Die Dankbarkeit ist ein Universalheilmittel. Sie befreit von Sorgen und Problemen. Sie bringt uns sofort in den Moment und in die Verbundenheit mit dem Ganzen. Wenn wir auf unser Leben als Ganzes schauen, müssen wir zugeben: Wir haben so viele Geschenke erhalten, seit wir auf der Welt sind, ganz abgesehen von dem unermesslichen Geschenk des Lebens überhaupt. Was wir zurückgeben können, ist im Grund nicht viel mehr als unsere Dankbarkeit.
Im Gefühl der Dankbarkeit schwinden die Unterschiede
zwischen Innen und Außen. Es vollzieht sich ein permanentes Geben und Nehmen,
ein Fließen des Austausches. Das eigene Ich tritt zurück und wird unwichtig.
Das Leben fühlt sich leicht an und ausgerichtet auf das, was von selber geschehen
will. Dankbar zu sein befreit von übermäßigem Verlangen, Habenmüssen,
Tunmüssen, befreit von Selbstwertproblemen und Selbstzweifeln. In der Dankbarkeit
erfahren wir, dass es immer ein Größeres gibt als die kleinen Themen, mit denen
wir gerade identifiziert sind.
Wenn wir uns bei jemandem bedanken, fühlen wir uns mit ihm
verbunden und er mit uns. Wenn wir uns bei dem großen Ganzen, bei der Natur,
bei unserem Körper, bei unseren Begabungen bedanken, sind wir mit dem verbunden,
dem unsere Dankbarkeit gilt, und dieses verbindet sich mit uns. Jede Verbindung
enthebt uns der Verstricktheiten in unsere Alltagsgeschichten und webt uns ein
in die umfassende Geschichte, von der wir nur ein winziger Teil sind.
Werden wie die Kinder
Im Zustand der Dankbarkeit erkennen wir, dass wir wie Kinder
sind. Kinder bekommen alles, was sie brauchen, ohne dass sie all das jemals zurückgeben
können. Alles, was sie zu geben haben, ist ihre Liebe und Dankbarkeit. In der
Dankbarkeit werden wir zu Kindern dieser Erde und gewinnen die kindliche
Unschuld zurück.
Ähnlich geht es uns im Erwachsensein, in dem wir so viel
kriegen und im Grunde vergleichsweise so wenig zurückgeben. Allein die Luft,
die wir in jedem Moment zum Atmen brauchen, ist für uns da, ohne dass sie etwas
von uns verlangt. Was wir zurückgeben, die Ausatemluft, dient uns zur
Entlastung und den Pflanzen als Energielieferant. Die Nahrung, die wir zu uns
nehmen, wurde von der Erde, der Sonne und von der Arbeit von anderen Menschen
erzeugt. Die Bildung, die wir erworben haben, verdanken wir denen, die sie uns
vermittelt haben. Ein Buch, das wir lesen, kostet seinen Preis, aber sein
Inhalt ist unermesslich.
Mit der Dankbarkeit bringen wir ins Gleichgewicht, was sich
sonst in einem Überhang nach unserer Seite neigt: Das Übermaß dessen, was wir
bekommen im Vergleich zu dem, was wir geben. Mit dem Größeren, das uns im Geben
immer voraus ist, können wir nur mit Dankbarkeit in Balance kommen. Dadurch
gleicht sich das Verhältnis mit dem Außen aus und zugleich findet unser Inneres
zu sich selbst. Wir kommen in einen tiefen Frieden mit uns und mit der Welt um
uns.
Das Böse in dieser Welt
Wie aber können wir angesichts des Schlimmen in der Welt
dankbar sein? Das Schlimme ist schlimm, daran lässt sich nichts rütteln. Das
menschliche Leid, das durch Unbewusstheiten und Bosheiten angerichtet wird, verdient
unser Mitgefühl. Jede Dankbarkeit für Übeltaten wäre zynisch und fehl am Platz.
Vielmehr ist es unsere Aufgabe, das Schlechte zum Guten zu wenden, soweit es in
unserer Macht liegt. Unsere Aufgabe ist es also, Raum für Dankbarkeit zu
schaffen. Wo Schlimmes dem Guten weicht, wo etwas in der Welt wieder ins Lot
kommt, sollten wir dankbar sein.
Selbst für die Fähigkeit, etwas zu verbessern, über die wir oder
andere verfügen, ist unsere Dankbarkeit angesagt. Denn diese Fähigkeit ist
nicht unsere Errungenschaft, sie ist uns oder anderen gegeben. Außerdem bietet
alles, was wir „aus uns heraus“ erschaffen, Anlass für Dankbarkeit, denn selbst
das ist nur zum geringeren Teil unsere aus uns erzeugte Leistung, sondern der Ertrag
einer Leistungsfähigkeit, die wir geschenkt bekommen oder mit der Hilfe anderer
erworben haben.
Wir sollten nie übersehen, dass in jedem Schlechten etwas
Gutes steckt, in jedem Bösen etwas Menschliches. Es gibt das Böse nicht in
Reinkultur, unvermischt, sondern nur in einer Gemengelage mit den
verschiedensten Motiven und Strebungen. Wenn wir uns bemühen, das Schlechte und
Böse zu verstehen, werden wir entdecken, wie vielschichtig diese Phänomene sind.
Da gibt es Schichten im Bösen, die gut sind und für die wir dankbar sein
können, ohne die anderen Schichten, die sich oft darüber gelagert haben, zu übersehen
oder zu bagatellisieren. Wir werden das Böse, wenn wir es erforschen, nicht
mehr als Feind und Widersacher sehen, sondern als einen komplexen Teil der
Wirklichkeit. Damit verliert es seine dämonische Macht.
Alle Formen von Bosheit weisen auf etwas hin, was nicht in
Ordnung ist. Ein Mensch, der stiehlt, macht das, weil er meint, benachteiligt
zu sein. Er macht uns auf soziale Ungleichheiten aufmerksam, die verändert
werden sollten. Dazu kommt, dass jede böse Tat einen Widerstand hervorbringt,
der das Böse nicht zulassen will und nach neuen Formen des Guten sucht. Es gibt
nichts Böses, das unwidersprochen bleibt. Alles Schlimme, das geschieht, erzeugt
neue Anreize für das Lernen. Deshalb folgen auf schwierige Epochen der
Geschichte, in denen die Gewalt vorherrschte, solche mit neuen ethischen
Errungenschaften.
Dankbarkeit für körperliches Leiden?
Wie schaut es mit der Dankbarkeit aus, wenn wir unter
Schmerzen stöhnen oder unter einem hartnäckigen Gebrechen leiden? Sollen wir
dafür dankbar sein? Körperliches Leiden zieht all unsere Aufmerksamkeit auf
sich, sodass wir oft an gar nichts anderes denken können. Erst wenn wir wieder
genesen, wissen wir es zu schätzen, frei von Schmerzen zu sein. Unsere
Gesundheit gewinnt einen ganz anderen Wert, und wir nehmen uns vor, sie nicht
für selbstverständlich zu halten, sondern für etwas, das unsere Fürsorge und
Vorsorge benötigt. Wir erkennen, wie wichtig es ist, in der Achtsamkeit auf
unseren Körper und seine Bedürfnisse beständiger zu sein. Dazu hilft uns die
Übung der Dankbarkeit, bei der wir uns bei unserem Körper für sein permanentes
Bewirken bedanken und den verschiedenen Teilen, Organen und Geweben unseres
Körpers unsere Wertschätzung geben. Auf diese Weise stellen wir einen Einklang
zwischen unserem Körper und unserem Geist her, die beiden Seiten Gutes tut. Wir
setzen uns mit unserer Dankbarkeit aktiv dafür ein, unsere Gesundheit auf eine
nachhaltige Basis zu stellen.
Krankheiten stellen besondere Aufgaben des Lernens für uns
dar. Sie bringen uns in Kontakt mit unserer Verletzbarkeit, Bedürftigkeit und
Schwäche. Sie fördern unsere Selbstachtsamkeit. Letztlich erinnern sie uns an
unsere Endlichkeit. Und sie weisen uns darauf hin, wie kostbar das Geschenk
unseres Lebens ist.
Zum Weiterlesen:
Dankbarkeit - die hohe Schule der Lebenskunst
Wertschätzung für unseren Körper
Die Welt der Wunder
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