der Mitmenschlichkeit angeprangert werden muss. Die Gier ist asozial: „Ich will nicht teilen, sondern nur für mich haben, viel, möglichst alles.“ Ich will einverleiben, damit ich spüren kann, dass es bei mir ist und damit es sicher bei mir bleibt und ich es nicht verlieren kann. Deshalb ist sie stark im Mund- und Kieferbereich, also im „oralen Segment“ (Wilhelm Reich) beheimatet. 

Wir können die Gier als Abkömmling der Wut verstehen. Aggression hat etwas mit Bemächtigung zu tun und Gier mit der Einverleibung des Bemächtigten. Aggressiv ist auch die Abgrenzung gegen die anderen, die als Konkurrenten um das von der Gier Begehrte erscheinen und notfalls mit Gewalt davon abgehalten werden müssen, etwas von der Beute zu bekommen. Und schließlich geht es auch um eine Selbstaggression: Die Reduktion der eigenen Seele auf die Objekte der Gier und die versteckte Selbstbestrafung, die z.B. in der Fressgier sichtbar wird, mit der sich der Gierige durch die aggressive Selbstschädigung sein eigenes Grab schaufelt.

Die Gier richtet sich üblicherweise auf materielle Dinge: Güter, Nahrung, Drogen, Geld usw. Wir können aber auch nach Erfolg, Macht, Sex, Unterhaltung und Anerkennung gierig sein. Alles, was eine innere Frustration lindern kann, alles, was der Befriedigung eines Bedürfnisses dient, kann zum Objekt der Gier werden.

Der ursprüngliche Sinn der Gier liegt darin, Ressourcen für das eigene Überleben anzuhäufen, damit für Notzeiten vorgesorgt ist. Da wir aber Gier auch dann empfinden können, wenn wir schon genug zum Überleben haben, spielt eine emotionale Prägung mit. Sie bewirkt, dass die Gier krankhaft und zwanghaft werden kann. Diese neurotische Form der Gier hat ihre Wurzeln in unserer frühen Lebensgeschichte und bezieht sich auf eine innere emotionale Leere, die durch die Objekte der Gier gefüllt werden soll. 

Die Gier ist prinzipiell unendlich, es gibt immer noch etwas, was sie nicht hat, auch wenn schon so viel zusammengerafft wurde. Manchmal erschöpft sie sich für kurze Zeit im Konsum des Angehäuften, bis der Hunger aufs Neue erwacht. Darauf bezieht sich der Begriff des Lasters, eine Dauerbelastung für die Seele.

Diese Unerschöpflichkeit der Gier kommt daher, dass sie aus Mängeln der eigenen Kindheit stammt und für Bedürfnisse, die damals nicht erfüllt wurden, herhalten muss, ohne die damals versäumte Befriedigung jemals stillen zu können. Sie will ein kindliches Größenselbst füttern, eine Verdrehung der kindlichen Fantasie, die das riesige Ausmaß der eigenen Hilflosigkeit in sein Gegenteil verkehrt. Das Kind, in seiner großen Not, vermeint, dass ihm als Ausgleich riesige Schätze zustünden, wie es in den Märchen erzählt wird. Deshalb kennt und akzeptiert die Gier keine Grenzen.


Gier und Scham

Die Gier stiftet zu einem sozial schädlichen Verhalten an: Nimm alles für dich, bevor es die anderen kriegen. Da meldet sich die Scham als Gegenstimme. Sie klagt die Sozialverträglichkeit ein und benennt den Egoismus der Gier. Deshalb zeigen wir uns lieber bescheiden und anspruchslos, großzügig und wohltätig als gierig. Denn die Gier ist für uns selber hässlich und beschämend. Also müssen die von der Gier motivierten Taten geheim und unsichtbar bleiben. Alle Spuren sollen verwischt werden. Für gieriges Verhalten bekommen wir keine Anerkennung, sondern ernten eher Verachtung und Abwertung. Wer will schon einen gierigen Menschen zum Freund?

Hier eine Geschichte, die den Zusammenhang von Scham und Gier recht anschaulich verdeutlicht: Es sitzt eine Runde von Personen zum gemeinsamen Abendessen um einen Tisch. Alle haben schon gegessen, und ein Schnitzel ist auf dem Servierteller in der Mitte des Tisches übriggeblieben. Die Gastgeberin fragt, ob nicht jemand das Schnitzel noch essen möchte, doch alle verneinen bescheiden. Plötzlich geht das Licht aus, und ein Schrei ertönt. Das Licht geht wieder an, und auf dem Schnitzel liegt eine Hand, in der die Gabeln der anderen Gäste stecken. 

Solange es hell ist, also solange jeder gesehen wird, zügelt die Scham die Gier. Niemand will das Schnitzel, alle zeigen sich zufrieden und genügsam. Kaum fällt die äußere Kontrolle weg, setzt sich sofort die unverschämte Gier durch. Das ist der heimliche Gang zum Kühlschrank in der Nacht, die versteckte Schnapsflasche, das fette Schwarzgeldkonto auf den Bahamas – die Gier scheut die Öffentlichkeit. Nur der Schamlose lebt seine Gier offen. 

Wir erkennen hier die eminent wichtige soziale Rolle der Scham: Sie hält die Gier in Schach, damit sie nicht überhand nimmt und in der Folge die Gesellschaft in selbstsüchtige Individuen zerfällt, die versuchen, alles auf Kosten der anderen an sich zu raffen. Die Scham zügelt den Egoismus und erinnert daran, wie notwendig die wechselseitige Rücksichtnahme und die Gemeinwohlorientierung sind. 


Frühkindlicher Mangel

Die Panik, zu kurz zu kommen, die die Gier antreibt, stammt aus früh erfahrenen emotionalen Mangelerfahrungen. Sie ist die Quelle für das Überspielen der Schamreaktion, nach dem Motto, dass das Überleben wichtiger ist als eine gute Presse. Es geht um das Zukurzgekommensein bei Zuwendung und Liebe und die durch solche Erfahrungen ausgelösten und durch häufige Wiederholungen chronifizierten Ängste. Solche Ängste können so stark werden, dass sie später über alle möglichen Schranken hinwegschwappen und extreme und exzessive Verhaltensweisen auslösen können: „Ich muss jetzt alles an mich reißen, sonst gehe ich unter“. 

Je größer das emotionale Loch ist, das jemand aus seiner Kindheit mitgenommen hat, und je schwächer die moderierende Einwirkung der Scham ausgeprägt ist, desto hemmungsloser und blinder kann die Gier das Kommando übernehmen. Diese Dynamik kann Menschen dazu bringen, dass sie für die Erreichung ihrer von einer maßlosen Gier ersonnenen Ziele bereit sind, sprichwörtlich über Leichen zu gehen.  

Die innere Leere ist immer die Folge einer missglückten Affektregulation in der Kindheit. Sie führt zur chronifizierten Angst vor dem Mangel, die wiederum die Bereitschaft zur Gier aktiviert und die von der Scham errichteten Hemmungen überwindet. In der Gier äußert sich die Forderung nach einem Ausgleich, nach einer Entschädigung für die erlebten Frustrationen. Manche gierige Menschen verhalten sich aus diesem Grund so ungeniert, weil sie meinen, sie hätten einen Rechtsanspruch auf alle materiellen und immateriellen Güter, auf alle Objekte des Begehrens.

Klarerweise kann die Gier nie zu einer dauerhaften Befriedigung führen, weil sie nach etwas lechzt, was unwiederbringlich versäumt wurde. Die fehlende Mutterliebe kann durch keine Luxusvilla, aber auch durch keinen Liebes- oder Sexpartner ersetzt werden. Deshalb mündet jede Gier in einer tendenziell unendlichen Schleife, sich nie zufrieden geben zu können, sondern immer mehr fordern zu müssen.  

Fürsorgliche Personen, denen es von früh an gelingt, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und angemessen zu erfüllen, legen die Basis für eine solide Selbstzufriedenheit und emotionale Erfüllung. Gelingt es außerdem, das Kind zu einem gut balancierten Schamerleben zu führen, so wird die Ausbildung einer zwanghaften Gier im späteren Leben überflüssig und die Neigung zu exzessivem Verhalten eingedämmt. 

Prägungen der Gier 

Manche Menschen haben eine ausgeprägte Gier nach Geld, andere nach Macht.
Die Geldgier hat ein anonymeres, unpersönlicheres Objekt. Geld ist eine abstrakte Größe, eine Zahl auf einem Kontoauszug. Wenn die Geldmenge am Konto wächst, gibt es niemandem, dem es weggenommen wurde. Die Geldgier kann als Antwort auf eine Form der emotionalen Vernachlässigung verstanden werden, die atmosphärisch gewirkt hat, also nicht an einzelnen traumatisierenden Momenten festgemacht werden kann, sondern sich aus tagtäglichen Missachtungen zusammensetzt. Geld als universal einsetzbares Mittel zur Absicherung gegen jede Art von Bedrohung dient dann als Gegenstand der Anhäufung. Massenhaftes Geld am Konto  verheißt die Sicherheit, nie mehr wieder einen Mangel erleiden zu müssen, der die eigene Kindheit geprägt hat. Die Falle dieser Form der Gier ist offensichtlich: Zahlen können keine Sicherheit garantieren. Eine Klientin, die bei ihrer Scheidung 10 Millionen Euro bekommen hatte und dazu eine stattliche Summe für die fortlaufende Lebensführung, bekam massive Existenzängste, als sich ihr Vermögen im Zug der Finanzkrise um eine Million verringerte. 

Die Gier nach Macht ist anders gestrickt. Sie muss sich mehr der Konkurrenz aussetzen und braucht mehr Aggression, um an ihr Ziel zu kommen. Macht muss anderen weggenommen werden, damit man sie haben kann. Die machtgierige Person braucht einen höheren Grad an Unverschämtheit. Die Machtgier kann als Antwort auf eine direkte Unterdrückung durch eine autoritäre Elternperson verstanden werden, die die Entwicklung der Eigenmacht des Kindes unterbunden oder stark eingeschränkt hat. So dient die Strategie der Machtgier der Sicherstellung der eigenen Autonomie gegenüber der Bedrohung durch andere Menschen. Die Gier soll den Autonomiemangel ausgleichen, der schmerzhaft in der Kindheit erlitten wurde. 

Machtgier und Geldgier stellen zwar unterschiedliche Strategien dar, doch sind sie in der Realität häufig eng miteinander verflochten. Machtgierige Menschen sichern sich die Macht, um in ihrem Schatten Geld anhäufen zu können. Geldgierige Menschen wollen reich werden, weil sie wissen, dass die Macht käuflich ist. Ein Sicherungssystem sichert das jeweils andere, ein Giersystem kurbelt das andere an. Die neurotische Sucht nach Sicherung der Sicherheit potenziert die destruktiven Kreisläufe, die von der Gier angestachelt werden.

In dieser Dynamik gedeiht das weite und hartnäckige Feld der Korruption – Einzelne oder Netzwerke, die sich öffentliche Güter für private Nutzung aneignen. Den Antrieb liefert die Gier, die wiederum von den nagenden Gefühlen des inneren Mangels gefüttert wird.

Alle Gierstrategien dienen einem Ziel, dem Inneren, der Seele Sicherheit zu bieten, eine Sicherheit, die freilich im Außen vergeblich gesucht wird. Das ist die Tragik der Gier und aller von ihr angetriebenen Handlungen: sie führen nie zu mehr Sinn und Glück, vielmehr richten sie großen Schaden in den Seelen der von ihr Getriebenen und im Leben der Betroffenen an. 

Das Missverständnis, im Außen eine Erfüllung zu suchen, die nur im Inneren gefunden werden kann, ist verständlich, denn der Mangel an Zuwendung und Fürsorge, der hinter der Gier steckt, war ursprünglich vom Außen, von den nahestehenden Menschen geschuldet. Die innere Verarmung ist die Folge einer fehlenden Unterstützung durch andere. Dennoch bedeutet Erwachsensein, die Verantwortung für die eigenen Bedürftigkeiten zu tragen. Solange das nicht gelingt, was immer der Fall ist, wenn die Gier aktiv ist, führt das unersättliche innere Kind die Regie und nimmt den Erwachsenen in Geiselhaft. Diese Rollenumkehr  kann in allen Zusammenhängen des erwachsenen Lebens von Liebesbeziehungen bis zu den Staats- und Weltgeschäften zu nichts anderem als zu katastrophalen Auswirkungen führen. 

Gierökonomie und Gierkultur 

Kultur und individuelle Entwicklung wirken immer zusammen. Diese Verflechtung ist besonders auffällig bei der Gier. Seit der Kapitalismus die Regulierung der Güterproduktion übernommen hat, hat die Gier eine riesige Spielwiese erhalten. Das nahezu unendliche Angebot an Dingen, die mit allen Tricks angepriesen werden, konfrontiert mit Glücksversprechen der unterschiedlichsten Art und entfesselt die Bemächtigungsgefühle, die im Inneren der frustrierten Menschen schlummern. Der hemmungslose Konsum wurde im Prozess der Zivilisation aus der Sphäre des Sündhaften und damit der Scham herausgelöst (der Protestantismus hat die Verdammung der Habgier nicht übernommen, sondern im Gegenteil Rechtfertigungen für die kapitalistische Bereicherung eingeführt) und zur Norm erklärt. 

Im Zug der Demokratisierung wurde der Luxus, der vorher den Adelshöfen vorbehalten war, von der breiten Masse eingefordert und in der modernen Konsumwelt und Verbraucherökonomie zur Realität. Gier wird geil. Die Menschen sollen arbeiten, um zu konsumieren. Dem Imperativ des permanenten Wachstums der Wirtschaft steht die unersättliche Gier der Marktteilnehmer nach mehr und noch mehr Gütern zur Seite. Die Räder von Produktion und Konsum sollen sich immer schneller drehen, gemäß dem sich permanent beschleunigenden Rhythmus der Gier, ohne Rücksicht auf Verluste.

Die Gierkultur ist ein Stadium der kulturellen Evolution der Menschheit und zugleich eine Sackgasse. Die Entwicklung der Menschheit auf diesem Planeten kann nur weitergehen, wenn die Gier entscheidend eingedämmt wird, sowohl individuell als auch institutionell. Der Kollaps des Finanzsystems 2008 ist ein Mahnmal für diese Forderung; der immer sichtbarer werdenden Kollaps des Klimasystems ein weiteres Indiz für die destruktive Kraft der Gier und der von ihr gesteuerten Wirtschaft und Kultur. Im Grund sind es kindliche Ängste, zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen, die mit dem Treibstoff Gier die Prozesse der überhitzten Güterproduktion und -konsumation in Gang halten – fast lächerliche Ursachen im Vergleich zu den ungeheuren Wirkungen, die dadurch entfesselt werden.

Die hemmungslose Ausbeutung der Natur, und darunter fällt auch die Körperlichkeit der Menschen, spiegelt die Selbstaggression, die in der Gier enthalten ist: Das letztliche Ziel der Gier liegt in der Selbstzerstörung. Das ist eines der frappierndsten Widersprüche der Menschen: Die Gier, mit der wir uns die Unsterblichkeit durch das Anhäufen von Gütern sichern wollen, führt pfeilgerade und schnurstracks in den individuellen und kollektiven Tod.

Die jungen Leute, die sich für Fridays for Future engagieren, haben den Wahnsinn dieses Selbstzerstörungszwangs schon durchschaut und weigern sich, mitzuspielen.

Zum Weiterlesen:
Reich und arm, Demut und Würde
Krankhafter Konsum
Das Giersystem im Kapitalismus
Konsum und Gier
Konsumscham und Schamkonsum

Mittwoch, 30. September 2015

Geld und Schmerz

Quelle: Darvins Illustrierte
Ein interessanter Aspekt der Psychologie des Geldes ist der Zusammenhang zwischen Geldausgeben und und Schmerzempfinden. Geld für eine Dienstleistung oder ein Produkt zu bezahlen, hat mit Loslassen zu tun. Scheine oder Münzen, die sich in meinem Geldbörsel befunden haben, muss ich hergeben. Dieser Prozess des Loslassens ist subtil und gewohnheitsmäßig eingeübt, wenn es um kleine Beträge oder regelmäßige Zahlungen geht, z.B. wenn wir Lebensmittel einkaufen oder ein Busticket lösen. Solange alles im Rahmen unserer Erwartungen ist, erleben wir keinen Problemdruck.

Sobald aber etwas unerwartet teuer ist (wir sind z.B. schon lange nicht mehr mit der Bahn gefahren und sind erschreckt über den Preis eines Fahrscheins), sobald eine Rechnung überraschend eintrudelt (z.B. wir haben nicht mit der saftigen Steuernachzahlung gerechnet) und sobald Ebbe am Konto herrscht, regt sich unser innerer Widerstand und wir geraten in Stress. Wir beginnen, mit dem Schicksal, den Preisen oder den Behörden zu hadern, bis wir schließlich einsehen, dass wir zahlen müssen, um zu kriegen, was wir wollen oder um sonstige Nachteile zu vermeiden. In solchen Situationen erleben wir den Schmerz, der mit dem Loslassen verbunden ist.

„Freiwilliges“ Loslassen ist einfach. Anstelle dessen, was wir an Geld hergeben, erwerben wir etwas, das uns Freude bereitet. Ein Loslassen, dem wir nicht voll zustimmen können, weil es für uns nicht klar ist, ob der Gewinn den Verlust überwiegt (z.B. wir haben eine Sache gekauft und fühlen uns übervorteilt) oder weil es unvermutet und überraschend kommt (z.B. wir verlieren unsere Brieftasche oder werden bestohlen), ist schwieriger, weil es mit Leiden verknüpft ist, das im Inneren zu nagen beginnt: Es fühlt sich an, als hätten wir einen Teil dieses unseres Inneren eingebüßt.

Wir erkennen an solchen Vorgängen unsere beharrlichen Anhaftungen an die Dinge. Geld ist an sich wertlos, steht aber in seiner abstrakten universellen Werthaftigkeit (ich kann mir mit genügend Geld alles kaufen, was es gibt) an oberster Stelle unserer Begierden. Deshalb kann ein Verlust der an sich wertlosen Scheine oder Münzen innere Krisen auslösen.

Um diesen Krisen zu entgehen, horten manche Menschen ihr Geld, und andere geben es so schnell wie möglich gleich wieder aus, sobald sie es in der Hand haben. Andere wiederum denken fortwährend an ihren Kontostand und machen sich laufend Sorgen, was in Zukunft schlechter werden und sie ärmer machen könnte.

Schmerzen machen uns immer auf unsere Endlichkeit aufmerksam. Wir merken, dass wir verwundbar sind, und verwundbare Wesen können nicht ewig leben. Deshalb bietet unser materialistisches System, das System der Todesverdrängung, den einen Versicherungen gegen jegliche Schmerzen und den anderen Vergnügungen und Konsumfreuden ebenso gegen jede Verletzlichkeit an. Wir können uns rundum abpolstern mit den Glücksversprechungen der Welt der Dinge, die ihr volles Repertoire an Verführungskünsten einzusetzen, um das Paradoxe zuwege zu bringen: Uns das Geld aus der Tasche zu ziehen, ohne dass es weh tut.

Ein Trick bei solchen Täuschungsmanövern besteht darin, den Konsumenten das Gefühl zu geben, dass sie mit dem Erwerb eines Gutes nicht nur dieses, sondern den zusätzlichen Nutzen erworben haben, das Gut billiger, günstiger zu bekommen als es „eigentlich“ wert ist. Wenn wir das Gefühl haben, bei einem Einkauf zu „sparen“, also weniger auszugeben als erwartet, wird der Schmerz des Loslassens durch die Freude am vermeintlich doppelten Gewinn ausgeglichen. Deshalb sind manche Menschen geradezu süchtig danach, Rabatte und Preisnachlässe aufzuspüren und danach ihre Einkäufe zu planen, wobei sie oft viel mehr erwerben, als sie wirklich brauchen und damit schließlich mehr Geld ausgeben als gewollt.

Ähnlich einer Stechmücke, die zuerst ein Betäubungsmittel über den Stachel in die Haut injiziert, um sich dann ungestört sättigen zu können, wird auch bei den Einkaufsvorgängen zunächst der Schmerz durch die positiven Gefühle des Inbesitznehmens unterdrückt, und erst nachher spüren wir den Verlustschmerz, vor allem, wenn das Ding, das wir erworben haben, oder sein Preis nicht unseren Vorstellungen oder Erwartungen entspricht.

Alles, was wir mit Geld erwerben, ist wie das Geld dinglich. Wir tauschen Dingliches gegen Dingliches. Das erworbene Ding ist unlebendig, und es bringt uns mit der Realität des Todes in Kontakt, ohne dass wir es merken. Was wir merken, ist der Schmerz des Hergebens, des Verlustes. Darin macht sich unsere Vergänglichkeit bemerkbar, doch so, dass wir in der Üppigkeit der Warenwelt die Hoffnung nie verlieren können, dass Vergängliches durch Vergängliches ersetzt werden kann, wie das kaputte Handy durch ein neues, noch besseres und schöneres, und so weiter bis in alle Ewigkeit. Die Illusion der Unendlichkeit der Warenwelt und Güterproduktion und damit der Unsterblichkeit der Konsumenten ist vielleicht die mächtigste Triebfeder der kapitalistischen Produktion und des materialistischen Konsums.

Geld repräsentiert eine universelle Möglichkeit in der Güterwelt, und sobald es ausgegeben ist, sind Möglichkeiten in der Menge des Ausgegebenen vernichtet. Die Wirklichkeit des Gutes entschädigt uns dafür nicht. Doch probieren wir es immer wieder, wie der Glückspieler am einarmigen Banditen. Mit jedem neuen Versuch wollen wir unsere Endlichkeit überwinden und uns unsterblich machen. Alles, was den Schmerz betäubt, ist deshalb willkommen.

Machen wir uns hingegen bewusst, dass das Loslassen ein wichtiger Teil des Lebensprozesses ist und dass wir uns damit in der Dynamik des Austausches im unendlichen Netz des Gebens und Nehmens bewegen, kann es uns leichter fallen, Geld und Güter zu empfangen und wieder herzugeben und dabei mit einem genauen Spüren unserer Bedürfnisse in Verbindung zu bleiben: Was brauchen wir wirklich, was ist uns wichtig – im Geben wie im Nehmen?



Vgl.: Das Ende des Geldes? 
Die Doppelbotschaft der Ausbeutungsgesellschaft

Dienstag, 17. Juni 2014

Das Ende des Geldes?

Es ist ganz amüsant, einen Bestseller zu lesen, der am Höhepunkt (oder Tiefpunkt) der Finanzkrise (2011) geschrieben wurde und den Bankrott von Spanien, Großbritannien und den USA in den nächsten Jahren sowie das Ende der Geldwirtschaft prophezeit. Drei Jahre später ist die Krise je nach Sichtweise überstanden, zugedeckt oder hinausgeschoben, jedenfalls bestehen die Länder der Welt weiter und sind mehr oder weniger zahlungsfähig, und das Geldsystem als ganzes hat nicht einmal einen Kratzer abbekommen.

Was sich vielleicht geändert hat, ist die Mentalität, sich mit einer Selbstverständlichkeit auf das gemächliche Ansteigen des Wohlstandes zu verlassen, die die Basis für die Bauchzufriedenheit des durchschnittlichen Nachkriegsmitteleuropäers gebildet hat. Jetzt wachsen Generationen heran, die in der Schere zwischen den Blasenökonomien der Gierbereicherung und einem prekären Praktikantentum ihre Nischen finden müssen. Die Plätze in der Gesellschaft und die Anteile am Kuchen müssen mit großem persönlichem Einsatz und hoher Frustrationstoleranz erarbeitet werden. Leistung lohnt sich noch lange nicht, und wenn, dann in viele Fällen alles andere als üppig.

Doch um diese Zusammenhänge geht es nicht in dem Buch. Die Autoren (Franz Hörmann und Otmar Pregetter, „unabhängige Wirtschaftswissenschaftler" in Eigenbezeichnung) geben vor, dass sie den Schlüssel gefunden haben, der die geheime Kammer unseres Wirtschaftssystems aufsperrt, in der sich die bösen Geister aufhalten, die fleißig an der Vernichtung unseres Wohlstandes werken. Sie benennen diese Dämonen als das geldschaffende Kreditwesen und den Zinseszins.

Mit vielen Beispielen versuchen sie zu belegen, dass die Banken beim Ausgeben von Krediten durch die Erschaffung von Luftgeld, dem keine Werte entsprechen, sich maßlos bereichern und dadurch permanent und spätestens seit der Erfindung der doppelten Buchhaltung die Menschen systematisch betrügen.

Allerdings geben sie keine Antwort auf die vielleicht naive Frage, warum denn gerade vor unseren Augen Banken "abgewickelt" werden müssen, die eben zu viele Kredite ausgegeben haben, denen keine einbringlichen Werte mehr gegenüber stehen? Good banks werden zu bad banks, wenn sie eben zuviel Luftgeld produzieren und dann ihre eigenen Schulden nicht mehr bedienen können. Irgendwo fällt das ganze virtuelle Herumschieben der Schulden wieder auf einen realen Boden, und ohne realen cash crasht eben dann auch eine Landesbank und gefährdet ein ganzes Bundesland in seiner wirtschaftlichen Existenz.

Betrügereien gibt es in jedem System. Das Finanzsystem ist besonders anfällig dafür, weil da am schnellsten am meisten von dem ergaunert werden kann, was jeder will: Geld, Geld, Geld. Der Bäcker, der minderwertiges Mehl in seine Semmeln gibt, wird viele Semmeln backen müssen, um durch den Betrug reich zu werden. Ein geschickt eingefädeltes Pyramidenspiel kann in ein paar Tagen die Millionen in die eigenen Taschen spülen, Geld, das auch auf einer Südseeinsel in Papayas und Tequilas umgetauscht werden kann, vorausgesetzt, man packt rechtzeitig die Geldkoffer. Doch von einzelnen Bösewichtern, die die Schwachstellen des Finanzsystems und des menschlichen Giersystems ausnutzen, auf die Gesamtheit der Geldgeschäfte zu schließen, sodass jedem Bankangestellten schon zumindest die Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug angelastet werden müsste, ist doch etwas gewagt.

Es gibt zwar systematische schleichende Kreditbetrügereien, die wohl eine der wichtigen Wurzel für die benannte Krise sind: Der Finanzberater, der Menschen einen Kredit einredet, von denen er weiß, dass sie ihn nie zurückzahlen werden können, um die eigenen Provisionen anzukurbeln. Und seine Bank steigert dadurch die Umsätze und holt sich auf dieser Basis leicht weiteres Geld für weitere faule Kredite. Hier handelt es sich um Achtlosigkeiten des Bankmanagements, das seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt und dafür zur Verantwortung gezogen werden muss, durch interne Kontrolle oder Gerichte. Auch die Gesetzgeber müssen dafür Sorge tragen, dass solche Verantwortlichkeiten nicht verschleiert werden können und die Kreditgeber ebenso haften wie die Kreditnehmer.

Betrügerische Systeme tragen die Selbstvernichtung in sich, weil sie von der prinzipiell unendlichen Energie der Gier getrieben sind. Ähnlich einem Fresssüchtigen, der in sich hineinstopft, soviel er kriegen kann, bis seine Verdauung zusammenbricht, versucht ein Giersystem, mit allen Mitteln möglichst viel Geld in die eigenen Taschen zu pumpen, bis alles ausgeschöpft ist, was man kriegen kann.

Jeder neue Trick, die Beweglichkeit des Geldes zur Schädigung anderer und zur eigenen Bereicherung zu nutzen, fliegt so oder so irgendwann auf, dazu reicht die Selbstregulation des Wirtschaftssystems. Doch soviel Bosheit auch immer sich in diesem Bereich austoben mag, die Geldwirtschaft besteht weiter, eben weil die Beweglichkeit so viele Möglichkeiten bietet, das Leben zu vereinfachen und zu vervielfältigen. Und selbst wenn es kein Geld mehr gäbe, wäre das an sich kein Schritt, der uns dem Paradies näher bringen würde, eher noch einer frühmittelalterlichen Tauschwirtschaft.

Samstag, 21. Mai 2011

Kultur der Gier

Neben all den vielerorts geäußerten Kritikpunkten am Fall des Großbankers zum Untersuchungshäftling in New York möchte ich zwei Punkte hervorheben.

Das Szenario ist klassisch, der reiche mächtige Mann und das Zimmermädchen. Vor nicht allzu langer Zeit hätte niemand einem Zimmermädchen und jeder dem reichen mächtigen Mann geglaubt. Nun hat sich das Bild gewandelt. Gewaltanwendung muss verfolgt werden, ohne Ansehen der Person des Täters, wie es im Gesetz steht. Aber immerhin ist bemerkenswert, dass das Gesetz auch Anwendung findet. Das ist ein Anzeichen dafür, dass sich der Kampf für die Rechte der Frauen gelohnt hat. Und es ist zu hoffen, dass die Publizität dieses Falles eine abschreckende Wirkung auf Männer, reiche und weniger reiche, hat.

Der zweite Punkt betrifft die Kultur des Geldes. Ein gebildeter und weltgewandter Mann wird angesichts eines Zimmermädchens "schwach". Er wird (be)gierig. Obwohl sein mutmaßliches Verhalten einen Rückfall vom 21. in länger zurückliegende Jahrhunderte darstellt, passt es strukturell in die materialistische Kultur. Diese ist gekennzeichnet durch den Drang zur Anhäufung von Gütern. Die Innenseite dieses Dranges, also das, was die den Drang ausübenden Menschen spüren, ist die Gier. Die Gier hat kein Ende, sondern kennt nur Pausen, ähnlich wie das Anhäufen von Objekten. Es gibt immer noch mehr zu begehren.

Doch ist diese Logik der Gier schon gebrochen. Ein Mann, der Gier zeigt, ist nicht mehr tragbar. Offensichtlich hat sich unterschwellig etwas in der Kultur des Geldes geändert. Eine Position an den Schaltstellen des großen Geldes ist mit enormer Verantwortung verbunden. Lebenschancen und Schicksale von Millionen von Menschen hängen von Entscheidungen ab, die in diesen Gremien getroffen werden. Es scheint so, dass ein Bewusstsein dafür gewachsen ist, dass nur Menschen mit Integrität für eine derartige Verantwortung geeignet sind.

Und das ist es, wo wir hinkommen sollten: Dass an diesen Schaltstellen Menschen mit Integrität sitzen, das heißt, Menschen, die nicht von ihrer eigenen Gier getrieben sind, sondern von einem Blick und von einem Gefühl für das größere Ganze, für das sie Verantwortung tragen.