Dienstag, 29. August 2017

Quantentheorie und die unsterbliche Seele

Zwei Theoretiker, der Arzt und Psychologe Dr. Stuart Hameroff und der Mathematiker Sir Roger Penrose behaupten seit 20 Jahren, Quantenvorgänge in kleinen Strukturen von Nervenzellen aufgefunden haben, und leiten daraus ein Erklärungsmodell für das Weiterleben der Seele nach dem Tod eines Menschen ab.

Sie nennen ihre Theorie „Orchestrated objective reduction (Orch-OR)“ und stellen sie auch in dem Film „What the bleep do we know?“ vor. Hameroff argumentiert in einem anderen Video: „Angenommen, das Herz hört zu schlagen auf, das Blut fließt nicht mehr; die Mikrotubuli verlieren ihren Quantenzustand. Die Quanteninformation in den Mikrotubuli ist nicht zerstört, sie kann nicht zerstört sein, und sie verteilt sich nur im größeren Universum, und löst sich dort auf. Wenn ein Patient wiederbelebt wird, kann die Information in die Mikrotubuli zurückkehren, und der Patient sagt: ‚Ich hatte eine Nahtoderfahrung.‘ Wenn es zu keiner Wiederbelebung kommt, ist es möglich, dass diese Quanteninformation außerhalb des Körpers weiterbestehen kann, vielleicht unendlich, als Seele.“

Diese Bemerkung wird gerne in diversen Seiten (z.B. hier) zitiert, wenn es darum gehen soll, „einen wissenschaftlichen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele“ vorzuweisen. Das obige Zitat allein sollte allerdings jedem unbefangenen Leser sofort vor Augen führen, dass es sich bei den Extrapolationen der Orch-OR-Theorie nicht um wissenschaftliche Aussagen handeln kann, sondern um fantasievolle Spekulationen. Abgesehen von der hochspezialisierten Fachfrage, ob es in den Mikrotubuli der Gehirnzellen überhaupt Quanteninformationen gibt, und wenn, ob diese mehr als eine unglaublich winzige Zeiteinheit Bestand haben, was in der Fachwelt strittig ist, gibt es für die darüber hinaus reichenden Überlegungen keine Spur von wissenschaftlicher Grundlage.

Ist Wissenschaft drin, wenn Wissenschaft draufsteht?


Nach Hameroff wäre möglich, dass „vielleicht“ die Quanteninformation (falls es sie überhaupt gibt) unverändert im „größeren Universum“ (wo auch immer sich dieses befindet) bewahrt würde und dann in der alten oder auch in einer neuen Körperform (in den besagten Mikrotubuli) wieder Platz finden könne. Es wäre möglich oder auch nicht. Es gibt dazu keine wissenschaftlich validen Beobachtungen, keine Experimente oder Beweise, sondern angesprochen wird nur eine Denkmöglichkeit. Natürlich, das Denken ist in seinen Möglichkeiten unbeschränkt. Wissenschaft beginnt allerdings erst dort, wo Gedanken mit der Wirklichkeit in Kontakt kommen und nach allgemein anerkannten Regeln Übereinstimmungen untersucht werden. Wo es zu Gedanken keine relevanten Fakten gibt, gibt es auch keine Wissenschaft.

Gedanken können uns gefallen oder auch nicht, und wir können auf ihnen Weltbilder und Ideologien aufbauen. Wissenschaftlich untersuchte und validierte Gedanken geben uns die Sicherheit, dass wir nicht allein unseren inneren Spekulationszirkeln ausgeliefert sind, in denen sich Gedanken dauernd mit Bedürfnissen, Emotionen, Vorurteilen, Erfahrungen, Werten usw. vermengen, sondern dass wir damit Wissen generieren können, das uns eine verlässliche Orientierung in der Wirklichkeit erlaubt.

Zur Wissenschaft gehört es, dass auch die Grenzen des Wissbaren und Erklärbaren definiert werden. Wissenschaft muss sich mit der Wissenskritik auseinandersetzen, die die erkenntnistheoretischen Grundlagen des Wissens überprüft und Aussagen dahingehend überprüft, ob sie wissenschaftlichen Standards genügen oder nicht. Wir sprechen von Mogelpackungen, wenn auf einer Ware etwas anderes draufsteht als drinnen ist. Schreibt jemand „Wissenschaft“ auf etwas, wo keine Wissenschaft drin ist, wird auch gemogelt. Und da ist es wichtig, solche Täuschungen aufzuklären.

Die Orch-OR-Theorie, die der gesamten Argumentation zugrunde liegt, ist in wissenschaftlichen Kreisen äußerst umstritten, sowohl in Bezug auf die logisch-mathematischen Grundlagen wie auch in Hinblick auf die Neurobiologie der Nervenzellen. Zumindest hat sich die Theorie als fruchtbare Forschungshypothese präsentiert, an der seit über 20 Jahren geforscht wird, ohne dass ein Konsens über die Sinnhaftigkeit der Theorie bisher absehbar ist. Darum kann es hier nicht gehen, und wer sich für Details interessiert, kann ausführlichen den Links auf dieser Seite folgen.

Das Mysterium Tod


So gerne würden wir „mit Sicherheit“ wissen, wie es mit uns nach dem Tod weitergeht, und deshalb stürzen wir uns auf jede Theorie, die uns einen wissenschaftlichen Beweis verspricht, wie die Durstenden auf ein Glas Wasser, und verbreiten die frohe Botschaft, als hätten wir endlich den Stein der Weisen entdeckt. Allerdings, wie es bei näherer Betrachtung erscheint, geht es in diesem Zusammenhang eher ums Loslassen:

Sehr wahrscheinlich – und aus logischen Gründen – wird uns die Wissenschaft nie irgendeine Sicherheit über das, was nach dem Tod mit uns geschieht, liefern können, mit oder ohne Quantentheorie. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir, wenn wir eines Tages sterben, kein Wissen haben, was danach passiert. Wenn wir von Wien nach München reisen, haben wir ein Wissen darüber, was uns in unserem Ankunftsort erwartet. Bei einem Gewitter verfügen wir über verlässliches Wissen, was sich dabei abspielt. Wenn es um den ganz anderen Übergang vom Leben in den Tod geht, verfügen wir über keinerlei Sicherheit, wie sie wissenschaftlich erstelltes Wissen bieten kann, über das, was danach geschehen wird. Wir können unseren persönlichen Glauben dazu bilden und pflegen, ohne dass uns dieser allerdings aus der fundamentalen Unsicherheit heraushelfen könnte.

Wie oben gesagt, braucht die Wissenschaft immer einen Bezug zum Faktischen. In Bezug auf den Tod gibt es Fakten: Beobachtungen und Messungen, die sich auf lebendige Organismen beziehen, und solche, die sich auf leblose beziehen. Es gibt verschiedene Angaben über den Zeitpunkt, ab welchem man von einem toten Organismus sprechen kann, und die Berichte über Nahtoderfahrungen und Wiederbelebungen zeigen, dass es in diesem Bereich große Abweichungen und individuelle Unterschiede geben kann. Wirklich relevant für die Frage nach dem Weiterleben nach dem Tod sind nicht Nah- oder Scheintoderfahrungen, wiederbelebte klinisch Tote oder vom Tod Erweckte. Denn in solchen Fällen kann immer argumentiert werden, dass der Tod noch nicht zur Gänze eingetreten ist und der Tod nur „nahe“ oder „dem Schein nach“ angeklopft hat, dass also der Sterbeprozess noch nicht voll abgeschlossen war, sondern dass noch Körperprozesse weiterbestanden haben, die dann die Wiederbelebung ermöglicht haben. Manche (bei weitem nicht alle) Menschen mit Nahtodeserfahrungen berichten z.B. von Tunnel- und Lichterfahrungen, die auch mit Restaktivitäten im Gehirn erklärt werden können, weil sie das Gehirn auch ohne Nahtodzustand erzeugen kann.

Selbst wenn wir über eine ausreichende Zahl an Berichten über Menschen verfügen würden, die über einen ausreichend langen Zeitraum nach allen Regeln der Kunst als tot (Herzstillstand, Gehirnstillstand, Stillstand von zellulären Aktivitäten) gelten und dann wieder lebendig werden, könnten diese Menschen nur darüber berichten, was sie während der Zeit ihres Todes sowie während ihres Zurückkommens erlebt haben. Sie könnten uns also zu einem Wissen über Tote mit Wiederbelebung verhelfen, aber nicht zu einem Wissen über Tote ohne diese Möglichkeit, die ja bei weitem die größte Zahl ausmachen und wir selber sowie alle Nah- und Scheintoten mit höchster Wahrscheinlichkeit irgendwann sein werden.

Denn wie sich der Tod anfühlt und was dann passiert, wenn es kein Zurückkommen gibt, entzieht sich der Berichtsmöglichkeit, weil eben der Tod dadurch definiert ist, dass in diesem Zustand nichts mehr berichtet werden kann. Sollte es also nach dem Tod noch eine Art von Subjektivität geben, eine Form der inneren Erfahrung, so gibt es, bisher zumindest, keine Form, wie diese Subjektivität zuverlässig kommuniziert werden könnte (vom „Tischerücken“ abgesehen), d.h. wir können auf keine Fakten zurückgreifen, die als Basis für verlässliches Wissen dienen könnten.

Das bisschen Wissen, das wir aus recht geringen Zahlen von „Nicht-wirklich-Toten“ gewonnen haben, gilt eben nur für diese Spezialfälle, und wenn wir allgemeine Schlüsse, die für die „Wirklich-Toten“ gelten sollen, ableiten wollen, haben wir dafür kein logisches Fundament. Wir spekulieren, d.h. wir entwickeln unüberprüfbare Hypothesen, und das tun Menschen seit Jahrtausenden, nicht aus dem Interesse heraus, wissenschaftliches Wissen zu erwerben, sondern aus dem Bedürfnis, die Todesangst als Angst vor einer großen Ungewissheit zu bewältigen. Wir entwickeln Glaubenssysteme, um diesem Bedürfnis zu entsprechen, und allem Anschein nach wird es keinen wissenschaftlichen Fortschritt geben, der jemals diese Glaubensformen durch wissenschaftliches Wissen ersetzen könnte.

So wird weiterhin ein Großteil der Menschen annehmen, dass wir nach dem Tod entweder in den Himmel oder in die Hölle kommen, ein anderer Teil wird glauben, dass es Wiedergeburten in neuen Körpern gibt, und andere wiederum glauben, dass es kein Weiterleben gibt, sondern dass mit dem Tod „alles“ vorbei ist. Und wieder andere stellen die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, Fragen zu stellen, auf die es keine sinnvollen Antworten gibt.

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