„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die sich ändern lassen, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“ Dieses bekannte Zitat des Theologen Reinhold Niebuhr beschreibt das Verhältnis von Schicksal und Verantwortung. Es gibt eine wichtige Grenze zwischen dem Verfügbaren und dem Unverfügbaren, zwischen dem, was wir mit unseren Kräften beeinflussen und gestalten können, und dem, das unserer Macht entzogen ist. Wir sind für vieles in unserem Leben verantwortlich, während anderes ohne unser Wollen oder Zutun in unser Leben eingreift.
Nehmen wir das Beispiel Krankheit. Es liegt in
unserer Verantwortung, unser Leben so zu gestalten, dass es unserer Gesundheit
am zuträglichsten ist. Das gelingt uns mehr oder weniger, erfordert oft
Disziplin und steht manchmal in einer Spannung mit dem Bestreben nach
Lebensgenuss. Wenn wir erkranken, können wir uns fragen, ob wir die Verantwortung
für unsere Gesundheit nicht genügend wahrgenommen haben. Um künftigen
Krankheiten vorzubeugen, können wir beschließen, unser Verhalten zu verändern,
z.B. indem wir uns gesünder ernähren, mit dem Rauchen aufhören oder weniger
Alkohol trinken usw. Es ist aber selten so, dass wir eine klare
Ursache-Wirkungsbeziehung feststellen können. Denn selbst wenn wir uns
unvernünftig verhalten, müssen wir nicht unbedingt krank werden, und wir können
erkranken, auch wenn wir uns vernünftig verhalten. Es gibt Menschen, die zu
einem hohen Grad so leben, wie wir es gemeinhin als gesund verstehen, aber
dennoch plötzlich schwer erkranken, während andere nach vielerlei Maßstäben äußerst
ungesund leben und dennoch nie krank werden. Die Frage kann dann auftauchen: Warum
gerade ich? Wieso nicht die anderen? An diesem Punkt beginnen wir mit dem
Schicksal zu hadern, also mit dem, was wir uns nicht erklären können.
Häufig erleben wir Schicksalsschläge als Ungerechtigkeiten.
Warum werde ich mit dieser Krankheit belastet, wo ich doch so ein guter Mensch
bin? Oder aber gerade im Gegenteil empfinden wir das Schicksal als Ausdruck der
Gerechtigkeit: Eben weil ich kein guter Mensch bin, geschieht es mir recht,
dass ich das Opfer eines Verbrechens wurde.
Oder, wenn uns eine Serie von Unglücksfällen betrifft, kommt
die resignative Reaktion: „Mir bleibt auch nichts erspart in dieser Welt.“ –
angeblich der Kommentar von Kaiser Franz Joseph auf die Nachricht von der
Ermordung seiner Frau. Gegen die
Übermacht des Schicksals ist kein Kraut gewachsen und selbst ein Kaiser
machtlos.
Allmachtsdenken
Es gibt im Bereich der Esoterik Glaubensansätze zur
Überwindung der Macht des Schicksals. Dabei wird der Bereich der Verantwortung
ins Unendliche ausgeweitet. Das Unerbittliche des Schicksals schüchtert ein, macht
Angst und lässt uns ohnmächtig und klein erscheinen. Deshalb wird es als
hilfreich und stärkend erfahren, wenn auch solche Erfahrungen in die Sphäre der
eigenen Verantwortung eingebaut werden. Scheinbar wirkt es wie eine erwachsene
Haltung, die keine Ausreden auf höhere Einflüsse braucht und alles in Kontrolle
hat. Dann heißt es: Du bist der Schöpfer/die Schöpferin deines eigene
Schicksals. Alles, was dir in deinem Leben zustößt, ist das Resultat deiner
Entscheidungen, der bewussten oder der unbewussten. Du trägst also für alles,
was du erlebst, die Verantwortung.
Was auf den ersten Blick wie eine Selbstermächtigung
ausschaut (für alles wird die Verantwortung übernommen, es gelten keine
Ausreden mehr und die Gestaltungsmacht auf das eigene Leben mittels
Gedankenkraft ist nahezu unbegrenzt), führt in der Praxis zur maßlosen
Selbstüberforderung und entlarvt sich als Ausfluss einer anmaßenden Haltung. Es
ist nicht möglich, die Ansprüche, die mit der Übernahme dieser Verantwortung
verbunden sind, einzulösen. Denn so viele Bereiche der Wirklichkeit sind
unserem Einfluss entzogen, und das beginnt schon beim eigenen Unbewussten, von
all dem, das dem Schicksal vorbehalten ist, gar nicht zu reden. Wird das
Konzept beibehalten, obwohl immer wieder zum Versagen führt, sind massive
Schamgefühle die Folge. All die negativen oder ungewollten Lebensereignisse
sind dann allesamt Eigenkreationen, und erst recht wird die Gewissensbelastung
ungeheuerlich, wenn sich der Horizont auf die ganze Menschheit ausweitet. Denn
wenn alles, was im Leben geschieht, selbst erschaffen und verantwortet ist,
gilt das für alles Gute und für alles Schlimme.
Solche Modelle verfangen nur dann, wenn die Scham vor dem Schicksal herrscht. Es kann doch nicht sein, dass uns im Leben Ereignisse zustoßen, denen wir ohnmächtig und hilflos ausgeliefert sind. Es muss eine Möglichkeit geben, auch über solche Erfahrungen die Kontrolle zu erlangen. Sonst wäre unsere Existenz beschämend klein und beschränkt. Das widerspräche der Selbstachtung.
Verantwortungsübernahme: Lernen und Wachsen mit dem Schicksal
All diese Reaktionsweisen sind menschlich, aber helfen uns
nicht dabei, mit dem Schicksal konstruktiv umzugehen. Vielmehr wollen wir in
Abläufe eingreifen und sie nach unserem Gutdünken gestalten, über die wir keine
Macht haben. Wir wollen uns zu den Beherrschern unseres Schicksals machen, vor
allem dort, wo es uns unangenehme Erfahrungen beschert. Statt die Verantwortung
dafür zu übernehmen, wie wir auf Schicksalsschläge reagieren, klagen wir das
Schicksal an und wollen uns zu Richtern aufspielen, die nach dem eigenen
Gutdünken entscheiden. Oder wir ordnen uns dem Wirken der Schicksalsmächte willenlos
unter und verkriechen uns in fatalistischer Resignation. Mit dieser Einstellung
verleihen wir dem Schicksal über seine geheimnisvolle Macht hinaus noch mehr an
dämonischer Gewalt und rechtfertigen damit, dass wir uns mit Jammern und
Wehklagen in der Ohnmacht versenken.
Unsere Einflussnahme beginnt aber genau dort, wo das
Schicksal in unsere Erlebensrealität eintritt. In diesem Moment entscheiden
wir, ob wir uns dem Fatalen stellen, um es mit seinem Konsequenzen zu
bewältigen, oder ob wir klein beigeben und hadern und jammern. Das Annehmen und
Nutzen unserer Handlungsmöglichkeiten bringt uns zurück in unsere
Verantwortung. Wir werden wieder zu den Gestaltern unseres Lebens, die den Kurs
im tosenden Meer mit seinem Auf und Ab steuern. Wir müssen den Wellengang so
hinnehmen wie er ist und unsere Aktionen an ihn anpassen. Wir können dabei den
Naturgewalten unsere Kräfte entgegensetzen und in ein Spiel eintreten, in dem
wir unsere Fähigkeiten unter Beweis stellen können.
Mit jeder Übernahme der Verantwortung nach einem
Schicksalsschlag gewinnen wir mehr Schicksalskompetenz dazu und wachsen in Weisheit
und Gelassenheit. Wir erkennen deutlicher die Grenzen zwischen dem
Kontrollierbaren und dem Nicht-Kontrollierbaren und können so das in unserem
Leben zum Besseren wenden, das unter unserem Einfluss steht, und das in Demut
akzeptieren, was einer höheren Regie unterliegt.
Zum Weiterlesen:
Die Macht des Schicksals und ihre Grenzen
Unser Schicksal annehmen
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